CEDAW-Ausschuss: Deutsche Klimapolitik ist nicht geschlechtergerecht

Analyse

Die Vertragsstaaten der Frauenrechtskonvention CEDAW werden regelmäßig überprüft, ob sie ihrer Sorgfaltspflicht zum Schutz der Frauen-Menschenrechte nachkommen. Nach der diesjährigen Überprüfung zeigte sich der CEDAW-Ausschuss besorgt, dass Deutschland mit seiner Klima- und Energiepolitik die Rechte von Frauen und vulnerablen Gruppen verletzt. Er mahnte ein deutlich engagierteres Vorgehen Deutschlands in der Klima- und Umweltpolitik an.

Steinkohlekraftwerk München Nord aus der Ferne im Schnee
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Der gestiegene Steinkohleimport Deutschlands führte zu einem stetigen Ausbau der größten Kohlemine Lateinamerikas, El Cerrejón, mit fatalen Folgen für die dortige Bevölkerung.

„Erkennt die Bundesregierung an, dass die Nichteinhaltung des Pariser Abkommens und das Verfehlen des 1,5 Grad-Ziels eine Verletzung der Menschen- und Frauenrechte gemäß CEDAW darstellt?“

Und:

„Was ist die Bundesregierung bereit zu tun, um ihren internationalen Verpflichtungen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen einerseits und der Umsetzung der Anti-Diskriminierungskonvention andererseits durch eine kohärente nationale Politik nachzukommen?“

Ungewöhnliche Fragen wie diese richteten die Sachverständigen des UN-Ausschusses für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau (Committee on the Elimination of Discrimination Against Women) an die Bundesregierung Deutschlands, während des diesjährigen Berichtserstattungsverfahrens zur Umsetzung der Anti-Diskriminierungskonvention  (Convention on the Elimination of Discrimination Against Women, CEDAW).

Ungewöhnlich sind diese Fragen jedoch nicht, weil sie die Regierung an ihre doppelte Sorgfaltspflicht und an den Zusammenhang von Treibhausgasemissionen, Klimakrise und einer besonderen Betroffenheit von Frauen und anderen verletzlichen Gruppen erinnert. Ungewöhnlich ist vielmehr das UN-Dach des Amtes des Hohen Kommissars für Menschenrechte (Office of the High Commissioner for Human Rights, OHCHR), unter dem diese vernetzten Fragen aufgeworfen wurden: Ein neuerlicher Anstieg der deutschen Steinkohleimporte und eine fortgesetzte Verkehrspolitik zu Gunsten des Autoverkehrs als Tatbestand der Diskriminierung von Frauen und Hindernis gesellschaftlicher Chancengleichheit aller Geschlechter in und durch Deutschland?

Der CEDAW-Ausschuss, eines von zehn UN-Vertragsorganen (Treaty Bodies), nimmt diese Verknüpfung sehr ernst und hat sich in der Revision des neunten periodischen Staatenberichts im Rahmen seiner 85. Sitzung im Mai 2023 erstmalig besorgt über die Klima- und Energiepolitik Deutschlands als eine Gefahr für Diskriminierung von Frauen geäußert.

Der Klimawandel vertieft die Geschlechterungleichheit

Die meteorologischen Folgen des Klimawandels werden häufiger und nehmen an Zerstörung zu. Doch die Klimakrise wirkt nicht geschlechtsneutral, denn Frauen und Mädchen gehören zu denjenigen, die unter dem Verlust von Wohnung, Anbauflächen, der lokalen Gemeinschaft, vor allem aber unter den entstehenden Lücken in der Infrastruktur und in der Vorsorge leiden, die durch Überschwemmungen, Stürme, Brände und Dürre in ihrer Umgebung verursacht werden.

Bleibt der Klimawandel ungebremst, wird er die Anfälligkeit von Frauen für Armut und Hunger deutlich erhöhen.

