Waren die Olympischen Spiele in Peking ein Erfolg?

Olympische Spiele in Peking - Schlusszeremonie
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28. August 2008
Von Katrin Altmeyer
Von Katrin Altmeyer

Die Spiele sind vorbei, doch die Debatten dauern an. Monatelang haben westliche Politiker und Medien gestritten, ob es richtig war, die Olympischen Spiele an Peking zu vergeben, ob die Spiele in Peking den Menschenrechten helfen, oder ob Olympia wegen der Menschenrechtssituation in China boykottiert werden sollte.  Die Realitäten eines ungemein komplizierten Landes, das in einem dynamischen Wandel begriffen ist und dabei nicht nur seine Wirtschaft reformiert, sondern auch um mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit ringt, gerieten dabei aus dem Blickfeld.
 
China ist heute ein bedeutendes Mitglied der Weltgemeinschaft, auch wenn sich offenbar viele - auch in Deutschland - mit dieser Erkenntnis noch schwer tun. Ein Fünftel der Menschheit sind Chinesen. Chinas Wachstum ist der Motor der Weltwirtschaft. Ohne die konstruktive Zusammenarbeit mit China können wir keines der drängenden Probleme unserer Zeit lösen. Die Spiele in China  auszutragen, war keine Belohnung für Wohlverhalten, sondern ein wichtiges Signal, dass Peking und der Rest der Welt verstanden haben. Ja, es war richtig, die Spiele nach China zu vergeben!

Olympische Spiele und Menschenrechte

Haben die Spiele der Durchsetzung der Menschenrechte in China geholfen? Die Antwort ist „nein". Keine sportliche und kommerzielle Großveranstaltung kann das leisten. Eher ist das Gegenteil der Fall: Wo immer Spiele ausgetragen wurden, gab es Übergriffe und Einschränkungen für die lokale Bevölkerung, meist nicht trotz, sondern wegen der Spiele. Am Tragischsten war das 1968 in Mexico City, als wenige Tage vor den Spielen Dutzende oder gar Hunderte protestierende Studenten von Sicherheitskräften erschossen wurden. Übergriffe ereigneten sich auch bei den Spielen 1984 in Los Angeles und 1996 in Atlanta, wo unerwünschte Stadtbewohner präventiv interniert wurden; oder in Seoul 1988 und Sydney 2000, wo massive Umsiedlungen stattfanden, um saubere Städte und Sportanlagen präsentieren zu können. 

Dass die Ausrichtung dieser Spiele über Nacht die Menschenrechte in China verankern könnte, mit dieser Hoffnung haben sich der Westen und das Olympische Komitee in die Tasche gelogen. Auch in Peking sollten die Spiele ein Hochglanz-Image der Stadt vermitteln und ein kosmopolitisches, modernes China vorführen. Die Führung in Peking wollte nicht nur der Welt, sondern vor allem den Menschen im eigenen Land zeigen, dass sie großen Herausforderungen gewachsen ist.

So hatten auch die Pekinger Spiele ihre Schattenseiten. Auch hier fanden Umsiedlungen statt und nicht alle Betroffenen waren mit den gezahlten Entschädigungen einverstanden. Die Sicherheitsbehörden waren nicht gut beraten, Demonstrationen zu verhindern, Kritiker wegzusperren oder einzuschüchtern. Und die Zensur des Internets ist schon lange absurd, angesichts sich kontinuierlich öffnender Informationskanäle und der vielfältigen Medienlandschaft in China.

China debattiert über die Spiele

Schon im Vorfeld, aber vor allem auch nach dem Ende der Spiele diskutieren die Chinesen in Internetforen, Blogs und in den klassischen Medien über Erfolg oder Misserfolg von Olympia. Hitzig wird gestritten, ob die Eröffnungsfeier zu großspurig und die Abschlussfeier zu provinziell waren. Man übt sich in Selbstkritik über die Verbissenheit, mit der um Medaillen gerungen wurde und diskutiert, wie weit gesunder Nationalismus gehen darf. Kritisiert wird die mangelnde Transparenz und Mitbestimmung über das beträchtliche Olympiabudget. Natürlich beschweren sich auch Chinesen über die Zensur im Internet. In Windeseile verbreitete sich die Nachricht, dass etliche sonst blockierte Internetseiten nun frei geschaltet wurden.

Auch jenseits von Olympia gibt es in China längst Debatten über Defizite bei der Einhaltung der Menschenrechte. Journalisten und Akademiker fordern die Abschaffung der Administrativhaft und Umerziehungslager (laojiao) und sie treten für Pressefreiheit ein.
 
China wird demokratischer – mit oder ohne Olympische Spiele

Dass in China heute öffentlich so diskutiert werden kann, zeigt, dass eine Zivilgesellschaft heran reift, die mehr Beteiligung an politischen Entscheidungen und Rechenschaft von ihrer Regierung fordert. Die Chinesische Führung stellt sich darauf ein. Die Partei ringt um Konsens darüber, wie weitere politische Reformen aussehen und wie schnell sie umgesetzt werden sollen. Dabei gibt es erhebliche Interessenskonflikte und weit auseinandergehende Meinungen. Radikale politische Reformen sind nicht zu erwarten, und Rückschläge nicht auszuschließen. Transparenz, Rechtsstaatlichkeit und neues Denken auf allen politischen Ebenen des Riesenreichs zu verankern, das erfordert Zeit. Trotzdem ist die Entwicklung nicht aufzuhalten.

