Wenn der Wald gewinnt

In der Wirtschaftskrise von 2008, als der Rest der Welt damit beschäftigt war, Banken zu retten, hat sich Ecuador eine Verfassung gegeben, die alles auf den Kopf und die Natur ins Zentrum stellt. Noch immer ist der kleine Andenstaat das einzige Land, in dem alle Natur als Rechtssubjekt gilt. Zumindest auf dem Papier. ­Wälder, Flüsse und Wiesen haben hier ein Existenzrecht aus sich selbst ­heraus, und nicht, weil sie uns Menschen dienen. Die Idee kann ­einen revolutionären Paradigmenwechsel auslösen, denn sie setzt eine evolutionäre Reihe fort: Erst erhielten Sklaven Rechte, dann Frauen, jetzt also die Natur. Mutter Erde oder «Pachamama» in Ecuador. 

Illustration: Eine Hand hält einen Wald und die andere schützt ihn von oben

Vor gut 15 Jahren geriet ich dort zufällig in einen Kupfer­minenkonflikt. Paramilitärs stürmten ein Dorf im Regenwald, um die Leute von ihrem Land zu vertreiben. Ich machte Fotos, war aber vor allem überfordert. Irgendetwas hatte das auch mit mir zu tun. Mit mir und Europa und der Welt. Doch ich hatte keine Ahnung, was. Es war der Anfang einer langen Reise. Vor Kurzem war ich wieder in Ecuador und in genau diesem Nebelregenwald von Intag, nördlich von Quito in den subtropischen Anden. Ein sogenannter Biodiversitätshotspot, in dem so viele Arten leben wie sonst kaum auf der Welt. Noch immer wollen Konzerne an das Kupfer untendrunter, denn der Rohstoff ist elementar für die globale Energie- und Mobilitätswende. Doch dafür einen Regenwald zu zerstören, macht wenig Sinn und ist in Ecuador nun auch illegal. Gerade entschied ein Gericht, dass der größte Kupferkonzern der Welt, Codelco, ­seine Arbeiten im Intag-Tal einstellen muss. Diese widersprächen den Rechten der Natur.

Fast 30 Jahre kämpfen die Menschen dort nun schon für ihren Wald. Manche nehmen tägliche Strapazen, finanzielle Schwierig­keiten und gar Monate im Gefängnis dafür in Kauf. Die Nachricht vom Urteil hingegen nahmen sie erstaunlich nüchtern auf. Die nächste Firma oder Regierung käme bestimmt, die Bedrohung des Waldes sei noch lange nicht vorbei. Wenn die Welt doch endlich einsehen würde, dass der wahre Reichtum nicht in noch mehr Autos und Geld liegt, sondern in Gemeinschaft und Gesundheit.

Wenn die Welt doch endlich einsehen würde, dass der wahre Reichtum nicht in noch mehr Autos und Geld liegt, sondern in Gemeinschaft und Gesundheit.

Deutschland spielt als Mega-Importland eine zentrale Rolle im globalen Rohstoffhandel, besonders jetzt in der globalen Transformation hin zu erneuerbaren Energien, E-Mobilität und immer mehr Digitalisierung. Der Druck, frisches Kupfer aus der Erde zu holen, steigt. Doch seit Anfang des Jahres hat sich Deutschland nun mit dem Lieferkettengesetz selbst ein kleines bisschen «Pachamama» verschrieben. Das Gesetz soll die zerstörerischen Auswirkungen ­unseres schönen Bundesbürger:innenlebens in den anderen Teilen der Welt etwas eindämmen und versucht das vor allem mit Menschenrechten. Doch auch damit schützt es die Natur, zumindest ­indirekt wie zum Beispiel mit dem Verbot einer schädlichen ­Boden- oder Wasserverunreinigung, die zu Menschenrechtsverletzung führen könnte. Und einmal mehr wird klar: Menschenrechte und die Rechte der Natur sind untrennbar miteinander verbunden. Wir sind Natur.


Elisabeth Weydt ist freie Journalistin und Mitbegründerin von Radio Utopistan, einem gemeinnützigen Medienhaus zur Verbreitung konstruktiver Geschichten. Ihre Themen drehen sich meist um Rohstoffausbeutung, Justizsysteme und die transformative Kraft der Zivilgesellschaft. Im September erscheint ihr Buch «Die Natur hat Recht» im Knesebeck-Verlag.

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