Annemarie Böll (1910 - 2004) - Ein Nachruf












16. November 2004



Im Jahre 1990 erschien die letzte Übersetzung Annemarie Bölls aus dem Englischen – „Der Riese Turramulli“, ein Märchen australischer Aborigines. Ein alle literarischen Sparten umfassendes Übersetzungswerk fand mit diesem Kinder- und Jugendbuch seinen Abschluss. Ein Vermittlungswerk zwischen Sprachen, das zugleich auch eines zwischen Menschen war. Und Ausdruck ihrer Liebe zur Sprache und Literatur, einer Liebe, die sie mit ihrem Mann, dem Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll, teilte.

Annemarie Böll starb am 15. November 2004 im Alter von 94 Jahren in ihrem Haus in Langenbroich/Eifel.

Geboren wurde sie am 23. Juni 1910 im böhmischen Pilsen als zweites Kind von Eduard und Stephanie Cech. Sie und ihre Geschwister Paul und Eduard wurden früh zu Vollwaisen. Ihre neue Heimat hieß Köln, wohin sie 1916 mit ihrem älteren Bruder Paul übersiedelte und wo sie nun bei den Großeltern mütterlicherseits lebte. Im Jahre 1933, an der Universität zu Köln für die Fächer Deutsch und Englisch immatrikuliert, lernte sie Mechthild Böll, Heinrich Bölls ältere Schwester, kennen. Diese Verbindung blieb auch über die Zeit ihres einjährigen Aufenthalts in England in einer Klosterschule als Aushilfslehrkraft erhalten. Zurück in Köln unterrichtete sie zunächst an einer katholischen Volksschule, dann an einer Städtischen Mittleren Mädchenschule bis zu deren Schließung 1944. Im Jahre 1942 heirateten Heinrich Böll und Annemarie Cech in Köln. Im Juli 1945 wurde ihr erster Sohn Christoph geboren, der infolge der schlechten Versorgungslage noch im gleichen Jahr starb. Im Jahre 1947 nahm Annemarie Böll erneut ihre Lehrtätigkeit auf, beendete sie aber endgültig 1952. Die Beschäftigung mit der Literatur – auch als erste Lektorin der Werke ihres Mannes – blieb neben den zahlreichen öffentlichen Verpflichtungen, die das Leben an der Seite Heinrich Bölls mit sich brachte, und den Aufgaben, die sie als Mutter der drei Söhne Raimund, René und Vincent übernahm, weiterhin Mittelpunkt ihres Lebens. Die annähernd zweihundert, zum Teil gemeinsam mit Heinrich Böll geschaffenen Übersetzungen von Werken der Weltliteratur legen beredtes Zeugnis davon ab.

Wer sie an der Seite Heinrich Bölls traf oder später, nach dessen Tod 1985, kennen lernte, den beeindruckte stets ihre Mitmenschlichkeit: ein offenes Interesse für jedermann, die Bereitschaft zur Anteilnahme und Geduld. Diese Fähigkeiten, aber auch ihre literarische Urteilskraft prägten wesentlich die Begegnungen mit den Künstlerinnen und Künstlern im Heinrich-Böll-Haus Langenbroich, dessen Vorsitzende und Jurymitglied sie von 1991 bis 2001 war.

Annemarie Böll gehörte 1987 zu den Gründerpersönlichkeiten der Heinrich-Böll-Stiftung. Eine damalige Äußerung von ihr zu Sinn und Zweck der Stiftung ist auch heute noch gültig: „Eine Stiftung, die den Namen meines Mannes trägt, sollte ein Sammelpunkt, ein Stützpunkt, ein Ort der Ermutigung und Unterstützung für Gruppen und Einzelpersonen sein, die versuchen, eine menschlichere, friedlichere und gerechtere Welt zu bauen – die versuchen fortzusetzen, was er als Einzelner oder zusammen mit Schriftstellerkollegen mit seinen begrenzten Möglichkeiten, aber mit Einsatz aller Kraft zu leisten versucht hat.“ Annemarie Böll hat die Stiftung auch in den folgenden Jahren ihrer Entwicklung und des Neuaufbaus in Berlin wohlwollend begleitet.

Sie widmete sich zuletzt intensiv der Herausgabe von Heinrich Bölls Briefen aus dem Krieg, eine ihr besonders wertvolle Hinterlassenschaft ihres Mannes; ebenso förderte und begleitete sie die Neuedition von Heinrich Bölls Werk im Rahmen der Kölner Ausgabe.

In den vergangenen Jahren lebte Annemarie Böll zurückgezogen, an allem aber wie stets interessiert und teilnehmend, in Bornheim-Merten; die letzten Monate in Langenbroich.

Wir werden ihr ein ehrendes Andenken bewahren.