Dabei sein ist alles

Kampagne zum Selbermachen: Obamas Wahlkampfteam setze erfolgreich auf das Graswurzelprinzip; Foto: Kris Krüg/Flickr; Lizenz: CC-BY-NC-SA

7. November 2012
Besim Karadeniz
Online-Campaigning ist aus dem modernen Wahlkampf nicht mehr wegzudenken. Während lange Zeit auch im Web das “Senden in eine Richtung” vorherrschte, gehen moderne Websites immer stärker hin zur Zwei-Wege-Kommunikation und der pyramidenartigen Verteilung der Kampagnenarbeit auf viele Einzelpersonen nach dem Graswurzelprinzip.

Vorreiter dieses modernen Online-Campaignings, das im Kampagnenumfeld häufig als Politik 2.0 bezeichnet wird, sind die Wahlkämpfe von Barack Obama in den Jahren 2008 und 2012, die maßgeblich von einem US-Unternehmen namens Blue State Digital geprägt wurden. Obamas Kampagnenteam hat es damals und heute verstanden, Menschen für die Kampagnenarbeit zu begeistern und darüber hinaus mit einer authentischen und sehr schnellen Kommunikation Nachrichten und Meinungen auf allen denkbaren Kommunikationskanälen zu verbreiten.

Das Wahlkampfblog als Kernstück der Online-Kampagne


Wer wählt, möchte die Kandidierenden in ihrem Wahlkampf erleben und dann auch später in ihrer Arbeits- und Gedankenwelt begleiten können. Eine offensive und authentische Online-Kommunikation kann dieses Bedürfnis sehr gut bedienen. Im Falle von Barack Obama wurde und wird diese Kommunikation durch ein zentrales Weblog gesteuert – sowohl im Wahlkampf als auch in der Kommunikation als US-Präsident im Weißen Haus.

Das Wahlkampfblog ist die zentrale Anlaufstelle, unbearbeitet von Medienschaffenden und Redaktionen. Die Informationen dort sind nicht als “Nachrichtensee” konzipiert, sondern als sich ständig bewegender “Nachrichtenfluss”. Diese aktive, fließende Berichterstattung erhöht die Chance, dass die Besucherinnen und Besucher immer wieder kommen und sich über die Neuigkeiten im Wahlkampf der Kandiderenden informieren. Sie werden zu Multiplikatoren, die “Königsklasse” von informierten Menschen, die die Botschaft der Kandidierenden auch innerhalb ihres Freundes- und Bekanntenkreises weitergeben.

Das Wahlkampfblog Obamas war so eine Verlautbarungsplattform, gleichzeitig Meinungsmacher, Sammelstelle für Veröffentlichungen (Presseecho etc.) und Ort der Wählerinitiative. Dadurch, dass es stark mit anderen Blogs in der “Blogosphäre” vernetzt war und neue Inhalte grundsätzlich schnell in soziale Netzwerke eingespeist werden, wurde eine neue Nachricht innerhalb von wenigen Minuten verbreitet und das nicht nur zu Medien, sondern auch zu anderen Blogs und all denjenigen, die das Wahlkampfblog abonniert hatten.

Authentizität frei Haus

Das höchste Gut in der Politik und in jedem Wahlkampf ist die Authentizität der Politikerin oder des Politikers. Eine Karte, die das Team von Obama voll ausspielte. Die offiziellen Mitteilungen wurden zwar selten von Obama selber verfasst, sondern namentlich von einem zuständigen Teammitglied.  Diese Taktik machte die Online-Kampagne greifbarer und authentisch. Gleichzeitig wurde damit auch der Ruf von Barack Obama als Teamplayer gestärkt und unterstrichen.

Kommentare und Feedbacks – echter Dialog

Ein Kernkonzept des Wahlkampfblogs von Barack Obama war die Möglichkeit, veröffentlichte Artikel direkt kommentieren zu können. Und innerhalb dieser Kommentare, die oft wenige Minuten später eingestellt wurden, entwickelten sich schnell ganze Diskussionsstränge zwischen Wahlkampfteam und Wählenden, sogenannte Threads. Erstaunlicherweise war die Quote von unsachlichen und unflätigen Kommentaren recht niedrig. Es sieht so aus, dass die zügige Reaktion des Wahlkampfteams – und darauf wurde großen Wert gelegt – die Quote von unsachlichen Kommentaren deutlich gesenkt hat: Wer schnell und konsequent reagiert, hält die Zügel der Kommunikation.

Social Networking als Satelliten der Online-Kampagne


Während das Wahlkampfblog das Herzstück der Online-Kampagne Barack Obamas war, dienten die gängigen sozialen Netzwerke als Satelliten der Kampagne und als Sprachrohr für einzelne Wahlkampfeinheiten. Alle Organisationseinheiten in den einzelnen US-Bundesstaaten beispielsweise waren mit einem eigenen Twitter-Account vertreten und kommunizierten eigene Nachrichten, die wiederum vom “Haupt”-Twitter-Account in der Wahlkampfzentrale regelmäßig aufgegriffen und weiter veröffentlicht wurden.

