Heinrich Böll und Lew Kopelew










Heinrich Böll und Lew Kopelew – der Briefwechsel


3. Januar 2008



Von Elsbeth Zylla

Heinrich Böll lernte den russischen Germanisten Lew Kopelew anlässlich seiner ersten Reise in die Sowjetunion 1962 kennen. Von da an korrespondierten sie regelmäßig bis zu Kopelews Ausreise nach Deutschland Ende 1980. Später, bis zu Bölls Tod 1985, sind Briefe selten, da nun persönliche Begegnungen möglich waren. Insgesamt sind rund 230 Dokumente überliefert – Telegramme, Postkarten, vor allem aber natürlich Briefe. Schreiber sind vor allem Böll und Kopelew, aber auch Briefe von Kopelews Ehefrau Raissa Orlowa und von Annemarie Böll sind in diesem Bestand zu finden.

Kopelew war für Böll einer der wichtigstes Informanten in der Sowjetunion

Lew Kopelew war für Heinrich Böll nicht nur einer der engsten Freunde, sondern auch einer der wichtigsten Informanten in der Sowjetunion. Von ihm erfuhr er von Repressionen in der Ära Breshnew gegenüber Intellektuellen und Schriftstellern. Von Kopelew stammten die Vorschlagslisten, welche Literaten in den internationalen Schriftstellervereinigungen PEN (steht für poets-essayists-novelists) aufgenommen werden sollten, um sie vor Lagerhaft, Psychiatrie oder Verbannung zu schützen. Kopelew war für Böll eine zuverlässige Quelle, wenn es darum ging, über neuere Entwicklungen in der Kulturpolitik oder über dissidentische Aktivitäten auf dem Laufenden zu sein. Zu seinem Freundeskreis gehörten Alexander Solshenizyn, Andrej Sacharow, Jewgenija Ginsburg, Lidija Tschukowskaja, Jefim Etkind und viele, viele andere.

Briefe geben Auskunft über das Selbstverständnis als Schriftsteller und über politische Ereignisse

Auf diese Weise hat Heinrich Böll vielen helfen können, die in der Sowjetunion in Bedrängnis gerieten. Doch nicht nur darüber geben die Briefe Aufschluss. Es geht ebenso um Literatur – insbesondere um die Frage, welche Stränge die russische und die deutsche Literaturtradition miteinander verbinden. Heinrich Böll schreibt über sein eigenes literarisches Schaffen, über Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland in den 1960er und 70er Jahren und seine Rolle darin. Doch auch über anderes: Beeindruckend ist ein Brief vom September 1968, in dem Böll seinem Freund Kopelew berichte, was er empfand und erlebte, als er am 21. August auf dem Prager Wenzelsplatz stand. An diesem Tag rollten die Panzer der Staaten des Warschauer Paktes, um das Reformmodell des Prager Frühlings mit Waffengewalt niederzuschlagen.

Briefwechsel soll voraussichtlich 2011 erscheinen

Die Heinrich-Böll-Stiftung hat es sich zur Aufgabe gemacht, diesen einzigartigen, unter vielerlei Aspekten faszinierenden Briefwechsel zu veröffentlichen. Verantwortlich für das Projekt ist die Germanistin Elsbeth Zylla. Die zum größeren Teil handgeschriebenen Originale der Briefe werden im Kölner Heinrich-Böll-Archiv sowie im Moskauer Literaturarchiv (RGALI) bewahrt. Inzwischen wurde der Textkorpus erstellt. Aktuell wird, in Zusammenarbeit mit den Erben René Böll und Marija Orlowa, an den umfassenden Kommentaren gearbeitet. Ein internationales Konsortium von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, Fachleuten und Institutionen ist dabei beratend tätig. Das Kölner Heinrich-Böll-Archiv ist ebenso in die Arbeit einbezogen wie das Osteuropa-Institut der Universität Bremen, mehrere Goethe-Institute sowie die Auslandsbüros der Stiftung in Moskau und Tbilissi. Voraussichtlich 2011 werden die Arbeiten abgeschlossen sein.

Kontakt:

Elsbeth Zylla
Fon: 030 - 4849 6074
E-Mail: zylla@boell.de




17. Juni 2007 - Zum 10. Todestag von Lew Kopelew