Mut - mit dem Leben bezahlt

Kommentar

Sie setzen sich ein für den Schutz der Natur, der Biodiversität, des Klimas und für eine nachhaltige Entwicklung. Sie schützen Land und Ressourcen vor Ausbeutung und Zerstörung, decken Korruption und Machtmissbrauch auf. Genau das macht die Arbeit der Umwelt- und Menschenrechtsaktivist/innen so gefährlich.

Hände mit Aufschrift: Our lives in your hands

Biologische Vielfalt, eine intakte Natur und Menschenrechte sind eng miteinander verknüpft. Die Umwelt, die uns umgibt, und die biologische Vielfalt, die sie bereithält, bilden die Grundlagen für die menschliche Existenz und ihr Wohlergehen.

Zwischen 2030 und 2050 könnten laut der Vereinten ­Nationen jedes Jahr 250.000 Menschen an den Folgen des Klimawandels sterben: durch Malaria, Mangelernährung, Durchfall und Hitzestress. Die Folgen des Klimawandels und die Zerstörung der Umwelt werden Armut, Hunger und Ungleichheit weiter verstärken. Auch die Ausbeutung der Natur verletzt Menschenrechte – wenn zum Beispiel für den Bergbau Gemeinden vertrieben werden oder das Grundwasser durch die Förderung verunreinigt wird. Aktivist/innen, die sich für den Schutz der Umwelt und die Biodiversität einsetzen, verteidigen also oft unmittelbar Menschenrechte.

Menschenrechte und Umwelt-, Klima- und Biodiversitätsschutz zusammenzudenken, ist unerlässlich. Erst im August 2019 trafen das UN-Umweltprogramm (UNEP) und der Hohe Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte (OHCHR) die Vereinbarung, in den Arbeitsbereichen Umwelt und Menschenrechte künftig stärker zusammenzuarbeiten.

Aktivist/innen geraten immer stärker unter Druck

In der Vereinbarung halten UNEP und OHCHR auch fest, dass die Arbeit von Menschenrechtsverteidiger/innen im Umweltbereich zu stärken und zu schützen ist. Vielerorts werden sie, im Englischen als environmental human rights defenders bezeichnet, bedroht und unter Druck gesetzt. Sie engagieren sich für den Schutz der Natur, der Biodiversität, des Klimas und für nachhaltige Entwicklung. Sie schützen Land und Ressourcen vor Ausbeutung und Zerstörung und decken Korruption und Machtmissbrauch auf. Sie setzen sich ein für Investitionen, die tatsächlich die Armen und Benachteiligten erreichen, sie streiten für Beteiligung an Infrastrukturmaßnahmen, mittels derer ­Wasser, Land und Rohstoffe ausgebeutet werden, sie stellen sich gegen die Profitgier von Unternehmen, die Umweltzerstörung billigend in Kauf nehmen und Menschenrechte missachten. Und genau das macht ihre Arbeit so gefährlich.
Die Organisation Front Line Defenders hält in ihrer globalen Analyse für das Jahr 2019 fest, dass 304 Menschenrechtsverteidiger/innen ihr Leben verloren. Die Dunkelziffer liegt vermutlich deutlich höher. Dabei sind vor allem Land- und Umweltaktivist/innen gefährdet; 40 Prozent der Getöteten waren in diesem Bereich engagiert. Im Jahr 2018 ließen gar 321 Menschenrechtsverteidiger/innen ihr Leben, 77 Prozent davon setzten sich für Umwelt- und Landrechte ein.

Eine detaillierte Analyse, die sich ausschließlich der Situation von Umwelt- und Landrechtaktivist/innen widmet, hat die Organisation Global Witness für das Jahr 2019 vorgelegt: Sie dokumentiert für diesen Zeitraum 212 Tötungen – ein erneuter Anstieg gegenüber dem Vorjahr, in dem 164 Fälle dokumentiert wurden. Darüber ­hinaus wurden viele Aktivist/innen bedroht, drangsaliert, kriminalisiert und inhaftiert. In Kolumbien, auf den Philippinen, in ­Brasilien und Mexiko sind sie besonders gefährdet. Im Jahr 2019 wurden in Kolumbien 64 Umweltaktivist/innen getötet, auf den Philippinen 43, in Brasilien 24 und in Mexiko 18. Dabei sticht vor allem der Bergbau-Sektor, der Bereich der extraktiven Industrien, heraus: 50 Umweltverteidiger/innen fanden den Tod, nachdem sie sich gegen die Zerstörung der Natur durch den Ressourcenabbau eingesetzt hatten. Gefährlich ist es auch im Agrobusiness und im Kampf gegen Abholzung: 2019 wurden weltweit 34 bzw. 24 Umweltverteidiger/innen getötet, die sich in diesen Bereichen engagiert hatten.

Sie kämpfen gegen illegale Abholzung, giftige Chemikalien, für das Recht auf Wasser

Zu den Getöteten zählen nun auch Raúl Hernández Romero und Homero­ Gómez González. Anfang 2020 sind diese beiden als Schmetterlings-­Schützer bekannten Umweltaktivisten in Mexiko kurz nacheinander ermordet worden. Sie forderten ein Ende der ­illegalen Abholzung der Wälder in Michoacán, Mexiko, in denen die Monarchfalter häufig Schutz vor Kälte suchen. Dieses Engagement wurde ihnen offenbar zum Verhängnis.

