Mit Kunst gegen Krise

Hintergrund

Die Wanderausstellung „Zur Nachahmung empfohlen! Erkundungen in Ästhetik und Nachhaltigkeit“ kehrt nach 13 Jahren wieder nach Berlin zurück und bringt grenzüberschreitende Ideen aus Kunst und Wissenschaft zur Rettung des Planeten mit.

Schmelzende Eisfiguren hängen an Bändern

Stellen Sie sich vor, auf ihrem Unterarm wächst eine kleine Pflanze. Nur wenige Millimeter hoch, nimmt sie das von Ihnen produzierte Kohlendioxid und die Absonderungen der Schweißdrüsen auf. Gleichzeitig fügt sie Ihrer Haut frischen Sauerstoff und andere organische Stoffe zu. Eine Symbiose, von der beide profitieren und Strategie gegen den schwindenden Lebensraum für Mensch und Pflanze. 

Was nach Science-Fiction klingt, ist ein Kunstwerk. „Dermoherba“ ist eine Installation aus einem Plastikmodell und einer Informationstafel von Antal Lakner. Der ungarische Künstler arbeitet an der Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft – mit dem Blick in eine Zukunft geprägt von sich verändernden Lebensräumen. Damit steht er programmatisch für die Ausstellung „Zur Nachhaltigkeit empfohlen! Erkundungen in Ästhetik und Nachhaltigkeit“ in den Uferhallen in Wedding.

Mit einem interdisziplinären Ansatz und umfangreichem Rahmenprogramm lenkt das Ausstellungsprojekt nicht nur auf die Schmerzpunkte der ökologischen Krisen weltweit, sondern zeigt auf, wie nachhaltiges Handeln, umweltpolitisches Engagement und künstlerische Praxis gemeinsam Alternativen kreieren können. „Was wir dringend brauchen, sind Visionen und Bilder einer veränderten Gesellschaft“, sagt Kuratorin Adrienne Goehler und betont damit die Notwendigkeit, Nachhaltigkeit und Ästhetik zusammenzudenken. 

Die ehemalige Berliner Kultursenatorin hat die Schau 2010 erstmals am selben Standort präsentiert und ging damit auf Reisen von Adids Adeba bis Valparaíso. An jedem Ort kamen neue Sichtweisen und neue Exponate dazu. Und auch Herausforderungen, nachhaltige Lösungen für Transport und Präsentation zu finden, erzählt Goehler. Zum Abschluss kehrt sie wieder nach Berlin zurück und zeigt auf 2400 Quadratmetern 82 ausgewählte Skulpturen, Installationen, Fotografien und Videoarbeiten.

Nicht alles stammt aus dem Feld der Bildenden Kunst, wie die mit einem Fahrrad betriebene Waschmaschine des Erfinders Christian Kuhtz, oder überzeugt mit einer ästhetischen Idee wie die DIY-Anleitung zur Herstellung von kompostierbaren Windeln der Künstlerin und Unternehmerin Ayumi Matsuzaka. Doch, dass das eine durchaus skulpturale Qualitäten besitzt und das andere zum Happening mit Freunden werden kann, lässt an Marcel Duchamps Readymades denken und vor allem an Joseph Beuys und seine Erweiterung des Kunstbegriffes zur sozialen Plastik hin. Mit „7000 Eichen“ lieferte er die Blaupause für eine künstlerische sowie ökologische Praxis, als er 1982 zur Dokumenta 7 besagte Eichen in Kassel zusammen mit Freiwilligen pflanzte. Ein ZDF-Bericht darüber ist in der Mitte der Halle zu sehen, Beuys als ein zentraler Bezugspunkt, dessen Mythos klugerweise auf einen kleinen Fernseh-Monitor gebannt wurde.

Gerade in diesen disziplinären Grenzüberschreitungen sieht Goehler das Potential für gesellschaftliche Transformation und fordert ein kulturpolitisches Umdenken:

„Mein Ziel mit dieser Ausstellung war und ist, diese Arbeiten zu zeigen und für einen Fonds für Ästhetik und Nachhaltigkeit zu werben. Wir brauchen Förderinstrumente, die über die Bubbles hinaus eine Verbindung von Kunst und Wissenschaft ermöglichen.“

Derweil fördert in einer witzigen und tiefsinnigen Aktion die Künstlerin Christin Lahrs den Staat. „Macht Geschenke“ heißt ihr Langzeitprojekt, bei dem sie seit 2009 täglich einen Cent an das deutsche Finanzministerium überweist und damit der wachsenden Staatsverschuldung entgegenwirkt. Als Verwendungszweck trägt sie 108 Zeichen aus Karl Marx’ „Das Kapital“ ein. Nach 43 Jahren ist der gesamte Text übertragen worden. Wie es wohl bis dahin mit der herrschenden politischen Ökonomie aussieht?

Einen überraschenden Blick auf die Schönheit von Wanzen legt Cornelia Hesse-Honegger frei. Dabei verbinden die meisten mit den Tierchen ein Gefühl des Ekels. Die Künstlerin und Forscherin hat sie systematisch seit 1987 in der Nähe von Atomanlagen wie Tschernobyl in der Ukraine gesammelt und auf großformatigen Aquarellen festgehalten - samt Missbildungen. Ein verkürzter Fühler, ein verformter Flügel, eine wuchernde Zyste durchbrechen die komplexen und feinen Körper der Insekten. Diese Arbeit gehört zu den veranschaulichenden und anklagenden in der Schau. Zum Gefühl des Mitleids gesellt sich beim Betrachten ein gewisser Ekel vor dem ignoranten Umgang des Menschen mit anderen Lebewesen.

Einen sensiblen und intelligenten Umgang mit der Natur und ihren Ressourcen visualisieren Projekte, die sich mit alternativen Baustoffen wie Wolle, Hanf und Baumrinde beschäftigen. Es ist das Kernthema der Ausstellung, denn die konventionelle Baubranche ist für knapp 30 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes und für 50 Prozent des Ressourcenverbrauchs verantwortlich. 

Dass es auch anders geht, zeigt auf besonders eindrückliche und einnehmende Weise die mit Schafwolle verkleidete Hütte von Folke Köbberling. Drinnen klärt die Künstlerin über die heimische Schafwolle auf, die als Nebenprodukt bei der Landschaftspflege und Fleischproduktion großzügig vorhanden ist, aber aufgrund ökonomischer Gegebenheiten mittlerweile eher als Abfallprodukt gilt. Dabei hat sie ein großes Potential als nachhaltiger Dämm- und Isolierstoff.

Es ist eine Stärke der Ausstellung, dass sie Besucher:innen im Angesicht all der ökologischen Katastrophen nicht allein lässt, sondern sie mit Lösungsideen aus Kunst und Forschung bekannt macht. Sie fordert auf, interdisziplinär zu denken und etablierte Strukturen zu hinterfragen – ob bei Baustoffen oder in der Kunst.