Sudan: Zwischen Todesangst und dem Mut der Verzweiflung

Kommentar

Ein Machtkampf zwischen dem sudanesischen Militär und der Rapid Support Forces (RSF) ist am Wochenende eskaliert. Bei schweren Kämpfen sind schon hunderte Zivilisten getötet worden. Wie kam es dazu?

Hey Feministinnen, bleibt standhaft! Diese Revolution ist eine Revolution der Mädchen! (Gemälde von Medo Kagonka)

„Wir hatten keine Elektrizität. Deshalb schreibe ich erst jetzt. Gestern haben sie meinen Schwager tot auf der Straße gefunden. Schüsse, die ganze Nacht durch, jetzt auch Kampfflugzeuge und Hubschrauber. So viele Tote auf den Straßen - betet für uns“.

Das ist nur eine der vielen Schreckensnachrichten, die Freund*innen aus dem Sudan seit vergangenem Samstag, dem 15. April, frühmorgens versenden. Wieder einmal, sind langjährige Beobachter*innen der politischen Lage des Landes am Horn von Afrika vielleicht versucht zu sagen. Jedoch: An Terror, Tod und Vertreibung kann und sollte man sich nie gewöhnen.

Vor fast genau vier Jahren jubelte das Volk auf den Straßen Khartums – und mit ihnen viele in aller Welt. Durch hartnäckigen zivilen Widerstand und durchgängig friedliche Proteste war es den von jungen Leuten und Frauen getragenen Revolutionär*innen gelungen, den langjährigen Diktator Omar al Bashir zu stürzen und damit der verhassten, korrupten islamistischen Regierung ein Ende zu bereiten. Die Bilder gingen um die Welt. Sudan wurden zum Sinnbild dessen, was friedlicher Widerstand erreichen kann.

Viele außerhalb des Landes allerdings vergaßen schnell den hohen Preis, den sie zu zahlen hatten. Letztlich ausschlaggebend für den Sturz des Regimes war nämlich die Tatsache, dass sich das Militär und seine paramilitärischen Einheiten auf die Seite der Protestierenden schlugen. Die zwei führenden Figuren hierbei waren Abdel Fattah Burhan, General der regulären Streitkräfte (Sudanese Armed Forces - SAF) und Mohammed Hamdan Daglo, genannt Hemiti, Führer der sogenannten Rapid Support Forces (RSF).  Sie stellten sich damit nicht nur gegen ihren Oberbefehlshaber, den Präsidenten Omar al Bashir, sondern auch gegen ihren eigenen „Ziehvater“, mit dem sie ihre politische Affiliation und ihren islamistischen Hintergrund teilten.

Es sind jetzt diese beiden, die seit dem 15. April so erbittert gegeneinander kämpfen – wieder einmal zu Lasten der Zivilbevölkerung. Dass sie auf diese wenig Rücksicht nehmen, hatten beide schon früher bewiesen: Hemiti als Führer der Janjaweed, der berüchtigten Reitermilizen in Darfur, verantwortlich für Massenmord-und vertreibungen auf Geheiß der Regierung; Burhan unter anderem als Befehlshaber der regionalen Kriege in Darfur und Südkordofan. Reich geworden waren sie beide dabei.

So scheint es fast folgerichtig, dass sie 2019 versuchten, die Macht für sich allein zu beanspruchen und einen demokratischen Umbau des Sudan zu verhindern. Ihr Versuch, die Revolutionär*innen gewaltsam zurückzudrängen, gipfelte im Juni 2019 in einem Massaker an mindestens 150 Zivilist*innen in Khartum, für das bis heute niemand zur Rechenschaft gezogen wurde. Die Protestierenden aber ließen sich selbst davon nicht abschrecken und gingen  weiter auf die Straße.  Unterstützt jetzt auch durch Druckder internationalen Gemeinschaft gelang es ihnen schließlich, durchzusetzen, dass eine gemeinsame Übergangsregierung aus zivilen und militärischen Kräften gebildet wurde.

Der  Übergangsrat wurde laut der damals getroffenen. Vereinbarung angeführt von General Burhan, sein Stellvertreter wurde Hemiti, die zivile Führung wurde dem neuen Premierminister Abdallah Hamdok anvertraut.Hemiti gelang es, im benachbarten Südsudan mit den meisten noch verbliebenen bewaffneten Rebellengruppen ein Friedensabkommen auszuhandeln; ihre Führer erhielten wichtige Positionen im Übergangsrat und in der Regierung. Damit wurde allerdings das militärische Element in der ohnehin fragilen Regierung sehr gestärkt.