Ermordungen, aber auch Angriffe, Bedrohungen, Verleumdungskampagnen und Kriminalisierungen sind Mittel, um Kritiker/innen einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. ­Eines der vielen Beispiele ist das Prey Lang Community Network (PLCN), eine Graswurzelbewegung kambodschanischer Umweltverteidiger/innen. Seit 2001 setzt sich das Netzwerk für den Schutz des ­Waldes und gegen den Raubbau und Holzeinschlag im Prey Lang-Regenwald in Kambodscha ein. Er ist der größte zusammenhängende immer­grüne Tieflandwald auf dem südostasiatischen Festland, die Heimat der Kuy-Ureinwohner und ein wahrer Hotspot für Artenvielfalt. Obwohl weite Teile seit 2016 als Naturschutzgebiet ausgewiesen sind, wird der Wald nicht vor illegalem Holzeinschlag und Waldrodung geschützt.

Seit Februar 2020 wird PLCN der Zutritt zum Wald verweigert, während illegale Holzfäller Zutritt erhalten und Lastwagen voller Holz abtransportieren. Im weiteren Verlauf des Jahres wurden zwei Mitglieder des Netzwerkes, Khem Soky and Srey Thei, sowie die Aktivisten Ouch Leng und Men Mat vorübergehend festgenommen. Und das kambodschanische Umweltministerium wies warnend ­darauf hin, dass nicht registrierten Organisationen wie dem PLCN-Netzwerk jegliche Aktivität in den Schutzgebieten verboten sei.

Ein weiteres Beispiel ist der Fall von Alena Masliukova aus Belarus, einer Verteidigerin für Umweltrechte und Mitglied des Menschenrechtszentrums Viasna (HRC Viasna). Sie hat sich insbesondere gegen den Bau einer Zellstoffbleichfabrik in Svetlogorsk engagiert, einer Fabrik, die die Umwelt schwer belastet. Im April durchsuchten Polizisten in Zivil ihre Privat­wohnung, konfiszierten ihr Smartphone und ihren Laptop. Menschenrechtsorganisationen vermuten einen Zusammenhang mit ­ihrem umweltpolitischen Engagement und werten dies als judicial harassment, als rechtliche Schikanen.

Auch Camila Bustamante Álvarez, eine Menschenrechts- und Umweltverteidigerin aus Chile, kämpft für die Förderung und den Schutz der Umweltrechte und streitet für das Recht auf Wasser, insbesondere für marginalisierte Gemeinschaften. Im März 2020 erhielt sie online eine Reihe von Bedrohungen und sah sich frauenfeindlichen Angriffen ausgesetzt, die eine Gruppe nicht identifizierter Männer koordiniert hatte. Die Bedrohungsbilder zeigten männliche Genitalien und Schusswaffen. Als sie eine formelle Beschwerde wegen Belästigung ankündigte, erhielt sie Morddroh­ungen. In Chile wurde die Wasserversorgung 1981 privatisiert.

Sie brauchen internationalen Schutz, um Menschenrechte verteidigen zu können

Es sind keine Einzelschicksale, dahinter verbergen sich Muster. Während die rücksichtslose Ausbeutung von Wasser, Land und Rohstoffen weltweit zunimmt, wird der Handlungsspielraum für Aktivist/innen und zivilgesellschaftliche Gruppen immer kleiner. Selbst wenn die Zivilgesellschaft bei Projekten, die die Umwelt, das Land und die Ressourcen einer Region betreffen, einbezogen wird, insbesondere die betroffenen Gemeinden oder Gemeinschaften, sind die Mitsprachemöglichkeiten gering. Immer häufiger werden solche Konsultationen zu einer Leerformel, mit der entsprechende Projekte zwar legitimiert werden, den lokalen Bedürfnissen und Sorgen jedoch keinerlei Rechnung getragen wird. Richtig gefährlich wird es oft, wenn Kritik an Vorhaben geübt wird: Das Mittel der Wahl, um Kritiker/innen mundtot zu machen, reicht von Gewalt über Bedrohungen, sexuelle Belästigungen, Verleumdungskampagnen und Kriminalisierungen. Verübte Taten bleiben oft ungeahndet und Umweltverteidiger/innen werden nicht angemessen geschützt. Viel zu oft verschleppen Regierungen die Aufklärung solcher Straftaten.Auch Unternehmen und Investoren setzen sich noch viel zu selten für den Schutz von bedrohten Aktivist/innen ein.

Dringend notwendig sind internationale Initiativen, die die ­Arbeit von Umweltverteidiger/innen wertschätzen und schützen. Die eingangs erwähnte Vereinbarung zwischen UNEP und OHCHR ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Sie greift eine Resolution des UN-Menschenrechtsrates vom März 2019 auf, mit der der Beitrag von Umweltaktivist/innen für den Schutz der Natur, die Achtung der Menschenrechte und für nachhaltige Entwicklung hervorgehoben und anerkannt wird.

Die Resolution baut auf die 1998 verabschiedete UN-Deklaration zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger/innen auf, ein Meilenstein des Menschenrechtsschutzes. Sie verknüpft die Arbeit der Menschenrechtsverteidiger/innen explizit mit der UN-Klimarahmenkonvention und der UN-Biodiversitätskonvention. Damit sind wichtige Referenzen zum Schutz von Umwelt- und Menschenrechtsverteidiger/innen geschaffen. Diese mit Leben zu füllen, liegt in der Verantwortung der Staaten, aber auch Unternehmen sollten sich dieser Verantwortung endlich stellen.