Auf der Suche nach Wandel in der Politik von Timor-Leste

Analyse

Die aktuelle Politik in Timor-Leste dreht sich um Persönlichkeiten, Geschichte und die Verwendung von ‚Öl-Geld‘ als Lösung für Probleme ­­– sie ist nicht in der Lage, mit der sich schnell verändernden Welt und den Herausforderungen im eigenen Land zurechtzukommen. Ein Wandel in der Politik und der Regierungsweise ist unerlässlich, um sich mit strukturellen Problemen in der Entwicklung von Timor-Leste zu befassen. Er ist auch von Nöten, um die Relevanz und Legitimität der demokratischen Institutionen aufrechtzuerhalten.

Eine Frau hat lilane Tinte amn Zeigefinger und blickt in die Kamera
Teaser Bild Untertitel
Eine Frau hält ihren befleckten Finger hoch, nachdem sie am 17. März 2023 an der Stichwahl um das Präsidentenamt in Timor-Leste teilgenommen hat. Die Parlamentswahlen sind für den 21. Mai 2023 angesetzt.

Für die Osttimores*innen steht dieses Jahr erneut der Gang zur Wahlurne an. Die für den 21. Mai angesetzte Parlamentswahl findet zu einem kritischen Zeitpunkt statt. Das Land ist mit komplexen und heiklen Entwicklungsproblemen konfrontiert: große Armut und Anfälligkeit, individuelle Benachteiligung , eine wachsende Kluft zwischen Stadt und Land, ein nicht-nachhaltiges Wirtschaftswachstum, soziale Ungerechtigkeit, schlechte Verwaltung der öffentlichen Finanzen, eine kostspielige Staatsbürokratie und vieles mehr. Diese Probleme sind nicht auf Timor-Leste beschränkt und sie sind auch für die osttimoresische Öffentlichkeit nicht neu.

Schon lange werden sie im gesamten politischen Spektrum diskutiert, finden Zustimmung und werden auch weiterhin debattiert werden.  Bei der Suche nach Lösungen wird es immer offensichtlicher, dass ein Wandel in der politischen Dynamik und in den Grundlagen der Regierungsstrategie zwingend erforderlich ist, um strukturelle und institutionelle Veränderungen voranzutreiben und aufrechtzuerhalten.

Die politische Entwicklung von Timor-Leste

Trotz politischer Spannungen bleiben die demokratischen Institutionen von Timor-Leste intakt. Freedom House stuft das Land als ‚freies‘ Land ein, mit einem Wert von 72 von 100. Es finden regelmäßig freie und faire Präsidentschafts- und Parlamentswahlen statt, bei denen die Machtübergabe friedlich verläuft. Im Allgemeinen können die politischen Parteien frei handeln, Minderheiten sind gut vertreten, der Haushalt ist leichter zugänglich und es besteht auch eine größere Medienfreiheit.

Präsident José Ramos-Horta.

Die größte Herausforderung, mit der die demokratischen Institutionen konfrontiert sind, liegt nicht in ihrem Ausmaß an Engagement für demokratische Grundsätze und Werte, sondern darin, wie die Demokratie gut funktionieren kann, um wirtschaftliche und soziale Entwicklung sowie bessere Dienstleistungen für die Bevölkerung zu gewährleisten. Dies sind wichtige Themen für die Osttimores:innen, da sie ihr tägliches Leben beeinflussen.

In diesem Zusammenhang werden demokratische Institutionen jedoch zunehmend als unfähig angesehen, langfristige Lösungen für strukturelle und systemische Entwicklungsprobleme zu liefern. Einige Beiträge in den sozialen Medien, informelle Gespräche und Berichte behaupten, dass die politischen Eliten nur an Machtkämpfen und persönlichen Rivalitäten untereinander  interessiert seien und nicht am Wohlergehen der Bevölkerung. Jugend- und Studentenbewegungen kritisieren offen, wie die Macht ausgeübt wird. Die Alianca Nacional Maubere (AMN) (Maubere Nationale Allianz) ist eine dieser Organisationen. Sie behauptet, dass „die Eliten ihre Macht nutzen, um sich Zugang zu den Ressourcen von Timor-Leste zu verschaffen und sie zu ihrem eigenen Vorteil anzuhäufen“.

