Liebeserklärungen an Berlin und Tel Aviv bei den deutsch-israelischen Literaturtagen

Blick auf Tel Aviv. Foto: BernieCB. Dieses Foto steht unter einer Creative Commons Lizenz (BY-NC-SA)

12. November 2009
Von Adina Stern

Von Adina Stern

Die dritten deutsch-israelischen Literaturtage in Tel Aviv fanden vom 27.- 31. Oktober statt. Unter dem Motto „Tel Aviv – Berlin. Leben und Schreiben in den Städten“ waren sie als Hommage an die Stadt Tel Aviv konzipiert, die gerade ihren 100. Geburtstag feiert. Sie schlugen gleichzeitig einen Bogen zu Berlin, das den 20. Jahrestag des Falls der Mauer begeht. Eingeladen waren vier deutsche und vier israelische Schriftsteller: Marc Buhl, Iris Hanika, Judith Kuckart und Hatice Akyün sowie Orly Castel-Bloom, Alon Hilu, Dror Burstein und Shimon Adaf.

Mit Lesungen, Diskussionen und Autorengesprächen in Galerien, Bars und Cafés in Tel Aviv regten das Goethe-Institut und die Heinrich-Böll-Stiftung nicht nur den Dialog über „Berührungs- und Befremdungspunkte“ an, sondern erkundeten gleichzeitig gemeinsam mit dem Literaturpublikum die Topographie der jungen Metropole am Mittelmeer. Die fünf Veranstaltungsorte der Reihe standen beispielhaft für die Vielfalt des kulturellen Lebens in Tel Aviv. Sie machten nicht nur den Stadtraum zwischen der Ben-Jehuda-Straße und Jaffa erfahrbar, sondern waren zugleich nachbarschaftliche Kristallisationsorte der kulturellen Kommunikation unterschiedlicher gesellschaftlicher Formierungen.

Lebenswelten in der Stadt
Die Literaturtage begannen mit einer Veranstaltung in einem gerade neueröffneten Loft von Alon Kastiel auf der Ben-Jehuda Straße. Rund 140 Besucher hörten interessiert dem Gespräch über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Städte Berlin und Tel Aviv zu, an dem Franziska Eichstädt-Bohlig, bündnisgrünes Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin, der Berliner Verleger Jochen Visscher, der israelische Knessetabgeordnete der "Chadash"-Partei, Dov Khenin, sowie der junge israelische Autor und Verleger Joshua Simon teilnahmen. Der ausgesprochen lebhaften und kurzweiligen Diskussion über die verschiedenen Lebenswelten, über gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen und Spannungen, über Themen wie Jugendkultur und öffentliche Verkehrsmittel in den beiden Städten folgte ein Empfang. Die Veranstaltung war ein fulminanter Auftakt für die kommenden vier Tage, die sich vor allem auf die deutsche und die israelische Literatur konzentrierten.

Psychologische Landkarten
Am 28.10. trafen in der Galerie "Hachalalit" ("das Raumschiff" oder aber auch "das kleine Universum") Judith Kuckart und Orly Castel-Bloom zusammen. Nachdem die Schauspielerin Netta Giladi die hebräische Übersetzung der ersten Seiten aus Kuckarts Roman "Der Bibliothekar" und Castel-Bloom einige Auszüge aus ihrem Roman "Dolly City" gelesen hatten, moderierte die junge Autorin Amalia Rosenblum das Gespräch der beiden über Leben und Schreiben in Tel Aviv und Berlin. Thematisiert wurden etwa die Unterschiede zwischenmenschlicher Beziehungen in der Stadt und in der Peripherie, die urbanen "psychologischen Landkarten" Berlins und Tel Avivs und der gesellschaftliche Status, der den Berlinern bzw. Tel Avivern im restlichen Deutschland bzw. Israel anheim fällt.

