Gespräch mit Wangari Maathai

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„Ich sitze am Lenkrad und nicht mehr auf dem Beifahrersitz“

31. Juli 2008

Wangari Maathai über die Grünen in Kenia, Frauen in der Politik und eine neue Verfassung in ihrem Land.

Hannah Rüther / Simone Schmollack:
Was haben Sie zuerst gedacht, als Sie vom Petra-Kelly-Preis erfahren haben?

Ich war zugleich überrascht und berührt. Ich habe Petra Kelly leider nicht persönlich kennengelernt, obwohl ich seit vielen Jahrzehnten in der Ökologiebewegung arbeite. Ich weiß um die Verdienste von Frau Kelly und achte sehr, was sie erreicht hat. Daher ist es für mich eine große Ehre, diesen Preis zu bekommen.

Übt die grüne Bewegung Deutschlands einen Einfluss auf Kenia aus?

In Fragen grüner Politik gibt es zwischen beiden Ländern viele Parallelen. In Afrika sowohl in Europa geht es um den größtmöglichen Schutz der Umwelt, die Erhaltung der Wälder und des Bodens, eine saubere Luft. Für mich ist es immer eine Inspiration zu wissen, andere Länder befassen sich auch mit solchen Themen. Die Grünen in Deutschland waren für die grüne Partei in Kenia immer wie eine „große Schwester“. Sie haben uns ideell als auch finanziell unterstützt.

Kenias grüne Partei ist nicht sehr stark. Mit welchen Schwierigkeiten hat sie zu kämpfen?

Das Problem ist nicht die Partei selbst, sondern die kenianische Parteienlandschaft, die sich nicht wie in Europa an Themen und Grundsätzen orientiert, sondern an ethnischen Trennlinien. Das macht die Weiterentwicklung einer explizit grünen Partei schwierig. Sie ist eine von fünfzehn Parteien in unserem Land. Ihre Mitglieder haben nach ethnischen Gesichtspunkten entschieden einzutreten. So ist auch ihr Parteiführer ein „ethnischer leader“. Ich würde die Partei eher als eine Bewegung beschreiben und bezeichnen, die sich ständig verändert und wechselnde Mitglieder und Befürworter hat. Daher ist es in Kenia günstiger und erfolgreicher, eine breite grüne Bewegung zu stärken. Unter anderem, indem grüne Ideen so populär gemacht werden, dass sie alle Parteien aufgreifen. Wenn grüne Ideen eine breite Wirkung haben, wird sich auch das politische Denken im Land verändern.

Worin sehen Sie dabei Ihre Rolle?

Ich verstehe mich als Beraterin und Methodenvermittlerin. Mir geht es vor allem darum, Defizite zu benennen und sie öffentlich zu machen. Wenn es gelingt, auf die politische Elite Einfluss zu nehmen und sie zu überzeugen, dass Gleichheit, Transparenz, Demokratie, Umwelt- und politisches Verantwortungsbewusstsein Teil der Politik werden, ist schon viel erreicht. Grünes und bürgerschaftliches Denken muss Allgemeingut werden.

Ist es ein Konflikt, einst heftige Kritikerin der Regierungspolitik gewesen zu sein und jetzt selbst in der Regierung zu sitzen?

Überhaupt nicht, ich habe das erreicht, wofür ich gekämpft habe. Im Laufe der letzten Jahre ist die Regierung auch demokratischer geworden. Und ich bin froh, an diesem Prozess beteiligt gewesen zu sein. Ich habe jetzt eine weitaus bessere Position als in der Opposition: Ich sitze am Lenkrand und nicht mehr auf dem Beifahrersitz. Ich kann direkt Einfluss nehmen und immer sagen: Ihr habt dieses oder jenes zugesagt, nun müsst ihr auch dafür sorgen, dass ihr eure Versprechen in die Tat umsetzt.

Als Frau in Afrika in einer Regierungsposition zu sein, ist nach wie vor etwas Besonderes. Was raten sie Ihren Kolleginnen?

Ich habe alle meine Kampagnen nie mit der Absicht losgetreten, in einem Regierungssessel zu landen. Es ist einfach passiert. Weil die Menschen gemerkt haben, dass ich für sie spreche, dass ich in ihrem Sinne handle. Sie fühlten sich von mir vertreten. Und wenn man – egal ob als Frau oder als Mann – stark engagiert (und erfolgreich) ist, sollte man damit rechnen, auch in eine hohe Position gedrängt zu werden. Für Frauen ist es nach wie vor natürlich schwieriger als für Männer, weil sie noch immer an einem Akzeptanzproblem leiden. Aber ich habe einige Türen aufgestoßen und es möglich gemacht, dass Frauen gleiche Chancen haben wie Männer.
Was kann ich Frauen raten? Zu kämpfen und zu arbeiten sowie sich Unterstützung zu holen. Und: Es ist trotz allem etwas anderes, von außen Vorschläge zu machen oder direkt beteiligt zu sein und dafür Sorge zu tragen, dass Reformvorschläge und innovative Ideen umgesetzt werden.

Haben Sie politische Visionen?

Jede Menge, aber die wichtigste ist momentan die Gründung einer Vereinigung, die all jene Themen ins Parlament einbringen kann, für die wir seit Jahrzehnten kämpfen: insbesondere Umwelt-, Frauen- und Kinderrechte, ganz allgemein Menschenrechte. Wir arbeiten gerade an einer neuen Verfassung, die diese Themen festschreiben soll. Ganz neu ist die Idee, Tierrechte aufzugreifen und Kultur als Lebensgut zu schützen. Dies wurde während der Kolonialzeit zerstört, ist aber enorm wichtig. Die neue Verfassung soll eine Verfassung für eine neue Generation werden.

Was werden Sie mit dem Preisgeld tun?

Ich will eine Stiftung gründen. Frauen- Kinder- und Menschenrechte sowie die Kultur brauchen noch große Unterstützung. Für die Gründung werde ich die Erfahrungen der Heinrich-Böll-Stiftung benötigen. Ich habe noch nie eine Stiftung ins Leben gerufen, verspreche mir aber viel davon. Insofern bin ich äußerst dankbar für den Preis, für die finanzielle und ideelle Hilfe.

Das Interview führten Hannah Rüther und Simone Schmollack.