Effiziente Familienpolitik statt Förderung mit der Gießkanne

Mit der Gesamtevaluation ehe- und familienbezogener Leistungen und Maßnahmen in Deutschland in den Jahren 2009 bis 2014 wurde deutlich, dass eine Vielzahl der ehe- und familienpolitischen Maßnahmen nicht die erwünschten Effekte zeigt.

Familienpolitik

Mit der Gesamtevaluation ehe- und familienbezogener Leistungen und Maßnahmen in Deutschland in den Jahren 2009 bis 2014 wurde deutlich, dass eine Vielzahl der ehe- und familienpolitischen Maßnahmen nicht die erwünschten Effekte zeigt.

In der von der Bundesregierung beauftragten Evaluation standen die Verteilungswirkungen der Familienpolitik nicht im Vordergrund. Zwar wurde gezeigt, wie sich die durchschnittliche Höhe der Leistungen zwischen den Haushaltstypen und in der Einkommensverteilung unterscheidet, es wurde allerdings nicht thematisiert, wie sich die Summe der Leistungen auf die Haushaltstypen (Haushalte mit einem Erwachsenen vs. Paarhaushalte, Haushalte mit oder ohne Kinder, Dezile der Einkommensverteilung) verteilt, welche Einkommensregionen und Haushaltstypen also insgesamt am stärksten von den Leistungen profitieren. Auch die Kinderarmut sowie klassische Verteilungsmaße wie der Gini-Koeffizient wurden nur am Rande bzw. gar nicht untersucht.

Die vorliegende Expertise nimmt nun erstmals explizit die  zentrale Frage in den Blick, welche Einkommensregionen am stärksten von den Leistungen profitieren und ermöglicht damit eine fundierte Antwort auf die Frage, warum trotz eines Finanzvolumens von rd. 200 Mrd. Euro – von dem die ehebezogenen, kinderunabhängigen Leistungen, etwas mehr als ein Drittel umfassen –die Lage von einkommensschwachen Familien und Alleinerziehenden in Deutschland nach wie vor prekär ist.

Auch wenn die hier untersuchten familienpolitischen Leistungen und Maßnahmen einen Beitrag zur Verminderung von Einkommensungleichheit und Armutsrisiken leisten (ohne den Beitrag der Leistungen läge das allgemeine Armutsrisiko bei 18,3 Prozent statt bei 15,2 Prozent; bei der Kinderarmut ergäbe sich sogar ein Wert von 33,8 Prozent (statt 18,3 Prozent)), zeigt die Studie, dass das System an Familienleistungen in Deutschland nicht konsequent auf die Vermeidung von Armut ausgerichtet ist. So geht ein größerer Teil der Gesamtausgaben für die hier untersuchten ehe- und familienbezogenen Leistungen an die reichsten 10 Prozent der Haushalte als an die ärmsten 10 Prozent. Dafür sind insbesondere die steuerlichen Leistungen (Ehegattensplitting, Kinderfreibeträge) verantwortlich, deren Wert mit dem zu versteuernden Einkommen wächst. Auch die Ausgaben für das als Entgeltersatzleistung ausgestaltete Elterngeld konzentrieren sich eher in den mittleren und höheren Einkommensbereichen.

Trotz der Umverteilung existieren deutliche Unterschiede in der materiellen Lebenssituation. So lag das bedarfsgewichtete verfügbare Einkommen in Haushalten von nicht erwerbstätigen Alleinerziehenden pro Kopf bei gerade einmal 45 Prozent des Einkommens von Paaren ohne Kinder. Auch das Armutsrisiko unterscheidet sich massiv zwischen den Haushaltstypen. Haushalte mit Kindern haben ein höheres Armutsrisiko. Dies gilt selbst dann, wenn man nur Paare oder nur Haushalte mit einem Erwachsenen miteinander vergleicht und wenn man die Zahl der erwerbstätigen Personen konstant hält. Allerdings ist nicht die gesamte Differenz in den Einkommen und Armutsrisiken dem Vorhandensein von Kindern zuzuschreiben: Die Haushaltstypen unterscheiden sich auch in anderen Merkmalen (z.B. Alter, Berufserfahrung, Bildungsabschluss, Migrationshintergrund), auf die hier nicht kontrolliert wurde.

