Einmischung durch Bürgerstiftungen. Partizipatorische Innovation versus Privatisierung öffentlicher Belange

Werkstattgespräch der Grünen Akademie 12. Juni 2009

23. Juli 2009
Ulrike Cichon
Von Ulrike Cichon

Bürgerstiftungen haben Konjunktur. Im Spiegel der Berichterstattung betrachtet, scheint das Engagement in Form einer Stiftung DIE Entwicklung der letzten Jahre und damit die zukunftsweisende Engagementform der näheren Zukunft zu sein. Doch der Stiftungsboom ist nicht unumstritten. Einerseits kann das Engagement in einer Stiftung als eine neue Form des Bürgerstolzes verstanden werden, sich nicht mehr als Bittsteller im Antragsdschungel, sondern als Gestalter mit eigener Kapitaldecke zu positionieren. Andererseits greifen Bürgerstiftungen durch eigene Projekte in den „Markt“ der bereits etablierten gemeinnützigen Träger ein und treiben die Privatisierung öffentlicher Belange weiter voran. Grund genug für die Grüne Akademie der Heinrich-Böll-Stiftung, sich dem Thema in Form eines Werkstattgesprächs mit Experten aus Wissenschaft, Politik und Praxis zu nähern.

Historische Entwicklung der Stiftungsarbeit

Im Mittelpunkt des nachmittäglichen Werkstattgesprächs standen im ersten Teil historische Entwicklung und Analyse der praktischen Stiftungsarbeit in Abgrenzung von anderen Formen des bürgerschaftlichen Engagements, während sich der zweite Teil der engagementpolitischen Seite zuwandte und die Steuerpolitik beleuchtete. Es referierten Prof. Frank Adloff (FU Berlin), Dr. Stefan Nährlich (Aktive Bürgerschaft) und Dr. Bruno Haas (Bewegungsstiftung) unter der Moderation von Oliver Schruofenegger, MdA (Bündnis 90/Die Grünen), sowie Rupert Graf Strachwitz (HU Berlin) und Britta Hasselmann, MdB (Bündnis 90/Die Grünen), moderiert von Dr. Ansgar Klein (Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement).

Stiftungen werden öffentlich in letzter Zeit sehr positiv, wenn nicht euphorisch aufgenommen. Die Argumente dafür sind naheliegend: Stärkung der Zivilgesellschaft, Ausweitung des bürgerschaftlichen Engagements, stärkere Teilhabe und, last but not least, die Schaffung „sozialen Kapitals“. Letzteres, so führte Prof. Adloff aus, meint die sozialen Beziehungen und Vernetzungen von Bürgerinnen und Bürgern und avanciert in dieser Debatte zum Zauberbegriff schlechthin.

Vorbilder für die hierzulande besonders gefeierten Bürgerstiftungen sind die community foundations im anglo-amerikanischen Raum: Die erste ihrer Art wurde bereits 1920 in Cleveland gegründet. Im Unterschied zu den deutschen Bürgerstiftungen, deren erste 1996 in Gütersloh entstand, sind community foundations ausschließlich fördernd tätig und initiieren keine eigenen Projekte. In den USA gibt es derzeit über 700 dieser Bürgerstiftungen, die im Jahr 2007 über vier Milliarden US-Dollar verausgabten. Im Vergleich dazu verfügen deutsche Bürgerstiftungen über eine magere Kapitaldecke: Die größten, so Dr. Nährlich, verfügen über fünf Millionen Euro; die vielen kleinen deutschen Bürgerstiftungen über vielleicht je eine halbe Million Euro. Daher seien sie auch gezwungen, eigene Projekte zu entwickeln, um in Kooperationen nicht zum Juniorpartner ohne Gestaltungsmacht zu werden: In deutschen Bürgerstiftungen stehe gemeinhin mehr Zeit als Geld zur Verfügung. Um sich am Markt der Gemeinnützigkeit positionieren zu können und als eigener, einflussreicher Player wahrgenommen zu werden, sind also eigene Projekte nötig.

