„Du kannst nicht jeden Kampf gewinnen“

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Vanessa Vu
David Earnshaw ist Lobbyist. In Brüssel, wo der selbsternannte Sozialist eine Lobby- und PR-Agentur leitet, mischt er in der großen Politik mit.

Einer der vermutlich größten Kapitalisten weltweit nennt sich selbst einen Sozialisten. David Earnshaw lehnt sich auf seinem hohen Ledersessel zurück, seine ergrauten Haare wirken ungeordnet, vermutlich fährt er des Öfteren mit den Händen durch. Auf seinem Gesicht ein fröhliches Grinsen, vor ihm ein altmodisches schwarzes Tastenhandy und eine Tasse Espresso. Er könnte Geschichtslehrer sein. Oder der nette Nachbar mit dem schönen Apfelbaum, der immer zum Witze machen aufgelegt ist.

Tatsächlich leitet der Engländer aber eine der weltweit größten und auch skandalträchtigsten Lobby- und PR-Agenturen: Burson-Marsteller. Es sind seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Brüssel, die Aktivitäten und das Image der ukrainischen Regierungspartei in ein besseres Licht rücken - trotz fragwürdiger Haftbedingungen für Julia Timoschenko. Es sind seine Leute, die im Februar vor zwei Jahren im Auftrag von Fraport AG, Lufthansa und Condor unter dem Motto „Ja zu FRA!“ Demonstrationen für den Frankfurter Flughafenausbau organisierten. Und es sind seine Kolleginnen und Kollegen, die sich im Auftrag der Bromindustrie gegen ein Verbot der giftigen und umweltschädlichen Substanz einsetzen. Mit solchen Aktionen geben Earnshaw und seine Agentur einem alten Protestmittel eine neue Form, eine, die als vermeintliche demokratische Meinungsäußerung daher kommt - und doch nur Lobbyarbeit ist.

David Earnshaws Tag beginnt morgens um halb acht, wenn er sein fünfjähriges Kind zur Bushaltestelle bringt. Dann geht er zu Fuß ins Büro am Square de Meeûs, das nur wenige hundert Meter vom Europaparlament entfernt liegt. Dies seien die einzigen Konstanten in seiner Arbeit als CEO, als Chief Executive Officer. Der Rest ist nie vorhersehbar, wie auch alles andere in der Politik. Als Lobbyist sieht er sich als politischer Akteur, mit Industrielobbying habe er selbst kaum zu tun. Es wird nicht das letzte Mal sein, dass er von sich spricht, als wäre er Berufspolitiker.

„Es ist nichts falsch an Lobbyarbeit“, sagt er. Ihn ärgern die Pauschalurteile, als Lobbyist das personifizierte Böse zu sein. Wenn er spricht, dann tut er das in einfachen, aber außergewöhnlich pointierten Sätzen. Er wechselt seine Sitzpositionen, unterstützt Gesagtes mit seinen Armen. Nie wirkt er steif oder als hätte er Standardphrasen wiedergegeben. Es ist schwer, ihn nicht zu mögen, ihm nicht zu glauben oder zu hinterfragen. Letztlich, sagt Earnshaw, macht er nur, was alle in Brüssel machen: Einfluss auf politische Entscheidungen nehmen. Das Unternehmen verfolge keine politischen Ziele. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter könnten selbst aussuchen, welche Aufträge sie annehmen. Manche wollten nicht für Israel arbeiten, andere brennen darauf. Manchen seien Tierversuche egal, anderen nicht. Der 54-Jährige betont immer wieder, wie wichtig ihm Meinungsvielfalt sei. Nur Nationalisten und Euroskeptiker, die möge er nicht.

Bevor Earnshaw zu Burson-Marsteller kam, einem über fünfzig Jahre alten Unternehmen, das inzwischen in über fünfzig Ländern der Welt aktiv ist, studierte er Politik, assistierte im EU Parlament und kandidierte dort 1989 erfolglos für die englische Labour Party. Auf der Homepage von Burson-Marsteller wird der Mann als „respected Brussels based government relations veteran“ beschrieben, locker übersetzt als in Brüssel respektiertes Lobbyisten-Urgestein. Seine Laufbahn führte ihn auch zu Oxfam, einer Hilfsorganisation, die sich weltweit gegen Hunger, Armut und soziale Ungerechtigkeit einsetzt. Earnshaws Leidenschaft galt in dieser Zeit dem Zugang zu medizinischer Versorgung in Entwicklungsländern. Er war ein lauter Kritiker der Pharmaindustrie und deren Patente. Heute gehören Firmen wie Bayer oder Pfizer zu Earnshaws größten Kunden. Sie allein bringen ihm einen Jahresumsatz von knapp einer Million Euro.

Wie kann das sein? Wie kann ein Mann, dem der Kampf gegen Hunger und die Ungerechtigkeiten dieser Welt am Herzen liegen, mit jenen Geschäfte machen, die den Hunger und die Ungerechtigkeiten dieser Welt fördern? Geld? Macht? Wertewandel?

Earnshaw weicht geschickt aus. Er sagt: „Meine Leute sind gute Menschen, sie wollen nicht ständig ihre Moral verteidigen.“ Und überhaupt, was sei schon Moral? Wir leben in einer kapitalistischen Welt, da müsse man pragmatisch sein: „Du kannst nicht jeden Kampf gewinnen“. Seinem Unternehmen geht es darum, zu beraten und Kompromisse zu finden. Das Problem liege in der ungleichen Macht- und Ressourcenverteilung. Die sei nun mal Fakt. Earshaw sieht sich und Lobbyarbeit als Teil dieses Systems, er sei ein wenig wie ein Strafverteidiger. Als dieser sagt er Sätze wie: „Ich gebe Leuten gerne Arbeit.“ Und: Nicht Burson-Marsteller betreibe Lobbyarbeit, sondern der Auftraggeber.

Wenn das soweit ist, muss alles transparent sein, sagt der Lobbyist. Von beiden Seiten aus. So ist Burson-Marsteller im Lobby Transparency Register eingetragen. „Doch es ist wichtig, dass auch Politiker ehrlich sind“, sagt er. Auch sie müssen ihre Entscheidungsprozesse offenlegen. Dazu gehört, dass sie sich keine privaten Vorteile verschaffen. Oder sich nicht im Geheimen in Unternehmen wie Burson-Marsteller engagieren. Entscheidend, sagt Earnshaw, sind die Spielregeln.

David Earnshaw leert seinen Espresso. Er muss zum nächsten Meeting. Er lächelt. Mag er seinen Job? „Ja“, sagt er. Er liebt Herausforderungen. Er löst gerne Probleme. Er arbeitet gern in Brüssel. Dort, wo er in der Politik mitmischen kann. Unter den ganz Großen. Mit den ganz Großen.