Sie sind es, die aufgrund der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zusätzlich unbezahlte Fürsorge- und Aufräumarbeiten leisten müssen; sie sind es auch, die unter der bereits jetzt erheblichen Zunahme von geschlechtsbasierter Gewalt leiden, wenn sie sich in der Umsiedlung oder auf der Flucht befinden. Bleibt der Klimawandel ungebremst, wird er die Anfälligkeit von Frauen für Armut und Hunger deutlich erhöhen und hart erkämpfte Entwicklungserfolge untergraben. So prognostiziert UN Women, dass bis Mitte des Jahrhunderts über 100 Millionen mehr Frauen und Mädchen als Männer und Jungen von Ernährungsunsicherheit, also Unter- und Mangelernährung betroffen sein werden

Ökologische Sorgfaltspflicht nicht verletzen: Abbau fossiler Energien belastet lokale Kommunen

Doch es geht nicht allein um geschlechtsspezifisch disaggregierte Daten zur Klimakrise, an denen es tatsächlich mangelt. Es geht vor allem darum, die Anfälligkeit und die besondere Verletzlichkeit von ohnehin gesellschaftlich diskriminierten oder wirtschaftlich marginalisierten Gruppen zu verstehen. Zu diesen vulnerablen Gruppen zählt der sechste IPCC-Bericht insbesondere Frauen und Black, Indigenous and People of Colour (BIPoC) aus den Ländern des Globalen Südens. Dabei ist es nicht nur der Klimawandel, der mit Erdrutschen oder Ernteausfällen ihre Überlebensgrundlagen zerstört.

Es ist vor allem auch der Abbau fossiler Energieträger – Erdöl, Kohle und das Fracking von Gas aus Ländern wie zum Beispiel Kolumbien, Chile und Südafrika, der hohe Treibhausgasemissionen verursacht und zugleich soziale und wirtschaftliche Krisen in lokalen Gemeinschaften verursacht. Zahlreiche Studien belegen, dass die abrupte Industrialisierung das Machtgefälle zwischen den Geschlechtern vertieft, dass Frauen und ethnische Minderheiten aus Entscheidungsprozessen zum Ressourcenextraktivismus ausgegrenzt werden, dann jedoch in den neuen Anlagen kaum Erwerbsarbeit finden. Stattdessen müssen Frauen und Mädchen gegen sexualisierte Gewalt und Ausbeutung kämpfen, die mit dem Abbau fossiler Brennstoffe verbunden sind.

Kommt Deutschland seinen extraterritorialen Verpflichtungen für Frauen-Menschenrechte nach?

Deutschlands wirtschaftliche Interessen – auch die zur Abwendung einer Energiekrise – stellen tatsächlich eine Herausforderung für die internationalen Menschenrechte von Frauen und Indigenen Gemeinschaften dar. So sind beispielsweise die deutschen Steinkohleimporte 2022 um mehr als das Zweieinhalbfache gegenüber dem Vorjahr angestiegen. Die wachsende Nachfrage der EU und der Energiehunger Deutschlands führten zum Beispiel zu einem stetigen Ausbau der größten Kohlemine Lateinamerikas, El Cerrejón. Die Folgen: Verlust des Ökosystems sowie eine Gesundheits- und Umweltkrise im dortigen Wayuu-Territorium, sowie eine zunehmende Bedrohung für die Indigenen und lokalen Umweltaktivist*innen, die ihre Lebensgrundlagen schützen wollen – und das sind hier wie in vielen anderen betroffenen Regionen vorrangig Frauen .

Wenn sich an konkreten Fällen wie dem der Kohlemine in Kolumbien – meist von Nichtregierungsorganisationen vorgetragen – belegen lässt, dass die unter CEDAW geschützten Menschenrechte von Frauen im Umweltbereich bedroht sind, appelliert der CEDAW-Ausschuss an den jeweiligen Pflichtenträger, seinen extraterritorialen Pflichten nachzukommen. Im Fall Deutschlands äußerte er in den abschließenden Beobachtungen zu dem Überprüfungsprozess der CEDAW-Konvention seine

„Besorgnis über den verstärkten Einsatz von Kohlestrom, obwohl die Regierung zugesagt hat, bis 2030 aus der Kohleverstromung auszusteigen“.

