Zum 90. Geburtstag von Heinrich Böll

Heinrich Böll - geboren am 21. Dezember 1917

21. Dezember 2007
Heinrich Böll – allein das Nennen des Namens reicht aus, und ein Tableau von Ereignissen, Szenen, Bildern der sogenannten ›Bonner Republik‹ wird aufgerufen: ›Der Deutsche Herbst‹, die Friedensbewegung Anfang der 1980er Jahre, die Mitte der 1970er Jahre entstehenden Bürgerinitiativen, die Kontroversen mit der Springer-Presse und die durch den Spiegel-Artikel über Ulrike Meinhof 1972 ausgelöste Hetzkampagne, im gleichen Jahr die erste Verleihung des Literaturnobelpreises an einen deutschen Schriftsteller nach dem Zweiten Weltkrieg.

Dann – etwas ferner schon: der Einsatz für Willy Brandt im Bundestagswahlkampf 1972, die ›68er-Bewegung‹.

Noch entfernter: die Auseinandersetzung des Katholiken Böll mit der katholischen Kirche 1963 … natürlich die Reibungen mit dem anderen großen Rheinländer, Konrad Adenauer ... mit der ›Rheinischen Republik‹, den restaurativen Tendenzen und die Kritik an der wirtschaftlichen Entwicklung, dem Wirtschaftswunderland Deutschland. Die Mahnungen, die nationalsozialistische Geschichte präsent zu halten.

Pointierter als mit dem Titel eines umfassenden Gesprächs, das der französische Journalist René Wintzen 1979 mit Heinrich Böll über dessen Leben und Werk führte, lässt es sich wohl kaum sagen: Heinrich Böll: »Eine deutsche Erinnerung«.

Darüber gelegt auch Klischees: ›Der gute Mensch von Köln‹, ›Chronist unserer Epoche‹, ›moralische Instanz‹ – schon zu Lebzeiten konnte sich Böll derer nicht widersetzen. Und irgendwo dazwischen, darin versteckt: Heinrich Böll selbst und sein Versuch, literarisch »der statistisch so leicht nachweisbaren Wirklichkeit« einer sich strikt auf ökonomische Leis-tungsprinzipen ausrichtenden Gesellschaft »Hintergrund zu geben, was bedeutet: sie wirklich zu machen, denn ohne die Literatur ist ein Staat gar nicht vorhanden und eine Gesellschaft tot«. Sie ›wirklich zu machen‹ aber bedeutete, »das von der Gesellschaft abfällig Behandelte in seiner Erhabenheit darzustellen« (Frankfurter Vorlesungen, 1964).

Bölls Grundeinspruch, dass auf einem allein vom Wirtschaftswachstum bestimmten Boden eine humane Gesellschaft nicht entstehen könne – dieser durch das Werk beglaubigte Einspruch bleibt, auch wenn die historisch gegebenen Bedingungen, die Bölls erzählerisches und publizistisches Werk bestimmten, andere geworden sind.

Die Lektüre Bölls mag der schwankenden Konjunktur unterliegen wie viele andere Werke der Literatur auch. Seine Texte mögen dem immer wieder auch wechselnden Kanon der Literatur zugehören oder auch nicht. Entscheidend bleibt, ob seine Perspektiven auf das Menschliche sich auch heute noch bewähren. Die einzige Antwort auf diese Frage aber ist, Böll noch einmal zu lesen.

Heinrich Böll: »Eine deutsche Erinnerung«

Stipendiaten der Heinrich-Böll-Stiftung über Heinrich Böll