Stiftungen - „Prestigeagenturen“ lokaler Eliten?

Verschiedene Studien zeigen aber große Defizite bei der Initiierung, Auswahl und Durchführung der durch die Stiftungen geförderten Projekte. So fehlte es bei den untersuchten Stiftungen sowohl an einer Evaluierung des Bedarfs als auch an einem grundlegenden Fundraisingkonzept, führte Prof. Adloff aus. Die Auswahl förderwürdiger Projekte erfolgte durch die persönlichen Vorlieben der Stifter, und die öffentliche Sichtbarkeit wurde als wichtiger bewertet als der eigentliche Erfolg des Projekts. Die Annahme, Merkmale wie Inklusivität, Transparenz und des regionalen Interessenfokus seien Indikatoren für die Verankerung in der Bürgergesellschaft, ließ sich in den Studien kaum untermauern: Bürgerstiftungen bilden häufig die vorhandene soziale Asymmetrie ab und dienen als „Prestigeagenturen“ lokaler Eliten. Oder, kürzer: Elite kreiert Stiftungen, und Stiftungen kreieren Elite.

In seinem insgesamt recht kritischen Beitrag schlussfolgerte der Soziologe, die Stifter setzten ihr Partikularinteresse dem Gemeininteresse willkürlich gleich. Dass das „Gemeinwohl“ umkämpft ist und nur diskursiv erzeugt werden kann, werde durch die Bürgerstiftung als modernem Honoratiorenverein oftmals ignoriert. Dabei wären Bürgerstiftungen prinzipiell in der Lage, zivilgesellschaftlicher Akteur im besten Sinne zu sein, so Adloff weiter. Sie könnten gesellschaftlichen Wandel über die Vergabe von social risk capital befördern und innovative Problemlösungsstrategien auf Augenhöhe mit anderen Akteuren entwickeln. Dazu müsste aber die Einbindung von bzw. die Kooperation mit anderen lokalen Organisationen im gleichen Feld über reine PA-Maßnahmen hinausgehen. Zudem sind dringend Rechenschaftspflichten und Transparenzrichtlinien einzuführen, die ihre herausgehobene Stellung im Vergleich zu anderen gemeinnützigen Organisationen in der öffentlichen Subventionierung durch den Steuerzahler rechtfertigen.

Weniger kritisch schätzte der Geschäftsführer der Aktiven Bürgerschaft, Dr. Nährlich, die Situation ein: Da Engagement in erster Linie wohlhabend und mittelschichtig sei, ähnele die Bürgerstiftung derzeit naturgemäß einem modernen Honoratiorenverein. Er zeigte aber Vertrauen in die Kraft des Marktes: Durch Zustiftungen werde dieser einiges für die Zukunft richten.

Einig war man sich aber in der Forderung nach verbindlichen Transparenzrichtlinien. Das Argument, dies bedeute gerade für kleine Organisationen unzumutbare Bürokratie, ließen die Experten nicht gelten: Die Daten liegen bereits in den Berichten für die Stiftungsaufsicht vor und müssten nur öffentlich zugänglich gemacht werden. Die 16 Gruppenstiftungen des Netzwerk Wandelstiftung leben Transparenz bereits. Neben dem Ziel des sozialen Wandels, der Mitbestimmung und der ethischen Geldanlage zählt die Transparenzpflicht zu ihren Grundsätzen. Das Netzwerk wurde von Dr. Haas vorgestellt, der in seinem philosophischen Vortrag die Gemeinschaftsstiftung mit ihrer Möglichkeit der Selbsterkenntnis durch Zwang zu Diskussion als „gute“ Stiftungen anderen Formen des Stiftungswesen den Vorzug gab. Unverzichtbares Element einer „guten“ Stiftung seien die Anwendung von Methoden der engagierten Philanthropie: Mission Statement, Umfeldanalyse, strategischer Einsatz der Mittel und Evaluation. Zudem natürlich, übereinstimmend mit allen Rednern des Nachmittags, umfassende und verbindliche Transparenzrichtlinien sowie zusätzlich, ggf. auch ab einer bestimmten Stiftungsgröße verbindliche, Mitbestimmungsmodelle.

