„Der Traum von Normalität“ - Zur Eröffnung der zweiten deutsch-israelischen Literaturtage

Archive

11. April 2008
„Der Traum von Normalität“
Zur Eröffnung der zweiten deutsch-israelischen Literaturtage
Ralf Fücks / Vorstand Heinrich-Böll-Stiftung 
Berlin, 11. April 2008

Ich begrüße Sie herzlich zur Eröffnung der deutsch-israelischen Literaturtage in Berlin. Bei der zweiten Auflage dieser Veranstaltungsreihe kann man noch nicht ernsthaft von einer Tradition sprechen, aber wir sind durchaus gewillt, daraus eine Tradition entstehen zu lassen.

Die Premiere fand im Jahr 2005 in Tel Aviv, Jerusalem und Berlin statt, schon damals in einer gelungenen Kooperation zwischen dem Goethe-Institut und der Heinrich-Böll-Stiftung, und wir sind sehr froh, dass wir diese Zusammenarbeit heuer fortsetzen konnten: Gerne auch beim nächsten Mal! Den Auftakt dieser Serie bildeten wieder Lesungen und Diskussionen mit israelischen und deutschen Autoren in Tel Aviv, an diesem Wochenende findet also quasi das Rückspiel in Berlin statt.

Tel Aviv - Berlin, das ist in den letzten Jahren eine hoch frequentierte Flugstrecke für junge Leute, Künstler und Intellektuelle geworden, und zwar durchaus keine Einbahnstraße, auch wenn die israelische Kolonie in Berlin noch größer ist als andersherum. Aber wer auch nur ein paar Tage in Tel Aviv verbracht hat, wird sich dem Magnetismus dieser Stadt nur schwerlich entziehen können, ihrer berstenden Lebenslust und Energie, die zwischen Trotz und Realitätsflucht schwankt. Leben und Schreiben in Tel Aviv und Berlin ist auch das Thema einer Lesung, die morgen Abend in der Volksbühne stattfinden wird.

Admiralspalast – Volksbühne – Hackesche Höfe: das sind drei Veranstaltungsorte für vier Lesungen und Diskussionen, zwei Filme und eine Party. Wir wollten damit die Literaturtage zu einem kulturellen und politischen Ereignis machen, das weit über unsere Institutionen hinaus ausstrahlt, und das bisherige Echo auf das Programm lässt uns hoffen, dass sich diese Erwartung erfüllen wird: alle Veranstaltungen sind komplett ausgebucht.

Wir nehmen das als Hinweis, dass auch 60 Jahre nach der Gründung des Staates Israel und gut 40 Jahre nach der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Bundesrepublik Deutschland das Interesse an Israel, seiner Literatur und Kultur, seiner Gegenwart und Zukunft ungebrochen ist – trotz alledem, trotz weit verbreiteter Kritik an der Besatzungspolitik, den Siedlungen, den Schikanen und Demütigungen gegenüber der palästinensischen Bevölkerung, trotz der radikalen religiösen Kräfte auch auf der israelischen Seite, die sich unter Berufung auf das gelobte Land gegen einen territorialen Kompromiss mit den Palästinensern sperren.

Ich hoffe jedenfalls, dass dem so ist, dass wir über der Kritik an Menschenrechts-Verletzungen nicht die Empathie für Israel verlieren, das Bewusstsein von den Bedrohungen, denen der jüdische Staat immer wieder ausgesetzt ist und das Empfinden für die Errungenschaft, die dieser Staat 60 Jahre nach seiner Gründung darstellt. Es grenzt an ein Wunder, dass Israel die Kriege überlebt hat, die seit dem Tag seiner Ausrufung von den arabischen Nachbarn angezettelt wurden; und es ist eine fast unwahrscheinliche Leistung, dass dieser winzige Staat, der von traumatisierten Flüchtlingen aufgebaut wurde, bis heute die einzige Demokratie im Nahen Osten darstellt – und zwar eine ausgesprochen lebendige Demokratie, mit unabhängiger Justiz, kritischen Medien, zivilem Ungehorsam und harten politischen Kontroversen.

