Andreas May, Philipps-Universität Marburg

Im Kampf gegen die Klimakrise und für Nachhaltigkeit (in ökologischer, sozialer, wirtschaftlicher und politischer Hinsicht) wird Bildung eine Schlüsselrolle zugesprochen. So beschloss die UN im Jahr 2002 die Ausrufung der Weltdekade (2004-2015) „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE), deren Ziel es war, das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung in allen Bildungsbereichen zu verankern. Heute findet sich dieses Ziel etwa in Schulgesetzen, Curricula und Schulbüchern. Die Fachwissenschaften und -didaktiken sind dazu angehalten, ihren spezifischen Beitrag zur Ausgestaltung von BNE zu explizieren. So auch die politische Bildung und ihre Didaktik, die den politischen Gehalt von Nachhaltigkeitsfragen und ihre Vermittlung in Lehr-Lern-Prozessen diskutiert. Nachhaltigkeit als kollektive Zukunftsaufgabe verlangt nach mündigen Individuen, die durch Reflexionsvermögen und Verantwortungsbewusstsein die Bedeutsamkeit dieses Anliegens für sich und die Gesellschaft erkennen sollen und partizipieren. Diesem Leitziel kann durch politische Bildungsprozesse nähergekommen werden. Ein Problem: Bildung wird zum Instrumentarium politischen Handelns und läuft dem Hauptziel politischer Bildung, der Mündigkeit des Subjekts, entgegen. Damit einhergehend werden strukturelle, systemische Konflikte, die gemeinschaftlich und vor allem politisch zu lösen wären, individualisiert. Diese und weitere Kritikpunkte fußen vorwiegend auf dem Konzept selbst, das qua Genese hochpolitisch und normativ aufgeladen ist. Oft wird Nachhaltigkeit mit ökonomischen Lernzielen und -inhalten verbunden und ökologische sowie gesellschaftliche Aspekte geraten aus dem Blick. Die Schülerinnen und Schüler werden als Verbraucher angesprochen und dazu aufgefordert, ihren Individualkonsum zu reflektieren und entsprechend anzupassen. BNE im Politikunterricht scheint vielfach auf das Ablegen unerwünschter bzw. auf die Ausbildung erwünschter Verhaltensweisen abzuzielen.

Zur Beleuchtung der Frage, auf welche Art und Weise BNE von Politiklehrkräften theoretischerschlossen, und im Unterricht praktiziert wird, bedarf es Untersuchungen im Praxisfeld Schule und Unterricht. Dazu sollen Einstellungen und Vorstellungen, die Lehrerinnen und Lehrern zu Nachhaltigkeit in der politischen Bildung zum Ausdruck bringen, rekonstruiert und der Fachdidaktik zugänglich gemacht werden. Die Hauptforschungsfrage lautet: „Welche unterschiedlichen Einstellungen und Vorstellungen haben Fachlehrkräfte der politischen Bildung zu Nachhaltigkeit und transformativen Bildungskonzeptionen sowie deren Praxiswirksamkeit und welche Implikationen lassen sich für die Fachdidaktik der politischen Bildung ableiten?“ Der Frage liegt die Annahme zugrunde, dass Einstellungen und Vorstellungen von Lehrkräften in hohem Maße unterrichtsrelevant sind und sich auf die Lehr-Lern-Prozesse auswirken. Geplant ist eine Interviewstudie mit 15 bis 20 Politiklehrkräften an weiterführenden Schulen (Gesamtschulen und Gymnasien) in Hessen. Je nachdem, wie sich die erhobenen Daten zeigen und entwickeln, ist eine Erweiterung des Samples denkbar, indem Lehrerinnen und Lehrer weiterer Unterrichtsfächer befragt werden. Die erhobenen Daten werden mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring ausgewertet. Gegebenenfalls werden hier Präzisierungen oder Erweiterungen des qualitativen Forschungsdesigns notwendig sein, beispielsweise mit Bezügen zur Grounded Theory Methodology (GTM) und/oder zum Forschungsprogramm der didaktischen Rekonstruktion.