Die Kampagnenseiten in Facebook und Google+ dienten als Bastion des Obama-Wahlkampfes in den beiden sozialen Netzwerken und wurden weitgehend mit Nachrichten aus dem Wahlkampfblog und eigenen exklusiven Artikeln und multimedialen Inhalten bestückt. Auf dem YouTube-Kanal wurden regelmäßig Werbespots und Mitschnitte von Wahlkampfveranstaltungen gesendet, auf dem Fotodienst flickr Fotos aus dem Wahlkampf vor und hinter den Kulissen gezeigt. Hinter der Nutzung all dieser Netzwerke steckt der Gedanke, dort präsent zu sein, wo auch die potenziellen Wählerinnen und Wähler sind und so den Kontakt zum Kandidaten zu schaffen.

Die Wahlkampfschaltzentrale hinter den Kulissen – der Partybuilder

Nicht wegzudenken aus dem Wahlkampf war der sogenannte Partybuilder. Diese Software ist eine gewaltige Datenbank mit Kontaktdaten praktisch aller Wählerinnen und Wähler in den USA. Der Partybuilder ersetzte zu einem Teil die verlorengegangenen Parteistrukturen der Demokratischen Partei auf bundesstaatlicher und kommunaler Ebene.

Mit dieser Software konnten auch einzelne Ehrenamtliche den Wahlkampf aktiv unterstützen. In den USA ist es üblich, Wahlkampf vor allem via Telefon zu betreiben; der Partybuilder macht mithilfe eines Moduls eine effektive Akquise möglich, die jeder von seinem eigenen Telefon aus betreiben konnte.

Zusammen mit dem Partybuilder und einer ausgeklügelten, pyramidenartigen Organisation mit eigenen Verwaltungsebenen auf kommunaler und bundesstaatlicher Ebene wurde ein Großteil des direkten “Nahkampfes” vor Ort mit ehrenamtlichen Kräften abgewickelt. Der Partybuilder interagierte hierbei sehr eng mit der Website der Online-Kampagne; über die Verknüpfung beider Werkzeuge wurden die Wählerinnen und Wähler treffsicher erreicht und blitzschnell mit den neuesten Daten versorgt.

Fundraising nach dem Graswurzelprinzip

Das Graswurzelprinzip wurde in der Obama-Kampagne noch an einer anderen Stelle höchst erfolgreich angewendet – im Fundraising. Üblicherweise wird ein solcher Wahlkampf über Großspenden gedeckt. Klein- und Kleinstspenden erfüllen dennoch einen nicht zu unterschätzenden Zweck, sie erhöhen die Akzeptanz. Die Wahlkampfkommunikation von Barack Obama, die vor allem auf Authentizität setzte, pflegte auch diesen Ansatz. Auch wenn auf diese Weise nur ein kleiner Teil des Gesamtbudgets gedeckt worden sein dürfte – die Wählerinnen und Wähler fühlten sich durch die Bitte, am “gemeinsamen Projekt” mit einer Spende mitzuarbeiten, offenbar sehr angesprochen. Von Januar bis September 2012 kamen immerhin insgesamt über zehn Millionen Kleinspenden für die Obama-Kampagne zusammen.


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Besim Karadeniz ist seit 1998 Autor des Internet-Lexikons “netplanet” und Blogger seit 2004 unter http://blog.netplanet.org. Er ist verantwortlicher Leiter für mehrere Online-Kampagnen von Wahlkämpfen von Bundestags- und Landtagsabgeordneten sowie auf Kommunalebene. Seit 2010 ist er Mitinhaber einer Agentur, die sich unter anderem auch mit dem Thema Online-Campaigning beschäftigt.

  • Mehr zum Thema Digitale Demokratie aus internationaler Perspektive im neuen Böll.Thema (3/2012), das Anfang Dezember erscheinen wird.
  • Ebenfalls zum Thema Digitale Demokratie Boell.Thema (2/2012)

Magazin

Böll.Thema 3/2012: Grenzenlos vernetzt

Dieser Artikel ist Teil von Böll.Thema 3/2012 "Grenzenlos vernetzt - Chancen und Risiken für die Demokratie". Wie bereits im Heft 2/2012 geht es um digitale Demokratie, diesmal erweitert um die internationale Perspektive. Einige Beiträge gehen der Frage nach, inwiefern das Netz zur Demokratisierung und Teilhabe beitragen kann. Mit Beiträgen u.a. von Evgeny Morozov, Kirsten Fiedler, Markus Beckedahl, Katrin Zinoun, Markus Reuter, Anne Roth, Falk Lüke, Ute Straub, Jeppe Rasmussen, Malte Spitz, Marisa Elisa Schlacher und Robin Geiß.

Dossier

US-Wahl 2012

Am 6. November entscheiden die Wählerinnen und Wähler in den USA, wer ihr Land in den kommenden vier Jahren regieren wird. Ob Barack Obama oder Mitt Romney – der gewählte Präsident wird in absehbarer Zeit innen- wie außenpolitisch neue Akzente setzen. Schon jetzt ist unverkennbar: Im kommenden November stehen die US-Bürgerinnen und Bürger  vor einer richtungsweisenden Entscheidung. Gemeinsam mit unserem Büro in Washington begleiten wir den Endspurt und die Ergebnisse der US-Wahl 2012 mit Analysen und Hintergrundinformationen.