Politische Unsicherheit und ihre Folgen

Obgleich es sich hierbei um Wahrnehmungen handelt, haben sie bis zu einem gewissen Grad auch Gültigkeit. Als gängige Beispiele dafür werden verschiedene Privilegien genannt, die Staatsbedienstete während ihrer Amtszeit genießen: lebenslange Leistungen für Mitglieder der staatlichen Behörden nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt, allgemein bekannt als Lei Pensaun Vitalisia [1], und die Beschlüsse des Parlaments, in jeder Wahlperiode für jedes Mitglied ein Auto anzuschaffen.

Die zunehmende politische Unsicherheit in den letzten fünf Jahren hat diese Wahrnehmung noch verstärkt und dadurch einen tiefen Riss zwischen den großen politischen Kräften verursacht. Sie ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass es den politischen Eliten auf höchster Ebene nicht gelungen ist, eine gemeinsame Basis zu finden. Obwohl das vor allem auch auf die unterschiedliche Auslegung der Machtstruktur auf der Grundlage der Verfassung zurückzuführen ist, sind die Auswirkungen enorm.

Diese Unsicherheit hat den wirtschaftlichen Abschwung vorangetrieben, das Momentum für die wirtschaftliche Entwicklung zunichte gemacht und die öffentliche Aufmerksamkeit von wichtigeren Entwicklungsthemen abgelenkt. Die Rivalität zwischen den politischen Eliten verschärft sich und beeinträchtigt die Funktionsfähigkeit der demokratischen Institutionen wie die des Parlaments oder des Präsidenten der Republik. Diese Institutionen sind auch in einem gewissen Umfang von Parteiinteressen vereinnahmt worden, was ihre Legitimität infrage stellt.

Ein kleines Boot

Mittlerweile werden die politischen Parteien als Vehikel ihrer Mitglieder angesehen, um Arbeitsplätze und Macht im öffentlichen Sektor zu erlangen, aber nicht, um langfristige Lösungen für die soziale und wirtschaftliche Entwicklung des Landes zu bieten. Diese Wahrnehmungen werden von Präsident Horta in seiner jüngsten Botschaft an die Nation zu den bevorstehenden Wahlen anerkannt.

Der politische Diskurs der Eliten während der Wahlkämpfe – ob Präsidentschafts- oder Parlamentswahlen – konzentriert sich ebenfalls mehr auf die historische Größe von Individuen oder Parteien und weniger auf Politik und Programme. Dadurch wirkt er stark spaltend und von der "alten Garde" dominiert. Die politischen Eliten nutzen das Scheitern der anderen aus und schieben einander die Schuld für die Probleme des Landes zu, an denen sie selbst teilhaben, anstatt alternative Lösungen anzubieten. Dieser Trend hat sich im Vorfeld der anstehenden Wahlen noch verstärkt. Die sozialen Medien, insbesondere Facebook, sind zu einem Kampfplatz für gegenseitige persönliche Angriffe geworden.

Die Sucht nach Öl

Die derzeitige politische Dynamik hat die unmittelbare Folge, dass sie die Qualität und Relevanz von Demokratie für das soziale und wirtschaftliche Wohlergehen der Bevölkerung untergräbt. Da sie sich vor allem um die historische Größe von Individuen, Parteien oder bestimmten Gruppen dreht, lässt sie wichtigere Probleme wie Armut, Jugendarbeitslosigkeit, die Kluft zwischen Stadt- und Landleben, die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Erdöl und die Anfälligkeit durch den Klimawandel in den Hintergrund treten.

Obwohl sich die politischen Entscheidungsträger*innen Timors der "Fiskalklippe" [2] und den realen Gefahren und Risiken, die vor ihnen liegen, bewusst sind, spiegelt sich dies nicht in ihrer Politik wider. Sie sind bereits daran gewöhnt, leicht verdientes Geld als Lösung für alles auszugeben; eine Situation, die als „Sucht nach Öl“ beschrieben wurde. Dies äußert sich in Maßnahmen, die politische Erfolge und kurzfristige Vorteile für die Bevölkerung versprechen, jedoch langfristig extrem hohe Kosten verursachen, insbesondere in einem Kontext, in dem die Ressourcen zunehmend knapper werden. Anstatt dauerhafte Lösungen zu bieten, die die Menschen in die Lage versetzen, aktive Bürger*innen zu sein, nutzen die politischen Eliten die Schwäche der Bevölkerung aus, insbesondere die der armen Landbevölkerung und der arbeitslosen Jugend, indem sie kurzfristige Vorteile wie Zuteilungen und Almosen versprechen.

