Migration wegen Klimawandel: Menschenrecht statt Sicherheitsfrage

16. Dezember 2011
Anna Basten, Georg Kössler

Die Folgen des Klimawandels für Migrationsbewegungen haben in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit erfahren – zuletzt sogar im UN-Sicherheitsrat. Die europäische Antwort auf die globale Herausforderung ist aber noch vage. Das liegt auch daran, dass Klimaflucht viele Gründe hat, zu denen fast immer auch Armut, Hunger oder politische Repression zählen. Es würde Millionen Einzelinterviews erfordern, um herauszufinden, ob die Auswirkungen des Klimawandels der Hauptgrund für einen Flüchtling waren, sein Land zu verlassen, oder nur der berühmte Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte. Verlässliche Daten zu erheben ist eigentlich unmöglich, auch weil es keine allgemein anerkannte Definition von Klimaflüchtlingen gibt. Es ist schwierig, nachzuweisen, wer direkt Schuld trägt. Sicher ist aber, dass Europa zu den Verursachern des Klimawandels gehört und Mitverantwortung für dessen Folgen trägt.

Es gibt verschiedene Arten von Umweltmigration, welche noch nicht abschließend kategorisiert worden sind. Migrationsbewegungen werden etwa durch Umweltverschmutzung, Konflikte um Ressourcen oder Unwetter-Katastrophen ausgelöst. Hinzu kommen politische und ökonomische Probleme. Auch die Konflikte in Darfur oder Somalia sind Beispiele dafür, wie der Klimawandel eine politisch instabile Region weiter schwächt und eine friedliche Lösung untergräbt. Es ist also dringend nötig, die heutige Problemlage in Forschung und Politik so zu bearbeiten, dass auch Opfer von Umweltveränderungen infolge des Klimawandels einen Anspruch auf Schutz bekommen.

Tatsächlich geht die westliche Angst vor „Flüchtlingsströmen“ an der Realität vorbei. Klimabedingte Migration findet vor allem innerhalb von Staaten oder zwischen den Ländern des Globalen Südens statt. Es sollte darüber nachgedacht werden, wie mit einer verstärkten Wanderung von Menschen umgegangen werden kann – unter dem Gesichtspunkt, dass die Menschenrechte der Migranten gewahrt werden müssen.

Höhere Zäune, falsche Strategie

Es wäre die falsche Strategie, Anpassung durch immer höhere Zäune zu suchen. Dies wird oft von Migrationsmanagement flankiert, was faktisch die restriktive Politik der einflussreichen Länder kaschiert und eine wirkliche Veränderung blockiert. Um zu vermeiden, dass sich Menschen gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen, helfen nur eine Bekämpfung des die Lebensgrundlagen zerstörenden Klimawandels sowie die Stärkung der Widerstandskraft der Betroffenen vor Ort. Auch der Europarat hat die EU aufgefordert, Standards zum Schutz von Klimaflüchtlingen zu entwickeln, sei es im Rahmen eines formellen Abkommens oder als Teil der Europäischen Menschenrechtskonvention. Schon eine regionale Liberalisierung der Migrationspolitik sowie ein europäischer Verteilungsmechanismus für vorübergehende Flüchtlinge würden helfen. Statt Flucht und Migration als Sicherheitsfrage zu betrachten, sollte Europa die Menschenrechte in den Mittelpunkt seiner Politik stellen.

Die ständig wachsende Gruppe der Klimaflüchtlinge fällt weder unter die internationale Genfer Flüchtlingskonvention noch in das Mandat der Klimarahmenkonvention (UNFCCC). Anstatt die Konvention aufzuweichen oder die Klimaverhandlungen weiter zu überfrachten, bräuchte es ein neues UN-Protokoll oder einen Zusatz zur Genfer Flüchtlingskonvention, welcher eine Definition von Klimaflucht sowie einen menschenwürdigen Umgang mit den Betroffenen verbindlich regeln würde. Eine handhabbare Kategorisierung müsste sich auf messbare Indikatoren stützen, z.B. Schnelligkeit der eingetretenen Umweltveränderungen oder wie stark diese auf den menschgemachten Klimawandel zurückzuführen sind. Hierzu müssten Wissenschaft und Politik Hand in Hand arbeiten, um ein besseres Wissen über die Folgen des Klimawandels zu gewährleisten.

Hilfe auf drei Ebenen

Hilfe muss auf drei Ebenen geschehen: kurzfristig Katastrophenhilfe, mittelfristig eine Anpassung vor Ort sowie langfristig eine Umkehr des Klimawandels. Parallel bedarf es einer Strategie im Umgang mit denjenigen, deren Heimat schlichtweg unbewohnbar geworden ist. Es gibt Beispiele für eine permanente Umsiedlung von ganzen Bevölkerungsgruppen. So erhielten alle rund 10.000 Bewohner der karibischen Insel Montserrat in Folge eines Vulkanausbruches permanentes Asyl in Großbritannien. Die Regierung von Neuseeland nimmt aufgrund von Arbeitskräftemangel jährlich 400 Personen aus Tuvalu, Kiribati und Tonga auf. Die Malediven prüfen bereits, wo sie ihre – nur 1,4 Meter über dem Meer lebende – Bevölkerung neu ansiedeln könnten. Dabei achten sie auch auf Kultur, Küche und Religion der potenziellen Zielgegend, denn bei kollektiver Klimaflucht geht es nicht nur um trockene Füße, sondern auch um kulturelle Integrität. Allein deshalb muss Europa keine Masse an Inselflüchtlingen befürchten.

Zuwanderung bringt viele Vorteile für das Gastland – bei guter Integrationspolitik und gleichen Rechten. Hierfür bräuchte es aber bessere Konzepte und einen öffentlichen Diskurs. Global sollten verschiedene Umsiedlungsstrategien offen diskutiert werden. Dabei ist das Grundprinzip sinnvoll, dass der reichere Norden finanziell hilft, während die den meisten Klimaflüchtlingen geografisch bzw. kulturell näher liegenden Staaten Flächen zur Wiederansiedlung bereit stellen könnten. Eines ist sicher: Die aktuellen Politikkonzepte helfen nicht weiter, Klimaflüchtlinge brauchen ein globales Regime mit einem fairen Lastenausgleich. Auf dem Weg dorthin sollte Europa mit Hilfe von intensiverer Forschung und mit einer humanen Gesetzgebung voran gehen. 

Anna Basten

Anna Basten beschäftigt sich als freie Autorin unter anderem mit dem Thema Migration.

Georg Kössler

Georg Kössler war Referent für Klima- und Energiepolitik in der Heinrich-Böll-Stiftung.