Insektenschutz und Landwirtschaft: Mit Vielfalt zur Ernte

Insektenatlas

Durch ihre Bestäubungsleistung und die Verbesserung der Böden sind Insekten für die Landwirtschaft unabdingbar, aber durch sie auch stark gefährdet. Mehr Schutz der Artenvielfalt in Agrarlandschaften ist nötig.

Grafik: Wert der Agrarproduktion, die durch Bestäuber ermöglicht wird, in US-Dollar pro Hektar
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Die in Geld ausgedrückte Bestäubungsleistung von Tieren – überwiegend Insekten – zeigt, wie lohnend selbst teure Schutzmaßnahmen sein können.

Damit Ökosysteme funktionieren können, brauchen sie Insekten. Pflanzenfresser, die an Blättern nagen oder deren Säfte saugen, gehören ebenso dazu wie räuberische Insekten, die Artgenossen vertilgen oder gar – wie die parasitischen Wespen – ihre Nachkommen in einem Wirt entwickeln lassen, um diesen am Ende zu töten. Aas- und Dungfresser fördern die Beseitigung toter Organismen. Streuzersetzer schließen abgestorbene Pflanzen auf, sodass Mikroben sie schneller abbauen können.

Pflanzen sind untrennbar mit der Landwirtschaft verbunden. Die Bestäuber anderer Gewächse der gleichen Art leisten einen Beitrag zur genetischen Durchmischung und zum Samenansatz bei Wild- und Nutzpflanzen. Drei Viertel der weltweit wichtigsten landwirtschaftlichen Kulturpflanzen profitieren in ihrem Ertrag von Bestäubern und garantieren damit rund ein Drittel der Produktion von Nahrungsmitteln. In Deutschland kann die Förderung der Wildbienen – meist sind sie wichtigere Bestäuber als die Honigbienen – den Ertrag an Erdbeeren und Kirschen verdoppeln.

Das große Fressen - Grafik Befall des weltweit verbreiteten Kornkäfer
Im Kampf gegen die hohen Nachernteverluste in Getreidelagern sind nicht Insektizide, sondern bissfeste und luftdichte Behältnisse entscheidend.

Insekten können auch schädlich sein. Fressen sie nicht Beikräuter, sondern Nutzpflanzen, können weitreichende Schäden entstehen. Weltweit sind Insekten für 17 bis 30 Prozent der Ernteverluste verantwortlich, insbesondere in Ländern, die von Hunger und Armut geprägt sind. Insekten spielen auch eine große Rolle bei Verlusten nach der Ernte, die in Entwicklungsländern rund 40 Prozent betragen können.

So wie Insekten die Landwirtschaft beeinflussen, beeinflusst die Landwirtschaft auch Insektenpopulationen. Neben Klimawandel und Lichtverschmutzung gilt die Ausweitung und Intensivierung der Landwirtschaft als die mit Abstand wichtigste Ursache des weltweiten Artenrückgangs. Agrarlandschaften werden durch die Intensivierung der Landwirtschaft strukturell einfacher. Überdüngung führt zu monotonen Pflanzengesellschaften, die nur wenigen Insektenarten einen Lebensraum bieten. So sind in Deutschland 71 Prozent der Ackerwildkrautarten pro Acker seit 1950 verschwunden.

Außerdem tragen Pestizide direkt und indirekt zum Insektensterben bei. Der häufige Einsatz von Herbiziden – den Giften gegen Beikräuter – führt zu einer Verarmung der Pflanzenwelt und den davon abhängigen Nahrungsnetzen für Insekten. Insektizide töten Insekten meist direkt. Besonders fatal aber sind die zunächst nicht tödlichen Wirkungen: die verringerte Vitalität und Reproduktion, die verminderte Fähigkeit, sich zu orientieren, oder auch die erhöhte Anfälligkeit für Krankheiten.