In der langfristigen Entwicklung dominiert weiterhin das Erdöl die Vision und den Traum des Landes. Ein Beispiel dafür ist die Darstellung von Greater Sunrise [3], einem Öl- und Gasprojekt zwischen Timor-Leste und Australien. Für die Öffentlichkeit und für die Medien ist die Entwicklung dieses Projekts sehr attraktiv und sorgt für Schlagzeilen in den Nachrichten. Betrachtet man die Art und Weise, wie dieses Projekt diskutiert und in den Medien präsentiert wird, so besteht die Erwartung, dass Greater Sunrise eine Art ‚magische Lösung‘ für die facettenreichen Entwicklungsprobleme bieten wird, mit denen Timor-Leste konfrontiert ist. Dies macht die Entwicklung von Greater Sunrise zum entscheidenden Thema bei den bevorstehenden Wahlen.

Klientelismus behindert Entwicklung

Abgesehen vom Erdöl bleibt der politische Diskurs oberflächlich, abstrakt und bis zu einem gewissen Grad sogar Fantasterei. Es werden Begriffe wie ‚soziale Gerechtigkeit‘, ‚integratives Wachstum‘, ‚menschenzentrierte Entwicklung‘ oder ‚wirtschaftliche Diversifizierung‘ von allen Parteien verwendet. Wenn es jedoch um politische Entscheidungen, Programmumsetzung, Ziele, Kosten und Zeitpläne geht, sind sie bedeutungslos. Wichtige Themen wie die wirtschaftliche Diversifizierung, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Verbesserung des Humankapitals waren in den letzten zehn Jahren immer wieder Gegenstand politischer Kampagnen. Es ist jedoch immer noch unklar, wie man in einer Zeit knapper Ressourcen so vieles erreichen kann und ob überhaupt ein klares Verständnis davon besteht, was ein Begriff wie ‚wirtschaftliche Diversifizierung‘ nach sich zieht und wie er in einem so komplexen und unsicheren Kontext umgesetzt werden kann.

Taur Matan Ruak und Xanana Gusmão.

Sobald eine Partei an der Regierung ist, verändern sich die Einstellung und das Verhalten der Parteieliten nicht von Parteifunktionär*innen zu einer Regierung für die gesamte Gesellschaft. Statt öffentliche Güter und Dienstleistungen zu verbessern, legen sie durch die Verteilung öffentlicher Aufträge oder Positionen in öffentlichen Ämtern den Schwerpunkt auf die Ausweitung des Klientelismus der Partei. Dadurch nehmen die Größe und die Kosten des öffentlichen Sektors zu. Alle großen politischen Parteien, die in den letzten fünfzehn Jahren an der Regierung beteiligt waren, haben mehr oder weniger dieselbe Regierungs- und Machtstrategie verfolgt. Politische Parteien dienen somit ihren Mitgliedern immer mehr als Mittel zur Erlangung von Arbeitsplätzen, als dass sie Lösungen für die Bevölkerung bieten und die Qualität der öffentlichen Güter und Dienstleistungen verbessern.

Diese politischen Praktiken und Strategien haben enorme Auswirkungen auf die langfristige Entwicklung des Landes. Sie untergraben das gesunde Funktionieren der souveränen Staatsorgane, die Bereitstellung von öffentlichen Gütern und Dienstleistungen und die Förderung der Leistungsorientierung in der öffentlichen Verwaltung. Sie tragen zu einem Kostenanstieg der staatlichen Bürokratie bei und beeinträchtigen die Verwaltung von öffentlichen Ressourcen sowie die Qualität und Effizienz von Staatsausgaben. Im Allgemeinen machen sie es noch schwieriger, die Richtung des Landes zu ändern.

