Vertical Farming: Revolution oder Illusion?

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Mit der Methode des Vertical Indoor Farming sollen Nahrungsmittel das ganze Jahr produziert werden – unabhängig von Wetter und Jahreszeit. Die Hoffnung: Platz, Wasser, Dünger und Pestizide zu sparen und Klima und Böden zu schonen. Sie können aber nur ein Teil der notwendigen Transformation der Landwirtschaft sein. 

Die Landwirtschaft braucht 70 Prozent der weltweiten Vorräte an Trinkwasser. Der Bedarf der Bevölkerung: oft nicht gedeckt
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Die Landwirtschaft braucht 70 Prozent der weltweiten Vorräte an Trinkwasser. Der Bedarf der Bevölkerung: oft nicht gedeckt

Angesichts der rasanten Urbanisierung in vielen Regionen der Welt spielt die Idee eines Anbaus ohne Boden in Überlegungen zur zukünftigen Landwirtschaft eine immer größere Rolle. Vertical Indoor Farming ist ein prominentes Beispiel dafür: Vor allem Salat, grünes Blattgemüse und Kräuter wachsen in geschlossenen Gebäuden, gestapelt in Hochregalen. Angebaut werden sie in hydroponischen oder aeroponischen Systemen, in denen die Pflanzen nicht in Erde wurzeln. Die Nährstoffe werden über das Wasser oder in der Form eines feinen Nebels den Pflanzen zur Verfügung gestellt.

Durch die geschlossenen Systeme gelangen aus den Indoor Farming Factories keine oder kaum Schadstoffe in Böden und Grundwasser. Da die Pflanzen seltener Krankheitserregern ausgesetzt sind, braucht es auch weniger Pestizide. Computer steuern LED-Beleuchtung, Bewässerung, Raumtemperatur und Nährstoffgehalt, damit die Pflanzen schnell wachsen. Durch die optimalen Bedingungen ist es möglich, bei Salat, Kräutern und Blattgemüse hohe Mengen zu erzielen. Laut einer Studie kann der Ertrag bis zu zehnmal höher ausfallen als im konventionellen Anbau. Und dabei wird Wasser gespart: Bei Nordic Harvest, Europas größter Vertical Indoor-Farm in Dänemark, benötigen die Pflanzen durch ein Recycling-System 95 Prozent weniger Wasser. Dieser geringere Wasserbedarf ist unter den Bedingungen der Klimakrise ein großer Vorteil. Der geringere Flächenbedarf entlastet Land und Böden. In den vergangenen Jahren hat Vertical Indoor Farming einen großen Boom erlebt. Konzerne wie Würth, Walmart, Lidl und Rewe haben mittlerweile Milliarden in das neue Geschäftsmodell investiert.

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Der vertikale Anbau ist jedoch energieintensiv. Aufgrund der anhaltend hohen Energiepreise ist er daher sehr teuer. In Nordamerika und Europa sind 2022 einige Start-ups aufgrund der hohen Strom- und Gaspreise bereits wieder vom Markt verschwunden. Dort kostet der Betrieb einer hochtechnisierten Anlage mindestens 300 Dollar pro Quadratmeter, vor allem für Beleuchtung und Klimatisierung. Eine Studie zum hydroponischen Anbau von Salat im US-Bundesstaat Arizona kommt zu dem Ergebnis, dass dort 82-mal mehr Energie pro Kilogramm Salat als in der konventionellen Salatproduktion benötigt würde. In Regionen mit moderaterem Klima ist der zusätzliche Energiebedarf jedoch geringer.

Solange die verwendete Energie aus fossilen Quellen stammt, produzieren Indoor-Farms deutlich höhere Emissionen des Treibhausgases Kohlenstoffdioxid (CO₂). Eine Studie aus dem Jahr 2022 hat die Emissionen im Freiland-Anbau mit denen aus einer vertikalen Farm in den Niederlanden verglichen. Das Ergebnis: Das vertikal produzierte Gemüse produziert bis zu 16-mal höhere Emissionen als der Freilandanbau. Dass die Produktion aufgrund der Kosten für Energie und geschulte Fachkräfte sehr teuer ist, schlägt sich auch in den höheren Preisen für vertikal erzeugte Lebensmittel nieder. Auf der anderen Seite können vertikale Farmen durchaus kostendeckend in Gegenden wie Hongkong oder New York betrieben werden, in denen Bodenpreise sehr hoch sind. Befürworter*innen argumentieren, dass der kürzere Transport und die Ausschaltung von Lebensmittelhändler*innen bis zu 60 Prozent der Kosten einsparen könne. Doch auch dort, wo es kosteneffiziente Modelle gibt, wird zwingend technische Expertise und kontinuierliche Wasser- und Energieversorgung benötigt.

Ein umweltfreundlicher Kreislauf: Fische produzieren Nährstoffe für Pflanzen, die wiederum das Wasser für Fische filtern
Ein umweltfreundlicher Kreislauf: Fische produzieren Nährstoffe für Pflanzen, die wiederum das Wasser für Fische filtern

Mit Blick auf die Auswahl der angebauten Ackerfrüchte wird deutlich, dass das System der bodenlosen Landwirtschaft einen wichtigen Beitrag zur Mikro­nährstoffversorgung und Vermeidung schädlicher Pestizidrückstände leisten kann. Den Freilandanbau etwa von Kartoffeln, Reis und Getreide kann sie aber nicht ersetzen – sie haben einen hohen Energiebedarf und brauchen mehr Makronährstoffe als Salate. Bei einer Kunstinstallation in Brüssel wurde im Jahr 2020 der Preis für Weizen kalkuliert, der in einem geschlossenen Raum auf einem Quadratmeter unter Zufuhr von Licht, Wasser, Wärme und Nährstoffen wuchs: 200 Euro pro Kilo. Eine Studie zeigt, dass eine vertikale Farm mit 10 Etagen auf einem Hektar unter optimalen Bedingungen zwischen 700 und 1.940 Tonnen Weizen produzieren könnte. Das wäre in der Theorie 220- bis 600-mal mehr als der durchschnittliche globale Weizenertrag von 3,2 Tonnen pro Hektar und Jahr. Die Preise aber wären nicht wettbewerbsfähig.

Kritiker*innen argumentieren, Ansätze wie Vertical Indoor Farming seien interessant, aber reichen alleine nicht aus. Als Anbauweise eignet sich Vertical Indoor Farming fast nur für die eingangs erwähnten wasserhaltigen Früchte und Blattpflanzen, die kaum Kalorien liefern, aber für eine ausgewogene Ernährung wichtig sind. Es braucht außerdem einen Umbau der Landwirtschaft im Sinne gerechter und ressourcenschonender globaler Ernährungssysteme. In Deutschland werden 60 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche für den Futtermittelanbau verwendet. Diese Fläche stellt einen zentralen Hebel für den Umbau der Landwirtschaft dar, der für eine zukunftsfähige Landwirtschaft genutzt werden muss. Neue Technologien ändern nichts daran, dass ein Politikwechsel nötig ist. Gleichzeitig machen Auswirkungen der Klimakrise auf die Wasserverfügbarkeit und der hohe Nutzungsdruck auf Böden Investitionen in bodenlose Landwirtschaft interessant.