Friedensfilmpreis 2013: Was ist langweiliger im Film als Glück und Frieden?

Rosa von Praunheim spricht bei der Verleihung des Friedensfilmpreis 2013
Verleihung des 28. Friedensfilmpreis der Berlinale 2013: Laudatio von Rosa von Praunheim (Filmemacher), Foto: Stephan Röhl, Lizenz: CC-BY-SA 2.0

 

26. Februar 2013
Rosa von Praunheim

Soll es überhaupt einen Friedensfilmpreis geben?
Was ist langweiliger im Film als Glück und Frieden?


Zwei Stunden glückliche Menschen im Paradies, das sieht sich niemand an. Wir wollen Aktion, Gewalt und Sex. Wir wollen uns aufgeilen an Schmerzen und Verbrechen aller Art. Von Shakespeare bis zur „Bild“-Zeitung sind wir gewöhnt an Mord und Totschlag. Millionen von Toten in Krimis aller Art – ohne sie können wir nicht mehr leben. Unseren Film Helden muss es schlecht gehen, von Filmminute zu Filmminute immer schlechter, und erst wenn wir sicher sind, dass der Held keine Chance mehr hat zu überleben, darf er kurz vor Ende des Films ein überraschendes Happy End genießen, damit wir, das Publikum, entspannt das Kino verlassen können.

Warum dann einen Friedensfilmpreis? Vielleicht eher ein Kriegsfilmpreis? Vom Krieg kann man viel erzählen bzw. von seinen Auswirkungen. So auch in diesem Film des diesjährigen Preisträgers Mahdi Flefel – A World not Ours – über ein palästinensisches Flüchtlingslager im Libanon. Es ist ein sehr persönlicher Videobericht des Regisseurs – der in diesem Lager seine Jugend verbachte, aber das Glück hatte mit seiner Familie nach Dänemark ausreisen zu können und später in London Film zu studieren.

In diesem Lager im Libanon leben seit über 60 Jahren auf einem Quadratkilometer 70 000 Menschen zusammen. Nur wenige haben einen Pass und nur wenige eine Arbeit. Der Regisseur greift auf Videoaufnahmen seines Vaters aus den achtziger und neunziger Jahren zurück und ergänzt sie mit aktuellen Interviews mit seiner Familie und Freunden. Er zeigt den Alltag, die Sorgen, aber auch die Begeisterung für Fußball.

Wir sehen die Jugend im Camp, palästinensische Rambos mit Pistolen und Gewehren, die vom Krieg gegen Israel träumen. Und wir treffen Mahadis Großvater, der immer noch Pläne schmiedet, Israel zu vernichten. Der Film zeigt historisches Material von Israels Staatsgründer Ben Gurion, der zu der Vertreibung der Araber sagte: „die Alten werden Sterben und die Jungen werden vergessen“.

Ein Protagonist des Films ist der Freund des Regisseurs aus Jugendjahren, Abu Ijad, der keine Arbeit hat, kein Geld um zu heiraten, ein Gefangener des Lagers ist und der enttäuscht ist, von politischen Organisationen, wie PLO und Fatah.

Wir erfahren nichts von der anderen Seite, von jüdischen Flüchtlingen, deren einzige Chance der neue Staat Palästina schien, um dem Holocaust zu entkommen. Wir erfahren nichts von dem Mord an den Juden in vielen Teilen Europas, nichts vom Antisemitismus, der bis heute andauert. Wir erfahren nichts von der Scham der Juden, dem Wüten Hitlers nichts entgegen setzen zu können, und die sich jetzt geschworen haben, Angriffe auf Israel nicht mehr passiv hinzunehmen sondern mit Gewalt und Widerstand zu reagieren. Wir erfahren auch nichts von dem politischen Hintergrund, der Not der Palästinenser, die von Israel und von den Arabern gleichermaßen im Stich gelassen werden. Sie dienen als Spielball der Mächte. Die Araber haben kein Interesse daran, die Palästinenser zu integrieren. Ihnen ist es nur Recht, mit ihrer Not ein politisches Fanal zu setzen – gegen Israel, und das seit 60 Jahren.

Aber die eigentliche Qualität des Films ist es, dass er ganz persönlich ist. Es ist ein Film über Menschen und ihre Gefühle, wo immer sie auch sein mögen, über Schicksale, wie wir sie auf der ganzen Welt kennen. Es ist ein Film über den grantelnden Großvater, der sich nach seiner Heimat in Palästina sehnt, da wo er aufgewachsen ist, und der die Kinder vor seinem Haus wegscheucht, weil sie zu laut Fußball spielen, und die Kakerlaken in seinem Haus zertritt. Wir sehen ihn am Grab seiner Frau, die immer ausreisen wollte und die er in seinem Starrsinn nicht ließ.

Und wir verfolgen das Schicksal von Abu Ijad, dessen junger Bruder im Kampf gegen Israel schwer verwundet wurde und nach einem Jahr im Krankenhaus starb und wir sehen Abus Einsamkeit, sein aussichtsloses Leben, sehen ihn, wie er palästinensische Revolutionslieder aus einem alten Karton holt und verbrennt. Und wir hören den sensiblen Kommentar des Regisseurs, der die Freiheit hat ein- und auszureisen wann er will, der aber seine Freunde und Familie im Camp nicht vergessen kann und will. Es ist ein Film über Menschen, die er liebt, und wir können uns mit ihnen identifizieren. Es ist dem Regisseur gelungen, ihnen ein Denkmal zu setzen und dafür danken wir dem Regisseur Mahadi Flefel.

Aber es ist kein friedlicher Film. In den Straßen sehen wir viele junge Menschen, die nichts lieber wollen als Israel zu vernichten und die mit ihrem Hass nur weiteren Hass sähen, die mit Rache und Vergeltung aufgewachsen sind und es sind die Männer, immer wieder die Männer, die es lieben Krieg zu spielen. Und was ist mit den Frauen? Davon erzählt der Film wenig. Vielleicht wäre die Welt reicher und liebevoller wenn die Männer verschleiert zu Hause sitzen würden, die Kinder hüten, und die Frauen die Politik machen. Das wäre meine Bitte, besonders an die arabische Welt, von der dieser Film handelt.

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Rosa von Praunheim, Filmregisseur. Praunheim gilt als wichtiger Vertreter des postmodernen deutschen Films und erhielt bei der 63. Berlinale die Berlinale Kamera