Ennio Friedemann, Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg

Bürgerschaftliche Daseinsvorsorge

Die Erbringung von Daseinsvorsorgeleistungen unterliegt stetigem Wandel. Wurde in der Anfangszeit der Bundesrepublik zumindest nach gängiger Rechtsmeinung noch allein der Staat bzw. die Kommunen als zur Erbringung öffentlicher Dienstleistungen verpflichtet angesehen, folgte ab den 1990er Jahren ein ebenenübergreifender Privatisierungsschub, dessen rechtliche Aufarbeitung bis heute andauert. Schon ab 2010 zeigte sich auf kommunaler Ebene die Tendenz, lebensnotwendige Infrastrukturen in die öffentliche Hand zurückzuführen („Rekommunalisierung“). Parallel hierzu macht sich eine weitere Entwicklung bemerkbar: Sowohl aufgrund staatlicher Anreize als auch, um Versorgungslücken staatlicher und marktlicher Leistungserbringung zu schließen beteiligen sich Bürger:innen an der Erbringung von Daseinsvorsorgeleistungen: Bürgerbusse und Bürgerenergiegesellschaften (§ 36g EEG) sind hierfür die bekanntesten Beispiele.

In der Arbeit sollen sektorenübergreifende rechtliche Strukturen dieser "bürgerschaftlichen" Leistungserbringung herausgearbeitet und auf ihre verfassungs- und europarechtlichen Grenzen überprüft werden. Auf europäischer Ebene stellt sich vor allem die Frage, welche Grenzen das europarechtliche wettbewerbsbasierte Modell einer Privilegierung "bürgerschaftlicher" Akteure setzt. Aus verfassungsrechtlicher Sicht geht es darum, ob der Staat auch hier - wie im Fall der Privatisierung - eine Gewährleistungsverantwortung für die Erbringung der Leistungen hat und wie diese ausgestaltet sein muss. Außerdem stellt sich die Frage, ob auch bürgerschaftliche Leistungserbringer zur gleichmäßigen Erbringung ihrer Leistungen verpflichtet werden können.