Seit den 1930er-Jahren hat der chemische Pflanzenschutz in vielen Industrieländern schrittweise zugenommen. In Lateinamerika, Asien und Ozeanien steigt er bis heute. Noch in den 1960er-Jahren hatte die Pflanzenschutzindustrie einen Wert von weniger als zehn Milliarden US-Dollar, und den Landwirtinnen und Landwirten standen rund 100 Wirkstoffe zur Verfügung. Heute hat die Branche einen Wert von über 50 Milliarden Dollar, und die Landwirtschaft kann weltweit zu rund 600 Wirkstoffen greifen.

Cover_Insektenatlas 2020

Insektenatlas 2020

Auf jeden Menschen dieser Erde kommen rund 1,4 Milliarden Insekten. Trotzdem sind sie massiv bedroht. Es mag an dieser unerschöpflich scheinenden Masse liegen, dass das Ausmaß der Gefahr viel zu lange kaum Beachtung fand.  Dabei ist ein großer Teil der Pflanzenwelt auf die fleißige Bestäubung der Insekten angewiesen. Der Insektenatlas 2020 präsentiert in 20 Kapiteln Vorschläge und Lösungen für Insektenschutz.

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Die Menge der weltweit verwendeten Stoffe nimmt weiter zu. Damit werden auch die negativen Auswirkungen auf die Insektenwelt immer spürbarer. Sie aber sind nicht allein darauf zurückzuführen, dass immer mehr Stoffe eingesetzt werden. Die Mittel werden auch immer wirksamer und können gezielter eingesetzt werden.

Die Art der landwirtschaftlichen Produktion und die Struktur der Agrarlandschaft können schädliche Insekten zurückdrängen und Nützlinge fördern. Schädlinge profitieren von großen Monokulturen und davon, dass die immer gleichen Pflanzen auf dem Acker stehen. Eine Diversifizierung mit vielen Kulturarten, langen Fruchtfolgen und kleinen Feldern hilft, die Vielfalt der Insekten zu erhalten und damit ein für die Landwirtschaft günstigeres Gleichgewicht zwischen Schädlingen und Nützlingen sicherzustellen.

Auch ein Vergleich von acht Regionen in Europa und Nordamerika zeigt, dass eine Verkleinerung der Ackerflächen zu einer stark erhöhten Artenvielfalt führt, weil auf diese Weise viele Insekten-, Vogel- und Pflanzenarten unterschiedliche Ressourcen nutzen können. Gerade die Feldränder sind wichtig, weil sie die Lebensräume der Insekten vernetzen. Wird die durchschnittliche Feldgröße von rund 5 auf 2,8 Hektar verkleinert, hat das den gleichen positiven Effekt auf die Biodiversität, als würde der Anteil naturnaher Lebensräume von 0,5 Prozent auf 11 Prozent vergrößert.

Grafik: Drohender Rückgang der Ernte von 107 pflanzlichen Nahrungsmitteln* beim Wegfall tierischer Bestäubung, Zahl der Früchte und Beispiele
Ungefähr ein Achtel der für die Menschen wichtigsten pflanzlichen Agrargüter hängt in sehr hohem Maße von Bestäubern ab.

Bedeutend für die Insektenvielfalt in Agrarlandschaften ist die Gestaltung der Landschaft in ihrer Gesamtheit und nicht nur die Bewirtschaftung einzelner Felder, weil die meisten Insektenpopulationen in großen Landschaftsräumen, also nicht kleinräumig, leben. Beispielsweise beherbergen Kalkmagerrasen ein Drittel mehr Arten, wenn sie in einer durchmischten statt in einer von Äckern geprägten Landschaft liegen. In monotonen, ausgeräumten Landschaften haben einige wenige Hecken und Blühstreifen eine positivere Wirkung auf die Insektenvielfalt als in bunten, diversen Landschaften, in denen solche Strukturelemente ohnehin zuhauf zu finden sind. Da sich die Zusammensetzung der Insektenpopulation von einer Region zur anderen deutlich ändert, sind Schutzmaßnahmen für die Insektenvielfalt über alle Regionen hinweg erforderlich.