Stiftungen und Steuerpolitik

Der zweite Teil des Werkstattgesprächs widmete sich der Steuerpolitik. In den Jahren 2002 und 2007 wurden Steuererleichterungen für den Non-Profit-Bereich beschlossen. Die Möglichkeit, bis zu einer Million Euro steuerfrei in Stiftungen anlegen zu können, bedeutet eine deutliche Bevorzugung der Kapitalanlage in Form einer Stiftungsspende gegenüber Spenden an andere gemeinnützige Organisationen. Eine normative Begründung dafür zu finden, fiel selbst Graf Strachwitz schwer. Selbst Argumente für eine Gleichstellung von Stiftungen mit anderen gemeinnützigen Organisationsformen wie Vereinen oder Verbänden zu finden, sei mühsam, aber wohl möglich – eine Bevorzugung sei normativ, jedoch kaum zu begründen. Gleichwohl gab es weder im Gesetzgebungsprozess noch im Nachhinein Beschwerden zu diesem Punkt.

Die Steuerbefreiung gemeinnütziger Organisationen hat in Deutschland eine lange Tradition. Der dadurch vom Staat in Kauf genommene Einnahmeausfall erlaubt im Gegenzug dem Staat Zugriff auf die Organisationen. Aus der Steuerbefreiung ergibt sich laut Graf Strachwitz auch das Recht der Gemeinschaft auf Einsichtnahme z.B. von Finanzquellen, Verwendungszweck etc. – eine umfassende Transparenzpflicht müsse dringend verbindlich eingeführt werden, und zwar für alle gemeinnützigen Organisationen. Bürgerstiftungen als ein relativ junges Phänomen hätten es bedauerlicherweise verabsäumt, in dieser Frage vorbildlich und stilbildend freiwillig Standards zu setzen. Britta Hasselmann versprach eine Transparenzdebatte für die kommende Legislaturperiode.

Als Fazit kann festgehalten werden, dass Bürgerstiftungen eine Unterform von vielen Formen der gemeinnützigen Tätigkeit bilden. Eine euphorische Betrachtung in der derzeitigen öffentlichen Debatte läuft Gefahr, sie sowohl hinsichtlich ihrer Finanzkraft als auch ihrer Gestaltungsmacht zu überschätzen. Verpflichtende Transparenzrichtlinien müssen eingeführt werden, wie sie für andere gemeinnützigen Organisationen die Regel sind. Zugleich ist der Boom der Bürgerstiftungen positiv zu betrachten - als die Bereitschaft der Zivilgesellschaft, privates Geld für öffentliche und gemeinschaftlich definierte Belange zu mobilisieren, anstatt es privat zu konsumieren. Die Rechtsformen, in denen diese Haltung aktiv sein kann, sind weiterzuentwickeln im Sinn einer Stärkung einer eigenverantwortlich aktiven Gesellschaft.

Die angestoßene Debatte sollte in verschiedene Richtungen fortgeführt werden, darin waren sich Experten und Teilnehmer einig. Eine gründliche Debatte über das Verständnis von Gemeinwohl steht aus, die die Funktionszuweisungen an Staat, Wirtschaft und Zivilgesellschaft reflektiert. In diesem Zusammenhang wurde auch eine politische Debatte über die Möglichkeiten gesellschaftlicher Gestaltung gefordert. Gerade aus Sicht der Bündnisgrünen, die als Partei aus Bewegungen heraus entstanden sind, muss die Frage nach einer neuen Institutionen- und Engagementpolitik, nach Möglichkeiten gesellschaftlicher Teilhabe, Einmischung und Transparenz offensiver gestellt werden.

In Sachen Monetarisierung von Engagement und finanzpolitischer Abgrenzung unterschiedlicher gemeinnütziger Organisationsformen besteht unter den Teilnehmern weiterer Diskussionsbedarf. Mit Dr. Klein gesprochen: „Jede Debatte ist der Beginn einer Neuen.“