Richard Königsdorfer, Universität Stuttgart

Die Erstellung, der Betrieb und der Abriss von Gebäuden verursachen über 40% des weltweiten CO2-Ausstosses. Trotzdem nimmt das jährliche Bauvolumen in Deutschland und der damit verbundene CO2-Ausstoß stetig zu. Gleichermaßen schwinden durch Neubebauung Flächen, die für den Erhalt der für den Menschen lebensnotwendigen Biodiversität existenziell sind. Als bedeutender Treiber der Flächeninanspruchnahme in Deutschland zeigt sich beispielsweise das Wohnen. Zwischen 2011 und 2020 stieg die tatsächlich genutzte Wohnfläche um 6,5%. Die Wohnfläche pro Kopf nahm damit von 46,1m² auf 47,7 m² zu. Selbst in Bundesländern mit schrumpfender Bevölkerung steigt der Wohnungsbestand. Politisch wird aktuell dennoch parteiübergreifend der Neubau von Wohnungen gefordert. „Der Traum vom ewigen Wachstum ist geplatzt. Reduktion ist keine modische Attitüde, sondern Überlebensnotwendigkeit.“ So beginnt das 2019 vom Bund Deutscher Architekten veröffentlichte Positionspapier Das Haus der Erde und knüpft mit dieser Kernaussage an den vor 50 Jahren veröffentlichten und immer noch aktuellen Bericht Die Grenzen des Wachstums des Club of Rome an. Seit der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 hat sich unter den Termini Degrowth, Decroissance und Postwachstum ein internationales Feld der Debatte und Forschung etabliert. Theoretische und praktische Ansätze werden darin vereinigt, welche Wirtschaftswachstum als Leitbild menschlichen Zusammenlebens infrage stellen. Dabei nimmt die Postwachstumstheorie die Erkenntnis ernst, dass dem Wachstum materielle und soziale Grenzen gesetzt sind und greift somit das Wachstumsimperativ kapitalistischen Wirtschaftens auf. Mehr soziale Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit und Wohlbefinden sowie das Überwinden materieller und ressourcenzehrender Wachstumszwänge sind die Ziele der Vertreter*innen dieser Theorie. Wichtige wissenschaftliche Beiträge innerhalb des Feldes der Postwachstumstheorie kommen unter anderem aus der Ökonomik, den Umwelt-, aber auch den Sozial- und Geisteswissenschaften.

Bezüglich der räumlichen Planung und damit der Architektur und dem Städtebau bzw. der Raumplanung werden wissenschaftliche Schnittstellen mit Postwachstum erst seit 2016 entwickelt. Diskutiert wird in diesem Feld allerdings vorwiegend auf planerischer Ebene, weniger auf konkret gestalterischer. Während anhand einzelner Graswurzelprojekte schon die ersten Vorschläge zur Gestaltung einer Postwachstumsstadt und unserer gebauten Umwelt gemacht werden, beginnt auf raumplanerischer Ebene der Diskurs über die Postwachstumstheorie. Architektonische und städtebauliche Ansätze im Rahmen des Postwachstumsdiskurses sind allerdings wenig erforscht. Es stellt sich somit die Frage, welche architektonischen und städtebaulichen Ansätze es innerhalb der Postwachstumstheorie gibt und welche Potenziale für die Gestaltung damit einhergehen.
Es wird folgende Forschungsfrage für die Dissertation abgeleitet: Welche Potenziale des Gestaltens unserer gebauten Umwelt ergeben sich aus dem Bauen ohne Wachstum auf architektonischer und städtebaulicher Ebene?

Keywords: Architektur | Stadtplanung | Baukultur | gebaute Umwelt | Bauen ohne Wachstum | Postwachstum | Degrowth | sozial-ökologische Transformation | Gemeinwohlorientierung