Kianush Ruf, Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder) / Université Paris 1 Panthéon-Sorbonne (Cotutelle-Verfahren)

Planetarische Potentialität. Zu den Dis/Kontinuitäten zwischen poststrukturalistischer und postkolonialer Theoriebildung im Anthropozän

Das Dissertationsprojekt widmet sich den theoriegeschichtlichen und systematischen Bezügen zwischen jenen Teilen der französischen Philosophie des 20. Jahrhunderts, die häufig als ›Poststrukturalismus‹ bezeichnet werden, und den sich seit den 1980er Jahren herausbildenden ›postkolonialen Theorien‹. Einerseits soll nachgezeichnet werden, inwiefern die postkolonialen Studien sich produktiv auf poststrukturalistische Motive und Denkfiguren stützen konnten; andererseits soll herausgearbeitet werden, ob und auf welche Weise die postkoloniale Kritik und Relektüre der Aufklärung in zentralen Positionen des Poststrukturalismus bereits angelegt war (Cixous, Deleuze, Derrida, Foucault, Irigaray, Lyotard u.a.).
 

Eine Ausgangsthese lautet, dass das Streben ›poststrukturalistischer‹ Ansätze nach Dezentrierung, Dekonstruktion und Provinzialisierung der europäischen (Philosophie-) Geschichte und ihrer Subjekte von der ›postkolonialen‹ Theorie aufgegriffen und mit Bezug auf das Globale bzw. Planetarische weiterentwickelt wurde, sodass sie das Prisma der Postkolonialität hinter sich lässt, dem sie ihren Namen verdankt (Spivak, Chakarbarty). Das paradox Potenzial der untersuchten Diskurse liegt somit zugleich im Öffnen und Überschreiten des postkolonialen Paradigmas. Ausgehend von einer Analyse dieses Befunds legt die Arbeit eine dem Korpus inhärente planetarische Potentialität frei, sodass das Planetarische als Horizont und Möglichkeit der poststrukturalistischen und postkolonialen ›Momente‹ interpretiert werden kann. Die historisierende Rekonstruktion beider Strömungen anhand repräsentativer Vertreter und ihrer (teilweise reziproken) Rezeption möchte deren kritisches Potenzial aufzeigen und für aktuelle Debatten in den Kulturwissenschaften fruchtbar machen. In dieser Konstellation ist Spivaks nicht ausreichend erschlossenes Werk von besonderem Interesse zu, insofern sie auf produktive Weise poststrukturalistische Gedanken aufgreift und eine Kritik der postkolonialen Theorie entwickelt (als deren Mitbegründerin sie weiterhin gilt). Ihre kritische Globalisierungstheorie, in deren Zentrum die Idee einer emanzipatorischen ästhetischen Bildung steht, bringt einen Begriff der ›Planetarität‹ hervor, der mit gegenwärtigen politischen Ökologien ins Gespräch gebracht werden soll.

Keywords: Strukturalismus, Poststrukturalismus, postkoloniale Theorie, Dekonstruktion, Planetarität, Anthropozän, politische Ökologie, Theoriegeschichte.