30 Jahre Kambodscha-Büro: Vom Buddhistischen Institut zum Landesbüro

Interview

Das Kambodscha-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung feiert 2023 sein 30-jähriges Jubiläum. Heike Löschmann war zentral daran beteiligt, die Stiftung in Kambodscha aufzubauen. Im Interview erklärt sie, wie sie nach Kambodscha kam, wie buddhistische Gemeindestrukturen in einer stark traumatisierten Gesellschaft wiederbelebt werden, und warum westliche Entwicklungszusammenarbeit sowohl Teil der Lösung als auch Teil des Problems ist.

Heike Löschmann mit ihrer späteren Nachfolgerin, Dr. Hema Goonatilake in den 1990iger Jahren
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Heike Löschmann mit ihrer späteren Nachfolgerin, Dr. Hema Goonatilake in den 1990er Jahren

Eines der ersten Büros der damaligen Heinrich-Böll-Stiftung in Asien wurde von dir 1993 in Kambodscha eröffnet. Wie kam das?

Na ja, ein eigenes Büro der Stiftung aufzubauen, war zunächst gar nicht der Auftrag. Ich war als Fachkraft im Buddhistischen Institut in Phnom Penh tätig, das zunächst auf dem Gelände eines buddhistischen Klosters wiedereröffnet wurde. Gastgeber für das Projekt war der ordensoberste Mönch des buddhistischen Sangha, Ven. Tep Vung. Das BMZ hatte der (damaligen) Heinrich-Böll-Stiftung in Köln einen riesigen Antrag zum Wiederaufbau des Buddhistischen Instituts bewilligt. Das Institut und seine Bibliothek waren während der Herrschaft der Khmer Rouge komplett zerstört worden. In die alten Räumlichkeiten des Institutes war nach 1979 das kambodschanische Außenministerium eingezogen. Der Wiederaufbau des Institutes sollte verbunden werden mit der Förderung von traditioneller Zivilgesellschaft, also von Pagodenkommittees, Mönchen und Nonnen, die in den buddhistischen Tempeln psychosoziale oder andere Formen der Sozialarbeit leisteten und als traditionelle Führungskräfte am Wiederaufbau zerstörter Gemeindesstrukturen und in der Friedensarbeit tätig waren.

Dass ich damals mit der Böll-Stiftung in Phnom Penh gelandet bin, war eher Zufall. Ich wurde von Roshan Dhunjiboy, meiner späteren Kollegin im Projektbüro Pakistan, gewissermaßen in den Projektakten aufgespürt. Dort fand sie ein Unterstützungsschreiben der Studiengemeinschaft Kambodschanische Kultur e.V. für das Projekt, geschrieben für das BMZ. Ich hatte von 1991 bis 1993 im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für diesen Verein gearbeitet. Zuvor hatte ich an der Humboldt-Uni zu Buddhismus und Politik promoviert und sprach fließend Khmer – ich war sozusagen der passende Deckel zum Programmtopf, der bereits auf dem Feuer stand!

Im November 1999 wurde dann ein Stiftungsbüro für die Südostasienarbeit in Chiang Mai im Norden Thailands eröffnet. Dort war ich als Büroleitung mit eigenem Böllmandat tätig, und von dort wurde zunächst die Arbeit in Kambodscha und Myanmar betreut. Ab 2007 wurde dann ein eigenständiges Büro mit unserer Kollegin Katrin Seidel als entsandte Büroleiterin in Phnom Penh aufgebaut.

Wie können wir uns die Arbeit damals vorstellen – auch und vor allem im Unterschied zu jetzt?

Ende 1993 fand ich in Kambodscha noch immer eine traumatisierte und zerstörte Gesellschaft vor, ich hatte zuvor 1985/86 ein Jahr an der späteren Royal University Phnom Penh studiert. Es ging zunächst auch um die Stärkung der verloren gegangenen und in Selbstzweifeln geschundenen kambodschanischen Identität. Die hauptsächliche Arbeit bestand in der Ausbildung von jungen Menschen, die am PC arbeiten und Texte eintippen können. Wir haben sogar die ersten Khmer-Schriftsätze für Macintosh und später IBM-Systeme entwickelt, damit neben dem Wiederaufbau des buddhistischen Instituts als „Clearing house for Khmer Culture and Customs“ auch die Buchproduktion wieder in Gang kam. Es gab in Nebengebäuden eine kleine Druckerei, in der Kinder- und Jugendliteratur, Werke des buddhistischen Tripitaka oder beliebte Romane aus den 50er bis 70er Jahren wie auch moderne Literatur aufgelegt wurden. Die Bücher wurden in der hauseigenen Bibliothek bereitgestellt, aber auch im öffentlichen Verkauf angeboten. Den Aufbau der Bibliothek hatte Thonevath Pou übernommen, der zuvor in der Bibliothek des Deutschen Instituts für Entwicklung (DIE) in Berlin tätig war. Thonevath war in den 70er Jahren zum Germanistikstudium nach Leipzig gekommen und sattelte später in Westberlin mit einer Ausbildung zum Bibliothekar um.