Doch belässt es der Ausschuss im Themenfeld ‚Gender und Klimawandel‘ nicht bei dieser Beobachtung, sondern fordert vom Vertragsstaat, die Verringerung der Treibhausgasemissionen und die verringerte Nutzung fossiler Brennstoffe zu beschleunigen.

Hoher Stellenwert von Gender und Klimawandel: Forderungen statt Empfehlungen an den Vertragsstaat

Es ist bemerkenswert, dass der Ausschuss zum Thema Gender und Klimawandel Forderungen auflistet, denn in dem gesamten Abschlussdokument zur diesjährigen Revision der Bundesregierung finden sich – wie es im Allgemeinen erfolgt – nur Empfehlungen für weitergehende Maßnahmen, welche die Regierung ergreifen sollte, um eine Anti-Diskriminierungspolitik sicherzustellen. Dass der CEDAW-Ausschuss hier – ähnlich den Nichtregierungsorganisationen – einen schärferen Ton wählt und zum Handeln gegen den klimaschädlichen CO2-Ausstoß auffordert, zeigt zum einen, welch hoher Stellenwert den beiden Themen – Frauen-Menschenrechte und Klimawandel – beigemessen wird.

Zum anderen spiegeln sich hierin auch die hohen Erwartungen an ein Industrieland mit hohem CO2-Ausstoß, dem eine Mitverantwortung für den globalen Klimawandel zugerechnet wird.

Denn Deutschland ist nicht nur Vertragsstaat von CEDAW, sondern auch des Pariser UNFCCC-Abkommens. Es hat sich mit den Nationalen Energie- und Klimaplänen (Nationally Determined Contributions - NDCs) Ziele gesetzt, und zwar: die Emissionen im Inland bis 2030 um 65 Prozent unter das Niveau von 1990 zu senken. Laut Climate Action Tracker  müsste Deutschland die Emissionen im Inland jedoch umgehend um 70 Prozent reduzieren, will es das 1,5-Grad-Limit des Pariser Abkommens noch einhalten können.

Fehlende Politikkohärenz bei deutscher Wirtschafts- und Energiepolitik

Im regulären Anhörungsverfahren von Stimmen aus der Zivilgesellschaft zu dem deutschen Staatenbericht hatten feministische Umweltorganisationen aus Deutschland den CEDAW-Ausschuss darauf aufmerksam gemacht, dass die kurz zuvor vom Koalitionsausschuss vereinbarten Neuregelungen zum Klimaschutzgesetz insbesondere im Verkehrssektor ein Umsteuern auf nachhaltige und damit auch geschlechtergerechtere, inklusive Mobilität weiter verzögern werden.

Stattdessen fordern sie eine ambitioniertere und innen- wie außenpolitisch kohärente Klimaschutzpolitik, damit das Recht auf eine sichere, saubere und nachhaltige Umwelt von allen Menschen gewährleistet wird. Dazu zählt insbesondere auch eine geschlechtergerechte europäische Energiepolitik, da Frauen überproportional von der steigenden Energiearmut betroffen sind. In vielen von Frauen geführten Haushalten in Europa steht täglich die Entscheidung zwischen Essen und Heizen („eat or heat“) an. Eine weitere zentrale Forderung an Deutschlands Sorgfaltspflichten ist die nach größtmöglichem Schutz von Umweltjournalistinnen und Menschenrechtsverteidigerinnen, die durch ihre Kritik auch an deutschen Wirtschaftsprojekten im Ausland gefährdet sind.

Geschlechtergerechter Klimaschutz in der Innen- und Außenpolitik gefordert

Besonders betroffene Gruppen sollten stärker an der Entscheidungsfindung zur Minderung von Klimakatastrophen beteiligt sein.

