Hannah-Arendt-Preis 2008: Victor Zaslavsky

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Hannah-Arendt-Preis 2008

Victor Zaslavsky © Klaus Wagenbach Verlag, Berlin

Preisverleihung an Victor Zaslavsky

Der mit 7.500 Euro dotierte Hannah-Arendt-Preis, der von der Stadt Bremen und der Heinrich-Böll-Stiftung gestiftet worden ist, geht in diesem Jahr an den russischen Soziologen Victor Zaslavsky.

Victor Zaslavsky wird für sein Werk „Klassensäuberung – Das Massaker von Katyn“ ausgezeichnet, das 2007 in deutscher Erstausgabe erschien. Dieses hat die Jury überzeugt: Sie wählte den russischen Soziologen und Schriftsteller Victor Zaslavsky zum Hannah-Arendt-Preisträger für politisches Denken 2008.

„Zaslavskys schockierende Analyse des Massenmordes der sowjetischen Partei- und Staatsführung an tausenden polnischen Offizieren und Zivilisten im Jahre 1940 ist ein wichtiger Beitrag zum Verstehen der europäischen Geschichte. Zaslavsky richtet den Blick auf eines der größten Verbrechen gegen die Menschlichkeit während des Zweiten Weltkrieges und dessen jahrzehntelange Verschleierung durch die sowjetische Staatsführung. Die Jury würdigte insbesondere den Mut Zaslavskys, gegen das Schweigen anzugehen“, begründet Professorin Dr. Antonia Grunenberg, Vorstand des Hannah-Arendt-Preises für politisches Denken e.V., die Entscheidung der Jury.

Victor Zaslavsky wurde 1937 in Leningrad, dem heutigen St. Petersburg, geboren. Zehn Jahre arbeitete er als Ingenieur und lehrte anschließend Soziologie an der Universität Leningrad. Nachdem er 1975 emigrierte, lehrte er an der University of California, der Stanford University sowie an den Universitäten von Florenz, Venedig, Bergamo und Neapel. Zurzeit ist er Professor für Politische Soziologie an der Free International University for Social Sciences, Luis Guido Carli, in Rom.

Über das Buch

Beim Massaker im Wald bei Katyn (Russland) wurden 1940 mehr als 25.700 Polen, überwiegend Offiziere und Intellektuelle, vom sowjetischen Geheimdienst NKWD per Genickschuss ermordet. Der Klassenmord fand in der kurzen Zeit des Hitler-Stalin-Paktes statt: Nach der Entdeckung 1943 durch deutsche Einheiten wurde er von Hitlers Propaganda zunächst instrumentalisiert, während die sowjetische Führung unter Stalin das Verbrechen von sich wies und der deutschen Wehrmacht anlastete.

Der Exilrusse Victor Zaslavsky wertete neue Quellenfunde aus ehemals sowjetischen Archiven aus. In seinem Werk „Klassensäuberung – Das Massaker von Katyn“ zeigt er auf, wie die sowjetische Lüge vom Westen gedeckt wurde: Um die stalinistischen Morde der Wehrmacht in die Schuhe zu schieben, unternahm die stalinistische Propaganda ein gigantisches, in der Geschichte beispielloses Fälschungs- und Täuschungsmanöver. Die westlichen Alliierten hingegen wählten die diplomatische Taktik des Schweigens, was für Polen bis heute unverständlich geblieben ist.

„Bei den Morden von Katyn handelte es sich offensichtlich um eine Klassensäuberung, die auf die Vernichtung der polnischen Elite zielte“, so Prof. Antonia Grunenberg vom Vorstand des Hannah-Arendt-Preises für politisches Denken e.V. . Erst nach dem Ende des Kalten Krieges habe Moskau offiziell eingeräumt, dass die Morde von Katyn auf das Konto der Sowjets gegangen waren. Unter Putin herrschte allerdings erneut die Tendenz, vom offenen Umgang mit den historischen Fakten abzurücken und alles zu verschweigen, was einer neuerlichen Glorifizierung der sowjetischen Geschichte im Wege stehen könnte. „Noch Jahrzehnte nach den Massenmorden gibt es fast keine öffentliche Debatte über die Vorkommnisse im Zusammenhang mit dem Hitler-Stalin-Pakt. Das Verschweigen darum lastet bis heute auf dem Verhältnis der Polen zu Europa und den ohnehin schwierigen Beziehungen zu Russland“, sagt Grunenberg.

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