Trotz der heutigen militärischen Abschreckungsmacht Israels ist es keineswegs selbstverständlich, dass Israel als demokratischer und jüdischer Staat auch die nächsten 60 Jahre überleben wird – wer mit israelischen Intellektuellen spricht, wird immer wieder diesem Zweifel begegnen. Dabei spielt vieles zusammen: die zunehmenden kulturellen und politischen Konflikte innerhalb Israels selbst; die wachsenden Spannungen mit der arabischen Minderheit im Land; der wechselseitige Verlust von Vertrauen in die Friedensfähigkeit der anderen Seite; die Ausbreitung radikal-islamischer Bewegungen vom Iran bis zum Gaza-Streifen, die sich die Vernichtung Israels zum Ziel gesetzt haben. Das ist angesichts des iranischen Atomprogramms und der Raketen in der Hand von Hisbollah und Hamas keine abstrakte Drohung.

Umso wichtiger scheint es uns, jede Chance zu nutzen, doch noch einen historischen Kompromiss zwischen Israel und den Palästinensern zu erreichen. Denn solange den Palästinensern die Staatlichkeit verwehrt bleibt, bleibt auch die Staatlichkeit Israels gefährdet. Es ist gut, wenn die Bundeskanzlerin an die bleibende Verpflichtung Deutschlands für die Sicherheit Israels erinnert. Daraus folgt aber auch die Verpflichtung zu einer nachhaltigen diplomatischen Initiative, um einen Verhandlungsfrieden zu befördern – bis hin zur Stationierung von Friedenstruppen und belastbaren Sicherheitsgarantien für Israel nach einem Rückzug aus der Westbank.

Wir sind uns sicher, dass diese Themen in den Veranstaltungen der nächsten Tage präsent sein werden, weil sie Existenzfragen Israels sind. Dennoch wehren wir uns dagegen, die deutsch-israelischen Beziehungen darauf zu reduzieren. Es gibt eine besondere Verbindung zwischen unseren beiden Völkern, die mit der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch den Nationalsozialismus begründet wurde. „Der Traum von Normalität”, das Oberthema dieser Literaturtage, wird für das deutsch-jüdisch-israelische Verhältnis noch lange eine Illusion bleiben, auch wenn sich die politischen, wirtschaftlichen, kulturellen Beziehungen an der Oberfläche weitgehend normalisiert haben. Darunter liegt eine Vergangenheit, die nicht vergeht, auch wenn die Shoah mit dem Tod der letzten Überlebenden und der letzten Täter zu einer historischen Begebenheit wird, die sich in Gedenkstätten, Museen, Büchern und Filmen manifestiert. Wenn wir israelischen Schriftstellern begegnen, begegnen wir dabei auch einer intellektuellen und künstlerischen Tradition, die aus Deutschland vertrieben und verbrannt wurde. Wir sind dankbar für diese Gelegenheit, auch wenn inzwischen jüdisches Leben und Kultur auch in der Bundesrepublik selbst wieder Fuß gefasst haben.

Selbstverständlich haben wir uns auch darum bemüht,  israelisch-arabische Schriftsteller nach Berlin einzuladen –  leider haben Terminschwierigkeiten und andere Widrigkeiten schon sicher geglaubte Zusagen verhindert.

Danksagungen gehören zu den festen Gepflogenheiten von Eröffnungsreden. In diesem Fall zumindest kommen sie von Herzen. Ich bedanke mich insbesondere

  • bei den Autorinnen und Autoren aus Israel und der Bundesrepublik für ihre Mitwirkung
  • bei dem Organisationsteam dieser Reihe – Frank Domhan und Tina Balla auf Seiten des Goethe-Instituts, Michaela Birk als freie Mitarbeiterin der Heinrich-Böll-Stiftung
  • bei Vera Lorenz und Denhart von Harling für die Pressearbeit
  • bei Jan Engelmann, Kulturreferent der Stiftung, Sabine Erlenwein (Goethe Institut München) sowie Georg Blochmann (GI Tel Aviv) für Konzeption und Projektleitung.

Zu Dank verpflichtet sind wir dem Auswärtigen Amt und dem Bundeskulturministerium für ihre Unterstützung.

Ich freue mich auf heute Abend und die kommenden Tage und schließe mit einem Satz, der uns bei diesem Projekt geleitet hat: Um die deutsch-israelischen Beziehungen zukunftsfest zu machen, reicht der Bezug auf die Geschichte nicht aus – dafür müssen wir verstärkt das Gegenwärtige in den Blick nehmen.

Ralf Fücks ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Er publiziert in großen deutschen Tages- und Wochenzeitungen, in internationalen politischen Zeitschriften sowie im Internet zum Themenkreis Ökologie-Ökonomie, Politische Strategie, Europa und Internationale Politik.

Dieser Text steht unter einer Creative Commons-Lizenz.