Ein Blick auf die einzelnen Familienleistungen dokumentiert, dass sie Armut zwar reduzieren, insgesamt aber breit streuen. Es entfällt sogar ein leicht überproportionaler Anteil der Ausgaben bzw. Mindereinnahmen auf die oberen Einkommensbereiche. Während 13 Prozent der Ausgaben an die reichsten 10 Prozent der Haushalte gehen, erhalten die ärmsten 10 Prozent lediglich 7 Prozent der Ausgaben. Allerdings tragen die oberen Dezile über die Einkommensteuer auch überproportional zur Finanzierung des Staatshaushalts bei. Verantwortlich für die stärkere Förderung reicher Familien sind in erster Linie die steuerlichen Leistungen (Ehegattensplitting, Kinderfreibeträge), deren Wert mit dem zu versteuernden Einkommen wächst. Durch die Umgestaltung dieser Leistungen zugunsten einer stärkeren Hilfe für bedürftige Haushalte könnte die Familienpolitik also selbst bei konstanten Gesamtausgaben einen noch stärkeren Beitrag zur Armutsvermeidung leisten.

Die hier betrachteten ehe- und familienbezogenen Leistungen sind nicht neutral hinsichtlich der Arbeitsteilung im Haushalt. Paare mit nur einer erwerbstätigen Person werden stärker gefördert als Paare von Erwerbslosen oder Paaren, bei denen beide verdienen. Der Wert der Familienleistungen beträgt für Einverdienerpaare im Schnitt 100 Euro (Paare ohne Kinder) bzw. 608 Euro pro Monat (Paare mit Kindern). Arbeiten beide Partner, dann sinkt der durchschnittliche Betrag auf 70 bzw. 508 Euro. Verantwortlich hierfür sind der Transferentzug durch das höhere Einkommen und der Splittingvorteil, der umso größer ausfällt, je stärker sich die beiden Partner in ihren zu versteuernden Einkünften unterscheiden. Die Förderung der Einverdienerehe wird sogar noch unterzeichnet, da der implizite Vorteil aus der beitragsfreien Mitversicherung hier nicht berücksichtigt wird.

Kinder von Alleinerziehenden sind in einem hohen Maße von Armut bedroht. Die Abschaffung des Entlastungsbetrags für Alleinerziehende durch einen großzügigen Steuerabzugsbetrag wirkt kaum auf das Armutsrisiko, da nur die Alleinerziehenden von der Reform betroffen sind, die überhaupt zu versteuerndes Einkommen in nennenswerter Höhe erzielen. Unmittelbar wirksamer ist ein Kindergeldzuschlag für Alleinerziehende in Höhe von monatlich 100 Euro; dadurch könnte das hohe Armutsrisiko von fast 41 Prozent bei den Kindern von Alleinerziehenden um 4 Prozentpunkte sinken. Eine familientypenübergreifende Verminderung des Armutsrisikos ausschließlich über monetäre Transfers ist allerdings nicht zu empfehlen - Leistungserhöhungen werden verglichen mit dem Zielerreichungsgrad schnell teuer, da sie breit streuen.

Diejenigen Leistungen, die nur Haushalten mit geringem Einkommen zugutekommen, reduzieren das Armutsrisiko am effizientesten, schwächen aber die Anreize zur Erwerbstätigkeit. Umgekehrt erreichen Leistungen zur Förderung der Erwerbstätigkeit nicht die am stärksten Bedürftigen. Dieser Zielkonflikt ist besonders mit Blick auf die Erwerbsbeteiligung von Frauen relevant und macht deutlich, dass Maßnahmen zur Förderung der Erwerbsarbeitsquote von Frauen stets auch auf ihre Verteilungswirkungen zu prüfen sind, und umgekehrt Transfers, die sich an der Bedürftigkeit orientieren, auf ihre Anreizwirkungen für die eigenständige Existenzsicherung von Frauen zu prüfen sind.

Die Studie w

urde beauftragt von der Familienpolitischen Kommission der Heinrich-Böll-Stiftung.

Kurzexpertise: Verteilungswirkungen ehe- und familienbezogener Leistungen und Maßnahmen

 

 

 

 

Die Kommission arbeitet zu den Themen:

  • Vielfalt der Sorge- und Solidarbeziehungen anerkennen und absichern
  • Alleinerziehende besser absichern
  • Echte Teilhabe von Kindern gewährleisten
  • Förderung von Geschlechtergerechtigkeit in der Sorge- und Erwerbsarbeit
  • Zeitsouveränität ermöglichen