Die globale Schuldenkrise vieler Entwicklungsländer und ihre Verflechtung mit der Klimakrise

Analyse

Bei den Klimaverhandlungen auf der COP28 wird die Finanzierung der Klimakrise im Mittelpunkt der Debatte stehen. Viele Länder des Globalen Südens haben jedoch aufgrund der Schuldenkrise Schwierigkeiten, zusätzliche Mittel für den Klimaschutz bereitzustellen. Sarah Ribbert erklärt, wie die Schulden- und Klimakrise zusammen hängen.

Grüne Bäume in der Nähe des Flusses während des Tages

Der Ukrainekrieg, die Klimakrise, die Covid-19-Pandemie und die zuletzt durch die Inflation gestiegenen Zinssätze haben die Schuldenlast im Globalen Süden massiv verschärft. Viele Länder bringen mehr Geld für ihren Schuldendienst auf, als für die Gesundheitsversorgung oder Bildung ihrer Bevölkerung. Klimavulnerable Länder sind dabei besonders von Verschuldung betroffen. Sie brauchen dringend eine Entschuldung und neue, zinsgünstige Darlehen, um die Vielzahl von Krisen zu meistern. Sonst drohen in zahlreichen Ländern stagnierende Entwicklung, politische Instabilität, verschärfte Krisen und wachsende Emigration. Die Erreichung der Sustainable Development Goals und die Umsetzung des Pariser Klimaabkommens geriete außer Reichweite.  

Die globale Schuldenlage: Zahlen, Ursachen, Akteure

Aktuelle Entwicklungen, Daten und Zahlen

In Entwicklungsländern hat die Verschuldung über die letzten Jahre besonders stark zugenommen – von 35 Prozent des BIP in 2010 zu 60 Prozent des BIP in 2021, jeweils im Durchschnitt.

  • Die Auslandsverschuldung und die Zahlungen für den Schuldendienst von Entwicklungs- und Schwellenländern haben sich seit der globalen Finanzkrise 2008 mehr als verdoppelt. 1
  • Laut dem IWF sind 70 Länder akut von Verschuldung bedroht 2 – Afrika ist am stärksten betroffen.
  • 42 Prozent der Weltbevölkerung und 90 Prozent der Allerärmsten leben in den Staaten mit der höchsten Schuldenlast. 3
  • Von einem Zahlungsausfall betroffen sind in 2023 bereits: Sambia, Belarus, Libanon, Surinam, Ghana, und Sri Lanka. Zahlreiche weitere Länder stehen am Rande eines Zahlungsausfalls.

Betrachtet man sowohl Inlands- wie Auslandsverschuldung, so ist das Schuldenniveau im Globalen Süden auf dem höchsten Niveau seit Beginn der Aufzeichnungen.

Für Low Income Countries (LICs) macht der Schuldendienst 39 Prozent der staatlichen Ausgaben in 2023 aus, einschließlich der Middle Income Countries liegt er bei 29 Prozent. In Subsahara-Afrika übersteigt der Schuldendienst Ausgaben für Gesundheit, Bildung und Sozialversicherung um das Doppelte. Dies ist unvereinbar mit den Nachhaltigkeitszielen. 4

Ursachen: COVID, Preisschübe und Zinswende

Zahlreiche Entwicklungsländer wurden durch die COVID-19 Pandemie besonders betroffen: Tourismuseinnahmen, Rücküberweisungen von Migranten und Exporterlöse brachen drastisch ein, während Ausgaben für Gesundheitsvorsorge und Wirtschaftsstabilisierung massiv anstiegen. Der Anstieg der Energie- und Nahrungsmittelpreise in der Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine verschärfte für viele die Zahlungsbilanzkrise. Die durch die weltweite Inflation ausgelöste Zinswende in den führenden Zentralbanken erhöhte dann die Refinanzierungskosten und den Schuldendienst deutlich.

Entwicklungsländer sind strukturell auf den Finanzmärkten benachteiligt, da sie zu deutlich ungünstigeren Bedingungen Kredite aufnehmen als Länder des Globalen Nordens. Afrikanische Staaten zahlten 2022-2023 im Durchschnitt achtmal mehr für ihre Schulden als Deutschland. 5 . Die Differenz zu den Zinsen entwickelter Länder (Spread) steigt im Zuge des Zinsanstiegs. Des Weiteren haben sie mit Währungsschwankungen und Kapitalflucht ausländischer Investor*innen in Zeiten von Krisen zu kämpfen.

