Lukas Schwemmbauer, Universität Leipzig

Ostdeutsche Identitätspolitik? Konstruktionen ostdeutscher Identität in Redebeiträgen von Bundestagsabgeordneten (1990-2024)

Der Zusammenbruch des Sowjetimperiums und die darauffolgenden postsozialistischen Transformationsprozesse hinterließen ein Identitätsvakuum, das auf dem Gebiet der früheren DDR mit der Fremd- und Eigenzuschreibung des bzw. der Ostdeutschen teilweise gefüllt wurde. Die damit zusammenhängende Frage nach ost- und westdeutschen Partikularitäten ist umkämpft und von historischen Bezügen geprägt (vgl. Borges/Wiest 2021; Heft 2020; Hensel et al. 2021; Kollmorgen 2011).

Die Forschung zu spezifischen Konstruktionsprozessen und Dimensionen ostdeutscher Identität bleibt allerdings auch über 30 Jahre nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit lückenhaft. Dies ist deshalb überraschend, weil sich insbesondere in der parteipolitischen Arena mögliche Konturen einer ostdeutschen Identitätspolitik zeigen: Die AfD macht mit der Forderung nach einer „Wende 2.0“ (AfD will "Wende 2.0" 2019: o. S.) explizit Ost-Wahlkampf für vermeintlich Unterdrückte; der Thüringer SPD-Innenminister Georg Maier versucht sich vom „Wessi“ (Modersohn 2022: o. S.) in einen „Ossi“ (ebd.) zu verwandeln, um seine Kandidatur für das Amt des thüringischen Ministerpräsidenten zu stärken; und im Bundestag spielen „ostdeutsche Besonderheiten“ (Deutscher Bundestag 2022: 6881) parteiübergreifend auch in der jüngeren Vergangenheit eine wichtige Rolle.

Diese Versuche, ostdeutsche Identität als politische Ressource nutzbar zu machen, weisen auf eine weitreichendere Problemstellung hin: Die Frage danach, was es hieß und was es heißt, ostdeutsch zu sein, wurde bisher nicht umfassend beantwortet, obwohl sie für unser Verständnis der politischen Landschaft der BRD von entscheidender Bedeutung sein kann. Eine empirische Untersuchung ostdeutscher Identitätskonstruktion in der parteipolitischen Arena erscheint vor diesem Hintergrund dringend notwendig. Das Forschungsvorhaben rückt dabei insbesondere die Frage in den Fokus, welche ostdeutschen Identitätsentwürfe im Bundestag von wem wann wie artikuliert werden.