Relevante Stimmen aus der sudanesischen Zivilgesellschaft hatten immer wieder darauf hingewiesen, dass es viel zu riskant sei für einen wirklichen Umbau zu einer demokratischen Gesellschaft, den militärischen, noch dazu überwiegend islamistisch geprägten Führern zu vertrauen. Diese Warnung erwies sich im Oktober 2021 als nur allzu berechtigt. Als aufgrund der ursprünglichen Vereinbarungen die Macht im Übergangsrat turnusmäßig an die zivilen Kräfte übergehen sollte, setzte das Militär den Premierminister gewaltsam ab und wichtige Teile der Vereinbarungen außer Kraft, was einem Putsch gleichkam.

Bis hierhin waren Burhan und Hemiti durchaus im „Gleichschritt“ marschiert. Auch in der Folgezeit führten gemeinsame Interessen, wie die Vermehrung ihres Reichtums durch Goldminen, Firmen und Immobilien, aber auch die Bereitstellung von Söldnern im Jemen und in Libyen zum Beispiel. dazu, dass sie zivile Elemente in der Regierung ablehnten. 2019 verhaftete Mitglieder des Bashir-Regimes wurden freigelassen, eingefrorene Konten wieder aktiviert, Islamisten in den Apparat zurückgeholt.  Regionale sowie internationale Allianzen wurden allerdings eher getrennt verfolgt. Die russischen Wagner-Truppen beispielsweise waren längst an der Seite Hemitis im Land tätig, Russland und Eritrea  blieben wichtige Verbündete für ihn, während unter anderem Ägypten Burhan unterstützt, um einen demokratischen Wandel zu verhindern.

Die Sudanes*innen aber gaben selbst angesichts der sich stetig verschlechternden ökonomischen Lage – mit 40 Prozent herrschte hier 2022  die höchste Inflationsrate Afrikas – ihren Widerstand nicht auf. Besonders, weil viele  überzeugt sind, dass jedweder Gewaltherrschaft im Sudan ein für alle Mal ein Ende bereitet werden muss. Über den Weg dorthin allerdings war man sich  nicht mehr einig. So blieben Teile der Forces for Freedom and Change (FFC) in einem vom UN-Sudan-Bevollmächtigten moderierten und von vielen internationalen Sonderbeauftragten begleiteten Prozess zur erneuten gemeinsamen Regierungsbildung in Verhandlungen mit den Militärs – eben jene klassischen Verhandlungen mit den Tyrannen, die die „Strasse“ rundweg ablehnt.  Im November 2022 wurde schließlich ein neues vorläufiges Rahmenabkommen beschlossen, das kurz vor Weihnachten hätte unterzeichnet und anschließend implementiert werden sollen.

Dazu aber sollte es nicht kommen. Ohnehin abgelehnt von vielen Revolutionären, führten insbesondere zwei der dort angedachten Punkte schließlich zu dem seit langem befürchteten, offenen Machtkampf zwischen Hemiti und Burhan: die Eingliederung der RSF in die regulären Streitkräfte sowie die Frage der Rechenschaftspflicht für die Massaker. Verbale gegenseitige Attacken nahmen zu, trotzdem beteuerten beide weiter, nicht an einer Eskalation interessiert zu sein.

Genau diese aber ist seit dem 15. April  eingetreten, ein Machtkampf zweier Männer, von denen beide behaupten, sie würden im Interesse der sudanesischen Demokratie handeln. Hemiti hatte bereits in den letzten Monaten zunehmend versucht, sich als zivile Führungspersönlichkeit zu etablieren und ging sogar so weit, sich von dem Putsch im Oktober 2021 zu distanzieren. Die wahren Demokrat*innen und alle friedliebenden Sudanes*innen nahmen ihm das allerdings nicht ab. Sie sind dabei, ein Antikriegsbündnis zu schmieden – und bei vielen ist die Widerstandskraft trotz allen neuen Leides nicht gebrochen. Ob es ihnen nochmals gelingt, mit dann wieder vereinten Kräften einen neuen, demokratischen Weg einzuleiten, scheint derzeit angesichts der militärischen Bedrohungen zumindest zweifelhaft. Die Gefahr eines wieder erstarkten Islamismus oder eines Auseinanderdriftens des Sudans entlang ethnischer Linien ist ebenso wenig gebannt wie gefährliche „spill over“ Effekte in der fragilen Region.

Es wird ganz entscheidend darauf ankommen, wie sich Nachbarn, Verbündete und die Internationale Gemeinschaft allgemein verhalten.  Bisher sind sie sich immerhin verbal einig in der Ablehnung der militärischen Eskalation. Wie weit aber wirklich alle bereit sind, dieses Mal den von den Sudanes*innen ersehnten demokratischen Wandel konsequent mit einzufordern und ebenso konsequent zu unterstützen, bleibt abzuwarten.