Teufelskreis von Verschuldung und Klimavulnerabilität

Zahlreiche Länder des Globalen Südens sind besonders von den Folgen des Klimawandels betroffen. Dies liegt zum einen an einem hohen Anteil der klimaabhängigen Landwirtschaft am BIP, an einer unzureichenden Infrastruktur, und an besonders massiven Extremereignissen (Hurrikane, Überschwemmungen, Dürren). Antizipierte wirtschaftliche Klimaschäden werden von den Finanzmärkten zunehmend als Risikoprämie eingepreist, wodurch es für die betroffenen Länder noch teurer wird, Kredite aufzunehmen. In der Folge unterbleiben wiederum dringend notwendige Investitionen in Anpassung und Resilienz, was die Verwundbarkeit der Volkswirtschaft verschärft: Ein Teufelskreis. 6

Veränderte Gläubigerlandschaft erschwert die Entschuldung

Im Vergleich zu früheren Schuldenkrisen hat sich die Gläubigerlandschaft ausdifferenziert. Die Rolle bilateraler staatlicher Gläubiger, abgesehen von China, ist gesunken und damit auch der Pariser Club der westlichen Gläubigerstaaten weniger relevant. Einen zunehmenden Anteil nehmen inzwischen private Gläubiger ein: im Jahr 2021 entfielen 62 Prozent der Auslandsschulden von Entwicklungsländern auf sie. 7 Weiterhin spielen bilaterale Gläubiger, die nicht im Paris Club vertreten sind wie China und Saudi-Arabien, eine größere Rolle. All dies erschwert die Umstrukturierung von Schulden, da hierfür alle Akteure sich auf eine vergleichbare Behandlung verständigen müssen. 

Schuldengovernance und Reformvorschläge

Seit November 2020 gibt es das Umschuldungsrahmenwerk „Common Framework for Debt Treatments“ der G20-Staaten. Es sollte Verhandlungen zu Schuldenumstrukturierungen vereinfachen. Leider hat es sich als höchst ineffizient und langsam erwiesen und wird als unzureichend und reformbedürftig kritisiert. Zu den Schwächen des Common Framework gehören:

  • Es adressiert nur Länder niedrigen Einkommens (LICs), obwohl solche mit mittlerem Einkommen ebenfalls hochverschuldet sind und einen Schuldenerlass benötigen.
  • Es bietet keine Anreize für private Gläubiger an den Umstrukturierungsverhandlungen teilzunehmen und Schulden zu erlassen.
  • Der Investitionsbedarf zur Erreichung von Klima- und Entwicklungszielen wird nicht berücksichtigt. Daher erfolgt die Entschuldung nicht weitgehend genug. Dies ist besonders ein Problem für klimavulnerable Länder.

Bislang haben nur Tschad und Sambia das Common Framework in Anspruch genommen und keinen substantiellen Schuldenerlass erhalten. Ghana und Äthiopien befinden sich im Prozess.

Reformvorschläge

Die internationale Schuldenarchitektur ist angesichts der miteinander verflochtenen Krisen nicht mehr zeitgemäß und muss reformiert werden. Neue Finanzmittel allein lösen das Problem nicht. Derzeit diskutierte Vorschläge sind:

  • Schaffung eines unabhängigen Gremiums bei der UN für einen multilateralen und fairen Umschuldungsprozess mit allen Gläubigern und Schuldnern (internationales Staateninsolvenzverfahren).
  • Ein breit angelegtes Programm von Schuldenerlässen für nachhaltige Entwicklung, (siehe Box).
  • Verabschiedung nationaler Gesetze, die die Klage- und Vollstreckungsmöglichkeiten privater Gläubiger gegenüber Schuldnerstaaten einschränken
  • Schuldenmoratorium: Automatischer Zahlungsaufschub, wenn Staaten kurz vor einer Schuldenkrise stehen.
  • Aufnahme von Naturkatastrophen-Klauseln in Kreditverträgen.
  • Abschaffung der IWF-Risikoprämie, Reform der IWF-Schuldentragtragfähigkeitsanalyse unter Berücksichtigung von Klimavulnerabilität und Investitionsbedarfe

 

Debt Relief for a Green and Inclusive Recovery“ entwickelt Vorschläge für eine umfassende Entschuldungsinitiative für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung. Sie wurden von einer Gruppe hochrangiger Expert*innen aus allen Kontinenten entwickelt und von der Gruppe der V20 (68 besonders klimavulnerable Länder mit 1,7 Mrd. Einwohner*innen) aufgegriffen.