Das erste Mal

2024 dürfen in Deutschland auch Minderjährige bei der Europawahl ihre Stimme abgeben. Auch in Österreich, Malta und Belgien gilt für EU-Wahlen das aktive Wahlrecht ab 16. In Griechenland darf man ab 17 Jahren wählen. Sechs Statements von unter 18-jährigen und erwachsenen Erstwähler*innen aus sechs Ländern zeigen: Die EU muss mehr tun, um junge Menschen zu erreichen.


Francesco, 16, Malta
«Wir sollten wählen gehen, damit sich Dinge ändern»

Francesco

Die EU bedeutet für mich Zusammenhalt. Sie  bedeutet für mich, als ein Bürger eines sehr kleinen Landes meine Stimme in einer der größten demokratischen Institutionen der Welt repräsentiert zu sehen. Das ist sehr wichtig für mich. Nicht alle in meinem Alter sind an Politik interessiert, weil sie den Eindruck haben, dass Politiker*innen sie nicht repräsentieren. Manche denken, dass so etwas wie die EU sinnlos ist. Oder sie sehen, dass die EU etwas macht, was sie nicht gut finden. Aber wenn die EU etwas tut, was du als falsch ansiehst, bedeutet das nicht, dass du nicht wählen gehen solltest. Du solltest erst recht wählen gehen, sodass Dinge sich ändern, in die Richtung, die du richtig findest. Ich hoffe, dass die Politiker*innen, die mich im Europäischen Parlament repräsentieren, immer für den Frieden stimmen. Und ich hoffe, dass soziale Probleme immer angegangen werden, mit einem Blick auf die Menschen, die darunter leiden. Zum Beispiel, was die steigenden Lebenshaltungskosten betrifft. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich als 16-Jähriger wählen darf. Ich nutze jeden Tag öffentliche Verkehrsmittel. Ich bin jeden Tag mit Bildungspolitik konfrontiert. Warum sollte meine Stimme also nicht zählen? Wir Jugendlichen sind nicht die Zukunft, wie viele Leute sagen. Wir sind die Gegenwart.


Xenia, 16, Österreich
«Jetzt kommt vielleicht mal was Neues in die Politik»

Xenia

Im Alltag beschäftige ich mich eher weniger mit der EU. Aber ich bin seit 2017 Mitglied in einer österreichischen Jugendorganisation, die Workshops und Gesprächsrunden veranstaltet, auch manchmal über EU-Politik. Wenn ich da dann etwas darüber erfahren kann, finde ich das sehr interessant. Bei uns in der Berufsschule gibt es das Fach Politische Bildung. Aber nur im ersten und dritten Jahr der Lehre. Meiner Meinung nach sollte es auch im zweiten Jahr angeboten werden. Ich persönlich beschäftige mich viel mit queeren Themen. Insbesondere damit, wie das in anderen Ländern gehandhabt wird. Es liegt mir sehr am Herzen, dass queere Menschen überall frei leben können. Als ich zum ersten Mal feiern gehen durfte, habe ich darauf hingefiebert. So ein bisschen fühlt sich das jetzt an, wenn ich zum ersten Mal wählen darf. Darüber haben viele immer geredet, und jetzt kann ich das auch machen! Es gibt ja viele Menschen, die das blöd finden, weil wir noch nicht so viel Lebenserfahrung haben. Aber ich finde es cool. Denn dann kommt vielleicht auch mal etwas Neues in die Politik, wenn ich mich als 16-Jährige durch Wahlen einbringen darf.


Oressia, 18, Belgien
«Wir brauchen mehr Informationen»

Oressia

Europa bedeutet, dass wir auf eine bestimmte Art alle miteinander verbunden sind. Zum Beispiel wirtschaftlich. Generell finde ich, dass über EU-Politik nicht genug gesprochen wird. Besonders in der Schule reden wir nicht viel darüber. In Belgien ist man ab 18 Jahren verpflichtet zu wählen. Ich denke, wir sollten deshalb zumindest einige grundlegende Informationen vermittelt bekommen. Wir sollten lernen, wie wir herausfinden, für wen wir stimmen wollen. Jetzt gerade habe ich keine Ahnung. Ich muss mich da wirklich noch mal informieren. Denn ich will auch nicht einfach so abstimmen wie meine Eltern. Ich denke, es gibt viele junge Menschen und wir können Einfluss auf die Politik nehmen. Meine Großeltern zum Beispiel hatten ein ganz anderes Leben als wir. Alter spielt also schon eine große Rolle. Hier in Belgien darf man ab 16 wählen. Ich glaube, das ist vielleicht etwas jung. In dem Alter weiß man noch nicht so viel über Politik und könnte leicht beeinflusst werden. In der Politik sehe ich oft große Spaltungen. Manche Menschen haben sehr extreme Ideen. Für mich ist es wichtig, dass alle mit einbezogen werden und zusammenarbeiten.