Bereits jetzt organisieren sich immer mehr Menschen in Bürgerbewegungen. Jeden Tag gehen irgendwo in China Bauern, Arbeiter oder Hausbesitzer auf die Straße, um für ihre Rechte einzutreten und auf Missstände aufmerksam zu machen. Und immer häufiger sind ihre Aktionen erfolgreich. Im letzen Jahr konnten Bürgerproteste unter anderem den Bau einer umweltschädlichen Chemiefabrik und sogar eines Atomkraftwerks einstweilig stoppen und neue Umweltprüfungen durchsetzen. Sie konnten ausstehende Löhne eintreiben, auf lokale Korruption aufmerksam machen und so Reformen vorantreiben. Bürger können gegen Regierung und Administration klagen und haben das allein im Jahr 2006 hunderttausend mal getan. China ist auf dem Weg zu einer offeneren und demokratischeren Gesellschaft, mit oder ohne Olympia.

Dem Westen fehlt der Blick auf Chinas Komplexität und Dynamik

Westliche Kritiker übersehen diese Entwicklungen - in ihrem Eifern gegen ein System, das anders funktioniert als unsere Demokratie. Sie übersehen auch die enormen Leistungen der chinesischen Regierung, die in weniger als 30 Jahren mehr als 300 Millionen Menschen aus der Armut herausgeführt hat. Der Großteil der Menschen in China führt heute ein menschenwürdiges Leben, mit Chancen auf sozialen Aufstieg und Zugang zu Bildung für alle, auch für Frauen und Mädchen, was in Asien alles andere als selbstverständlich ist. Dreißig Jahre nach dem Chaos und der Anarchie der Kulturrevolution, als es weder Gesetze noch funktionierende Institutionen gab und das Vertrauen der Menschen in den Staat erschüttert war, sagen heute mehr als 80 Prozent der Chinesen, dass sie zufrieden sind mit der Richtung, in die sich ihr Land entwickelt.

Trotzdem würde niemand in China leugnen, dass es erhebliche Missstände gibt. Es sind vor allem strukturelle Defizite, Behördenwillkür und Amtsmissbrauch, die zu Menschenrechtsverletzungen führen, nicht eine systematische Verfolgung von Minderheiten und Andersdenkenden, wie es im Westen gerne dargestellt wird.

China steht heute vor gewaltigen Herausforderungen. Die Regierung muss Wohlstand und die dafür nötige Infrastruktur für hunderte Millionen Menschen schaffen, gleichzeitig die lokalen Umweltprobleme und den (vom Westen verursachten) Klimawandel in den Griff bekommen. Sie muss die Folgen von Modernisierung und Globalisierung für das Riesenreich abfedern, sozialen Ausgleich schaffen und dabei die Bedürfnisse so unterschiedlicher Regionen wie Tibet, dem moslemischen Xinjiang und der boomenden Küstenregionen berücksichtigen. Und China muss sich neben all den nationalen Herausforderungen in der Weltgemeinschaft positionieren und Verantwortung übernehmen, um seiner neuen geopolitischen und wirtschaftlichen Macht gerecht zu werden.

Der Westen hört nicht zu und China redet nicht

China braucht dabei Beratung und Unterstützung aus dem Westen und es ist bereit zuzuhören und zu lernen wie kaum ein anderes Land. Allerdings nur dann, wenn wir uns im Westen bemühen, Zusammenhänge und Sichtweisen der anderen zur Kenntnis zu nehmen und zu berücksichtigen.  Doch hier liegt unser Defizit. Es scheint, als verurteilten wir lieber vom moralisch hohen Ross aus, anstatt uns in einem oft schwierigen Dialog zu engagieren.

Natürlich gehören zu einem echten Dialog immer zwei Parteien. Während der Westen nicht zuhört, verstummt China vor internationaler Kritik oder erstarrt in reflexartigen Verlautbarungen der Selbstverteidigung. Der Mut zur Transparenz, zur selbstbewussten und offenen Auseinandersetzung mit Kritik und mit den eigenen Fehlern der Vergangenheit fehlt der chinesischen Führung noch. Dabei braucht China diese offene Auseinandersetzung, um die Probleme im Land zu lösen und um international Glaubwürdigkeit und Vertrauen zu gewinnen.

Vielleicht haben die Erfahrungen rund um die Olympischen Spiele ein wenig dazu beigetragen, dass China und der Rest der Welt einen echten Dialog führen. Dass man in China versteht, dass Kritik nicht Zurückweisung bedeutet, sondern Einladung zum Dialog. Und dass wir im Westen lernen, genauer hinzuschauen,  besser zuzuhören, und China und seinen Menschen den Respekt zu erweisen, der ihnen zusteht. Dann wären diese Spiele schon ein großer Erfolg.

 
 
 

Dossier

China: Öffentlichkeit und Medien im Olympiajahr

Auf unserer Konferenz am 20. Mai 2008 haben deutsche Olympia- und Medienexperten, Sport- und Außenpolitiker gemeinsam mit chinesischen Referentinnen und Referenten über die Wechselwirkungen zwischen chinesischer Politik und Medien diskutiert.