Migrationserfahrungen aus deutsch-israelischer Perpeketive
Die Lesung am Abend darauf fand in einem jüdisch-arabischen Buchladen mit integriertem Café in Jaffa statt, dem "Café Jaffa". Über siebzig Zuschauer drängten sich in den kleinen, reizvollen Raum, an dessen Wänden arabisch- und hebräischsprachige Bücher zum Durchblättern und –lesen bereit stehen, um der Lesung und dem von der "ZEIT"-Korrespondentin Gisela Dachs moderierten Gespräch zwischen der deutsch-türkischen Autorin und Journalistin Hatice Akyün und dem jungen israelischen Autor, Lyriker und Musiker Shimon Adaf zu lauschen. In der Tat war dies ein spannendes Gespräch über die verschiedenen Einwanderungs- und Assimilitationserfahrungen in den jeweiligen neuen Heimatländern. Während Akyün dreijährig mit ihren Eltern nach Duisburg kam und sich trotz der traditionellen Lebensweise ihrer türkischen Familie ausgesprochen erfolgreich in die deutsche Mehrheitsgesellschaft integrierte – ohne hingegen ihre türkischen Wurzeln zu verleugnen – verboten Adafs Eltern, die aus Marokko nach Israel kamen, den Kindern etwa, eine andere Sprache als Hebräisch zu sprechen und waren sehr darauf bedacht, dass die Kinder so schnell und so gründlich wie möglich zu Israelis würden. Beide Autoren fanden ihre jeweiligen sie heute bestimmenden Identitäten erst, als sie nach Berlin und Tel Aviv zogen, denn diese Städte ermöglichen die Synthese der vielschichtigen Identitäten von Menschen mit "Migrationshintergrund".

Erinnerungskultur und alternative Geschichte
Am Freitag, den 30.10., trafen im Restaurant "Radio Rosco" Marc Buhl und Alon Hilu zusammen. Trotz der traditionellen „Schlafstunde“ am Freitagnachmittag kamen auch hierher rund 70 Personen, um der Lesung der beiden Autoren beizuwohnen. Während Buhl aus seinem neuen Roman "375", dessen Protagonist einer der letzten Häftlinge des Stasigefängnisses Hohenschönhausen ist, las und der Schauspieler Amir Dulitzki die hebräische Übersetzung einiger Auszüge des Textes vortrug, las Hilu aus seinem neuen Werk "Das Dajani-Haus", in dem es um die Anfänge der jüdischen Siedlung in Jaffa geht. Der Tel Aviver Historiker Nitzan Lebovic führte danach ein spannendes Gespräch über Erinnerungskultur und über die Romangattung der "alternativen Geschichte" , die nur teils auf historischen Fakten, im Wesentlichen aber auf einer fantasievollen Vorstellung des Autors, wie es auch anders hätte sein können, basiert.

Liebeserklärung an die Stadt
Die äußerst erfolgreiche literarische Woche endete am Samstag, den 31.10., im Restaurant "Joz ve Loz", in das sich diesmal rund 100 Zuschauer drängten, um dem Abend mit der Berliner Autorin Iris Hanika und dem Tel Aviver Autor Dror Burstein beizuwohnen. Nachdem die Schauspielerin Esti Nissim eine hervorragende, fast szenische Lesung der hebräischen Übersetzung eines Auszugs aus Hanikas Roman "Treffen sich zwei" vorgetragen hatte, las Burstein einige Textauszüge aus seinem neuen Roman "Verwandt". Im Anschluss unterhielten sich die beiden, moderiert von dem Literaturwissenschaftler Amit Marcus, über die Gemeinsamkeiten und Unterschiede ihrer beiden Romane, und über Berlin und Tel Aviv. Gerade an diesem Abend wurde dieses zentrale Thema noch einmal auf teils sehr humorvolle Weise zusammengefasst. Beide Autoren gaben ihrer Liebe zu ihren Heimatstädten Ausdruck – aber auch ihrer Vertrautheit mit der jeweils anderen Stadt. Das Literaturfestival endete sozusagen mit einer Liebeserklärung an Berlin und Tel Aviv, so dass sich ruhigen Herzens behaupten lässt: „mission accomplished“. Die Literaturwoche hat ihren Teil zu der Verbundenheit Tel Avivs und Berlin beigetragen.

  • Die deutsch-iraelischen Literaturtage wurden vom Goethe-Institut und der Heinrich-Böll-Stiftung in Israel veranstaltet. Mehr Informationen zum Auslandsbüro Israel finden sie unter www.boell.org.il