Aufgrund der Vielzahl der Gleichstellungs- und Anti-Diskriminierungsthemen eines Landes, kann der Ausschuss nur begrenzt auf spezifische Forderungen im Themenfeld der Klimapolitik eingehen. Umso bedeutsamer sind deshalb dessen Forderungen an die Bundesregierung, den Bedürfnissen von besonders vom Klimawandel betroffenen Frauen und Mädchen

„in den ausländischen wie inländischen Rechtsvorschriften zum Klimawandel gerecht zu werden“.

Das schließt zum Beispiel die in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit sehr schwache Nachhaltigkeitsstrategie und eben besagtes Klimaschutzgesetz mit ein. Auch wird die Bundesregierung gedrängt, dafür Sorge zu tragen, dass besonders betroffene Gruppen stärker an der Entscheidungsfindung zur Minderung von Klimakatastrophen beteiligt werden. Dies bezieht sich beispielsweise auf eine konsequente Umsetzung der offiziell deklarierten feministischen Außen- und Entwicklungspolitik.

Gender Mainstreaming von UNFCCC bis Klimafinanzierung

Seit der Verabschiedung der Klimarahmenkonvention der UN (UNFCCC) 1992 engagieren sich feministische Umweltorganisationen und Genderexpertinnen aus den entwicklungspolitischen Institutionen auf den alljährlich stattfindenden Klimakonferenzen (Conference of the Parties, COPs) für eine geschlechtergerechte Klimapolitik. Sie kämpfen immer noch um eine gleichberechtigte Beteiligung von Frauen und Indigenen Gruppen (BIPoC) an den Klimaverhandlungen und darum, dass ihre Rechte und Interessen vor allem auch bei der Klimafinanzierung berücksichtigt werden.

Die Verabschiedung des Lima-Aktionsprogramms von 2014 und von Gender-Aktionsplänen zu dessen Umsetzung, haben sie große Fortschritte in Richtung eines Gender Mainstreamings der Klimaverhandlungen erreicht.

Auch die Einrichtung eines – von Deutschland mit unterstützten - Finanzfonds zum Schutz vor Klimaschäden und Verlusten für besonders verletzliche Gruppen ist sicherlich ebenfalls ein Erfolg, den sich die „Women and Gender Constituency“ zuschreiben kann. Sie ist eine der neun offiziellen Beobachtergruppen, die sich im Rahmen der Klimarahmenkonvention für Frauenrechte und Geschlechtergerechtigkeit einsetzt.

Die Klimabewegung sollte alle UN-Vertragsorgane nutzen

Die Erfolge der zivilgesellschaftlichen Umwelt-, Frauen- und Menschenrechtsorganisationen sind das Ergebnis jahrzehntelanger Advocacy-Arbeit, und sie wurden in zähen Verhandlungen unter dem Dach der UNFCCC errungen. Doch ist es angesichts der voranschreitenden Klimakrise und der wachsenden sozialen Ungleichheit zwischen den Geschlechtern erforderlich, weitere Plattformen und Einflussmöglichkeiten zu nutzen, um die UN-Mitgliedsstaaten und Regierungen zur schnelleren und konsequenteren Umsetzung ihrer Sorgfaltspflichten zu drängen – sowohl im Klima- und Umweltbereich als auch hinsichtlich von Chancengleichheit und dem Schutz von Frauen-Menschenrechten.

Deshalb sollten Frauen-Umweltorganisationen auch andere Menschenrechtsabkommen und die dazugehörigen Anhörungsverfahren nutzen, um auf die vielfältige Verletzung von Frauenrechten durch den Klimawandel - verursacht und verstärkt durch die Wirtschafts- und Energiepolitik von Vertragsstaaten - aufmerksam zu machen.

Der CEDAW-Ausschuss der Vereinten Nationen hat in der Anhörung und in seinen Schlussbemerkungen zur Umsetzung der Anti-Diskriminierungskonvention durch die Bundesregierung Deutschland deutlich gemacht, dass er dem Schutz von Frauen und Mädchen als besonders vom Klimawandel betroffener Gruppe eine sehr hohe Bedeutung beimisst.