Aus eigenen Erfahrungen lernen

Wenn es eine Erfahrung gibt, aus der das Land und damit alle Teile seiner Gesellschaft lernen können, dann ist es die eigene Erfahrung der letzten fünf Jahre. Das Scheitern der politischen Eliten, die Interessen des Landes und der Bevölkerung in den Vordergrund zu stellen, verursacht hohe Opportunitätskosten. Die politische Unsicherheit (die im Land immer noch herrscht) hat den Schwung für den Entwicklungskurs des Landes zunichtegemacht und ist auch unmittelbar für die Reihe an wirtschaftlichen Rückgängen seit 2017 verantwortlich. Jetzt ist es an der Zeit, den politischen Eliten beizubringen, dass es völlig normal und sogar erwünscht ist, unterschiedliche Ansichten zu haben. Sie sollten aber auch lernen, ein gemeinsames Verständnis der Entwicklungsherausforderungen des Landes aufzubauen und durch Konsens und Verhandlungen zusammenzuarbeiten. In der Demokratie geht es nicht nur um Unterschiede, sondern auch um die Fähigkeit, einen gemeinsamen Nenner zu finden.

Menschen stehen für die COVID-19 Impfung an
COVID-19 Impfung in Timor-Leste

Darüber hinaus sollten die osttimoresischen Eliten auch etwas über die Komplexität der Welt und des Regierens lernen. Die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und des jüngsten Krieges zwischen Russland und der Ukraine haben unterschiedliche Schwachstellen auf verschiedenen Ebenen des Landes offenbart. Da das Land, um den heimischen Bedarf zu decken, in hohem Maße von importierten Gütern abhängig ist, kam es aufgrund der Unterbrechung der globalen Versorgungskette zu Preissteigerungen, von denen die einkommensschwachen Familien des Landes schwer betroffen waren. Timor-Leste ist auch sehr anfällig für den Klimawandel und hat bereits die Zerstörung öffentlicher und privater Infrastrukturen, ländlicher Lebensgrundlagen, sowie Erosion und ähnliches erlebt. Dies sollte den politischen Eliten die Komplexität des Regierens von Gesellschaften in der globalisierten und integrierten Welt vor Augen führen.

Die Grenzen des Öl-Geldes

Erdöl kann Geld liefern, aber keine Entwicklung. Die Erfahrungen, die Timor-Leste seit seiner Unabhängigkeit gemacht hat, zeigen, dass das Land nicht in der Lage ist, seine eigenen Entwicklungsmöglichkeiten zu verwirklichen. Da Öl leicht verdientes Geld bringt, verleitet dies zu der Annahme, dass es sich ebenso leicht in die Entwicklung und das Wohlergehen der Bevölkerung umsetzen lässt. Leider ist dies nicht der Fall. Öl liefert der Regierung zwar Geld, jedoch zeigen unsere Erfahrungen, dass Geld allein keine vielschichtigen und komplexen Probleme wie Armut, Arbeitslosigkeit, soziale und wirtschaftliche Spaltungen sowie Unterernährung lösen kann. Um diese Probleme anzugehen, reicht es nicht aus, einfach nur Geld in die Wirtschaft und in die Gesellschaft zu pumpen, sondern es bedarf ganzheitlicher und integrierter Politik, einer Veränderung institutioneller Rahmenbedingungen, wirtschaftlicher Anreize und der Beseitigung von administrativen Engpässen.

Die Bayu-Undan Offshore-Anlagen in der Timorsee.

Leider hat das Erdöl einen Großteil unserer Aufmerksamkeit in Anspruch genommen und hält uns weiterhin fest im Griff. Es prägt unsere Visionen und Vorstellungen von der Zukunft. Es hat uns eine Komfortzone und eine Lebensweise verschafft, die wir nicht ändern wollen, obwohl wir wissen wie unhaltbar sie ist. Nach wie vor werden unsere Regierungsführung und unser politischer Rahmen von ihm geprägt. An einem gewissen Punkt schränkt es auch den Denkrahmen der politischen Entscheidungsträger:innen ein, kreativer und innovativer zu denken.

Die Jugend als Quelle der Inspiration

Das Land erlebt zudem einen raschen demografischen Wandel, der durch die wachsende Jugendbevölkerung, eine der größten der Welt, angetrieben wird. Trotz der schwierigen Umstände haben viele junge Menschen die Hindernisse erfolgreich überwunden und konnten sich in der Gesellschaft etablieren. Viele haben die Chance im Ausland ergriffen, durch Studienaufenthalte und Austauschprogramme mit unterschiedlichsten Kulturen in Kontakt zu kommen, sich an Orten mit Beschäftigungsmöglichkeiten wie dem Vereinigten Königreich, Australien und Südkorea aufzuhalten.