Wir haben parallel dazu versucht, über die seit 1979 wieder aufgelebten buddhistischen Strukturen zu arbeiten. Da ging es im ländlichen Bereich um ganz Existenzielles, so etwas wie Wasserversorgung und Ernährungssicherung. Auch was Bildung anbelangt, waren die buddhistischen Tempel zentral. Hier haben wir beispielsweise eine Art Mädcheninternat in den buddhistischen Tempeln initiiert, damit es auch Mädchen möglich ist, weiterführende Schulen zu besuchen, um die Hochschulreife zu erlangen. Für Jungs war das traditionell schon immer möglich, im Umfeld einer Schule Unterkunft und Verpflegung zu erhalten, entweder als Tempeljunge oder als ordinierter Novize. Die traditionellen Tempel-Strukturen waren sehr patriarchal. Später haben wir diese Arbeit erweitert und buddhistische Nonnen ausgebildet und darin unterstützt, als Sozialarbeiterinnen tätig zu sein.

Wenn ich nach 30 Jahren zurückblicke, muss ich sagen, das war ein sehr gut in existierenden sozialen Strukturen verwurzelter Ansatz. Aber am Ende haben wir den Kampf verloren. Denn die moderne, nach der UNTAC Mission entstehende Zivilgesellschaft war eine extern induzierte. Eine 2010 veröffentlichte Studie beschreibt diese Situation als „donor playground.“ Leider führte ein Überangebot an Gebergeldern zur NGO-isierung in Kambodscha - verbunden damit wurde Arbeit, die traditionell in freiwilliger Arbeit und in traditionellen Strukturen verankert war, monetarisiert. Mit der UN-finanzierten Rückkehr- und Wiederansiedlungsmission von zehntausenden von Kambodschanern aus den Flüchtlingslagern im kambodschanischen Grenzgebiet entstanden zudem jede Menge Jobs zunächst in internationalen NGOs, die die traditionellen Selbsthilfestrukturen in den Tempeln ablösten. Westliche Entwicklungszusammenarbeit ist eben nicht nur Teil der schnellen Lösung, sondern auch Teil des Problems nicht nachhaltiger Arbeitsstrukturen.

Wie hast du die kambodschanische Gesellschaft damals erlebt?

Als eine extrem traumatisierte Gesellschaft. Bei vielen Personen, mit denen ich damals gearbeitet habe, habe ich immer wieder gemerkt, dass sie Konzentrationsschwierigkeiten hatten – kein Wunder nach einer traumatischen Kindheit und Jugend. Gleichzeitig kamen auch damals schon Anfang der 1990er die ersten Rückkehrer*innen zurück aus dem französischen oder amerikanischen Exil, und aufgrund ihrer Sprachkenntnisse und westlicher Bildung haben sie schnell die NGO-Szene und die Geldtöpfe dominiert. Das war schon in den frühen 90ern sehr konfliktbeladen.

Wie wurde Kambodscha damals in Deutschland wahrgenommen - siehst du einen Unterschied zu heute?

Es gab in den 70er und 80er Jahren eine kleine Gemeinschaft kambodschanischer Studierender und Auszubildender in der DDR, z.B. in der Textilindustrie oder den Ingenieurwissenschaften. Die erste Generation Studierender in der DDR hatte in den Jahren der Khmer Rouge keine Möglichkeit zurückzukehren. Viele von ihnen beantragten Asyl in Westdeutschland, so auch unser Bibliothekar im Buddhistischen Institut, Thonevath Pou. Eine der ersten Verwaltungspersonen im Projekt des Buddhistischen Instituts, Frau Rasmey Long, war eine in der DDR ausgebildete Textilfverarbeitungsfrachfrau.

Nico Mesterham aus dem Meta House in Phnom Penh hat in seinem neuen Dokumentarfilm „Bruderhilfe“ das Leben einiger Kambodschaner*innen nachgezeichnet. Es lohnt sich, diese Dokumentation zu sehen, um ein Gefühl für die Zeit und das Leben der Kambodschanischen Flüchtlinge der ersten Generation zu kriegen. Während der Mauerparty am 31.12.1989 setzten sich eine Reihe von Student*innen aus der DDR nach Westberlin ab. Sie haben unmittelbar nach den ostdeutschen Flüchtlingen die bereitstehenden Erstunterkünfte besiedelt, und ich habe ihre Habseligkeiten aus den Studentenwohnheimen in Ostberlin mit einem klapprigen Trabant an den neuen Lebensort gekarrt.

Wenn du Dir etwas für Kambodscha wünschen könntest, dann wäre das…

sich doch wieder etwas aus der starken chinesischen Dominanz und Überformung zu befreien, vor allem bezogen auf die Möglichkeit des Erhaltes der sehr eigenen kulturellen Identität…

Mit Heike Löschmann sprachen  Mia Kruska und Ruth Streicher.