Šimon Hlisnikovský, 20, Tschechien
«Wir wollen, dass man uns zuhört»

Šimon

Obwohl viele Politiker*innen versuchen, die europäische Politik als nicht so notwendig darzustellen, ist sie für uns junge Menschen sehr wichtig. Wir machen uns Sorgen um unsere Zukunft. Unsere Generation ist mit einer Menge von Problemen konfrontiert, um die sich die lokalen Politiker*innen nicht kümmern und nicht kümmern wollen, weil sie durch die Lösung dieser Probleme nicht so viel Wähler­gunst gewinnen würden wie durch ihre populistische Politik. Deshalb sind die Wahlen zum Europäischen Parlament so wichtig. Viele junge Menschen setzen große Hoffnungen auf die europäische Politik. Der Klimawandel, kulturelle Fragen und die Wohnungs­krise sind die Themen, die unsere Generation am stärksten belasten. Deshalb überlegen sich viele meiner Freunde, ich eingeschlossen, sehr genau, wen sie wählen, und sie sind auch grund­sätzlich bereit, zu wählen. Wir wollen keine Politiker*innen, die viel versprechen und nichts tun. Wir wollen Politiker*innen, die uns zuhören, denen wir vertrauen können und die bereit sind, die für uns drängenden Probleme anzupacken. Die bevorstehenden Wahlen werden daher nicht nur ein Test für die Demokratie als solche sein. Sie werden auch ein Test für uns Erstwähler*innen sein. Wenn wir in großer Zahl zur Wahl erscheinen, werden wir beweisen können, dass uns die Probleme wirklich am Herzen liegen.


Kaan, 16, Deutschland
«Jetzt kann ich die EU mitgestalten»

Kaan

Ich bin vielseitig politisch aktiv. Zum Beispiel seit Neuestem bei Ruhrpott für Europa. Besonders prägend für mich war die Sommerakademie des Europäischen Parlaments im August 2023. Die Veranstaltung hat sehr anschaulich gemacht, dass die EU gar nicht so fern für junge Menschen ist. Und in diesem Jahr habe ich endlich die Möglichkeit, zum ersten Mal zu wählen und damit die EU mitzugestalten. Es ist schön, dass junge Menschen an europäischer Politik teilhaben können. Ich habe aber den Eindruck, dass viele Europäer*innen die EU als einen Apparat empfinden, der «da oben» etwas Elitäres macht und man gar nicht weiß, was es ist. Deshalb muss die EU dafür sorgen, dass Menschen merken: Aha, das betrifft mich auch selbst! Auch an Schulen ist das ein Problem. Was man im Unterricht über die EU lernt, ist meiner Meinung nach nicht ausreichend und wirkt oft sehr langweilig. Da muss man etwas verändern, damit auch junge Menschen ein Interesse an der EU entwickeln können.


Dimitrios, 17, Griechenland
«Viele Jugendliche sind noch nicht reif genug» 

Dimitrios

Im Alltag geht es in Griechenland viel um Politik. Von klein auf in der Familie bekommt man mit, dass die Eltern darüber diskutieren. Auch in der Schule hören wir verschiedene Meinungen zu politischen Themen. Jugendliche beschäftigen sich deshalb viel damit. Seit 2023 darf man ab 17 wählen. Auf der einen Seite finde ich das gut, denn ich möchte gerne wählen. Allerdings denke ich, dass viele Jugendliche noch nicht reif genug dafür sind. Im Jahr 2015 befand sich Griechenland in einer tiefen Wirtschaftskrise. Einige haben damals gefordert, dass Griechen­land die EU verlässt. Aber ich denke, wenn ein sogenannter Grexit stattgefunden hätte, würde es Griechenland jetzt schlechter gehen. Der Euro und die gemeinsame Wirtschaft haben uns sehr geholfen. In der Zukunft möchte ich gerne in Deutschland studieren. Auch das ist viel einfacher durch die EU. Es gibt immer noch große Armut in einigen EU-Ländern. In Griechenland ist es jetzt etwas besser. Ich glaube, dass die Länder in der EU einander helfen sollten, lokale Industrien zu stärken.


Christina Focken ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Dort studierte sie Gender Studies und Regional­studien Asien/Afrika. Ihr Master­studium der Global Studies führte sie außer­dem nach Bangkok und Buenos Aires.

Lucie Louxor ist eine fran­zösische Illustra­torin mit Sitz in Lille. Ihre Vorliebe für leuch­tende Farben führt zu energie­geladenen und mutigen Illus­tra­tionen.

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