Indem sie es der Jugend ermöglichen, sich über das Geschehen in der Welt zu informieren, tragen auch Technologie und Information dazu bei, die Gesellschaft zu verändern. Junge Menschen nutzen Social-Media-Plattformen, um eine positive Rolle in der Gesellschaft zu spielen, z. B. als Social Influencer*in, Social-Media-Motivator*in, Social Entrepreneur*in, Trainer*in, Pädagog*in, Schriftsteller*in, Fürsprecher*in und ähnliches. Dort schaffen sie eigene Räume, um ihre Ideen und Ansichten zu einer Vielzahl von Themen in Timor-Leste zu äußern. Viele haben die Initiative ergriffen und Risiken auf sich genommen, um ihr eigenes Unternehmen zu gründen und der Gesellschaft verschiedene Geschäftsmodelle anzubieten. Jugendliche sind zu einer Quelle der Inspiration geworden und treten in unterschiedlichen Umgebungen auf, um ihre Erfahrungen, ihre Nöte und ihre inspirierende Botschaft an ihre Mitmenschen weiterzugeben.

In einer aktuelle Studie stellt die The Asia Foundation einige ihrer Ansichten vorgestellt. Ein interessanter Befund der Studie ist, dass sich „die jugendlichen Teilnehmenden um soziale Themen wie soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigung der Geschlechter, Bildung, Erwerbstätigkeit und psychische Gesundheit Gedanken machen“. Sie engagieren sich auch für LGBTQIA+-Rechte, Menschen mit Behinderungen, Arbeitsrechte und Bewegungen für Anti-Diffamierungsgesetze. Kurz gesagt, die Jugend steht nicht außerhalb des Kontextes der sozialen Probleme in Timor-Leste und sie hat ihre eigene Plattform geschaffen, um aktiv zu sein.

Treffen der politisch führenden Personen von Timor.

Die Suche nach politischem Wandel

Daher ist es unerlässlich, dass die Parteieliten und die Gesellschaft im Allgemeinen umdenken und die Richtung ändern. Der politische Wandel ist von entscheidender Bedeutung, um sich von historischen, auf Persönlichkeiten basierenden Narrativen zu trennen und langfristige Lösungen für einige der strukturellen und systemischen Entwicklungsprobleme zu finden. Die Regierung muss erkennen, dass das Land komplexeren Problemen gegenübersteht, die nicht einfach mit mehr Geld gelöst werden können. Präsident Ramos Horta hat bereits an das Land appelliert, indem er alle politischen Parteien an die Bedeutung der nächsten fünf Jahre für die Zukunft des Landes erinnert hat. Er forderte, dass die Parteivorsitzenden in der Lage sein müssen, zwischen den Interessen der Parteien und jenen des Landes zu unterscheiden.

Timor-Leste in der UN-Generalversammlung.

Erstens müssen die Parteieliten anerkennen, dass sich die Welt verändert. Timor-Leste ist trotz seiner geringen Größe und mit all seiner Ungewissheit, Komplexität und Volatilität ein Teil der Welt. Die Auswirkungen der aktuellen Pandemie, des Krieges in der Ukraine und des Zyklons Seroja sind nur wenige Beispiele dafür. Auch auf nationaler Ebene verändert sich die demografische Struktur. Das bedeutet, dass sich die politischen Institutionen in ihrer Regierungsstrategie an diese Realitäten anpassen müssen. Ohne dies drohen sie ihre Relevanz für das Leben der Bevölkerung zu verlieren, was wiederum ihre Legitimität untergraben und dem Prozess des Staatsaufbaus entgegenstehen würde.

Zweitens sollen die Parteieliten realistischere, pragmatischere und klarere politische Entscheidungen treffen. Auch das Problem der drohenden Fiskalklippe müssen sie ernst nehmen. Wird diese grundlegende Tatsache ignoriert, kann das Land in eine katastrophale Situation geraten. In diesem Kontext muss sich die Regierung auch bemühen, Ausgaben zu rationalisieren und unnötige deutlich zu reduzieren. Dies kann durch die Einführung bestimmter fiskalischer Regeln erreicht werden, um die Verlockungen von leichtem Geld einzudämmen und die wachsende Zahl autonomer Behörden und staatlicher Unternehmen zu begrenzen. Damit könnten auch die öffentlichen Ressourcen auf produktivere Sektoren oder Programme umverteilt werden, die mit geringeren Kosten größere Auswirkungen auf das Leben der Bevölkerung haben.

Drittens müssen sich die politischen Eliten bewusst sein, dass Themen wie die Fiskalklippe, Armut, Ungleichheit, Jugendarbeitslosigkeit, das Stadt-Land-Gefälle und der Klimawandel erhebliche Bedrohungen für das Land darstellen. Anstatt die Schwäche der armen und gefährdeten Bevölkerungsgruppen auszunutzen, um Sympathien zu gewinnen, sollten die Parteieliten langfristige Lösungen anbieten, die der Bevölkerung die Möglichkeit geben, aktiv zur Entwicklung beizutragen. Die Politik sollte sich davon abwenden, gefährdete Gruppen als passive Bürger:innen zu behandeln, die die Hilfe des Staates benötigen. Vielmehr sollte sie diese dazu befähigen, ihr Leben als unabhängige Bürger:innen aufrechtzuerhalten und einen Beitrag zum Staat zu leisten, und nicht andersherum.

Osttimor Flagge beim Sonnenuntergang

Schließlich erfordert die derzeitige politische Dynamik eine aktivere Rolle der zivilgesellschaftlichen Gruppen. Dazu gehören Student*innen, Jugendgruppen, Nichtregierungsorganisationen, die Medien, Akademiker*innen und religiöse Gruppen, die alle außerhalb der politischen Parteistruktur stehen. Diese Gruppen können eine außerparlamentarische Kontrollfunktion übernehmen und die Parteieliten für die Art und Weise, wie sie Macht ausüben, zur Verantwortung ziehen. Die politischen Eliten müssen nämlich ausgewogenere Informationen liefern, die auf Tatsachen und langfristigen Perspektiven beruhen, realistischere politische Entscheidungen treffen und die Bevölkerung über die tatsächliche Situation des Landes informieren. Diese Rollen sind in einer Situation, in der staatliche Institutionen wie das Parlament zu versagen scheinen, umso wichtiger.

Angesichts der heiklen und komplexen Herausforderungen in Timor-Leste, ist nicht nur politischer Wille und die Abkehr von leeren Parolen gefragt, sondern auch echter Mut der politischen Eliten, schwierige Entscheidungen in einem Moment zu treffen, in dem das Land sie am meisten braucht.

Übersetzung im Auftrag der Stiftung Asienhaus von Talia Willig. Die Analyse ist auch als Blickwechsel bei der Stiftung Asienhaus erschienen.


Anmerkungen

[1] Lei Pensaun Vitalicia ist ein vom osttimoresischen Parlament verabschiedetes Gesetz, das den Mitgliedern staatlicher Hoheitsorgane, wie Parlamentsmitgliedern, Regierungsmitgliedern, dem:der Präsident*in der Republik und dem:der Präsident*in des Obersten Gerichtshofs lebenslange Renten und Leistungen garantiert. Es umfasst ein monatliches Gehalt, medizinische Versorgung im Ausland und mehr, je nach Dienstgrad und -dauer.

[2] Im Kontext von Timor-Leste bezieht sich die ‚Fiskalklippe‘ auf eine Situation, in der der Erdölfond zur Neige geht, sodass die Regierung nicht genügend Finanzierungsquellen hat, um ihre Ausgaben und Verpflichtungen zu decken. Dies wird die Regierung zwingen, ihre Ausgaben massiv zu kürzen und den Wirtschaftskreislauf von Timor-Leste erheblich zu beeinträchtigen.

[3] Greater Sunrise ist ein Erdöl- und Gasfeld, das etwa 450 km nordwestlich von Darwin und 150 km südlich von Timor-Leste liegt. Die Entwicklung dieses Projekts ist noch unklar.


Auf der Suche nach Wandel in der Politik von Timor-Leste

Auf der Suche nach Wandel in der Politik von Timor-Leste

Von Guteriano Neves

Klicken Sie hier, um das E-Paper herunterzuladen (PDF).

Herausgegeben von: Stiftung Asienhaus
Publiziert am:             Mai 2023
Schriftenreihe:           Blickwechsel
Commons-Lizenz:      CC BY-SA 4.0



Die vom Autor geäußerten Ansichten sind nicht notwendigerweise die der Heinrich-Böll-Stiftung.

Dieser Artikel erschien zuerst hier: th.boell.org