5 Jahre nach Paris: Billionenschwere Corona-Hilfs- und Konjunkturpakete sind nicht auf Klimakurs

Analyse

Regierungen verfehlen ihren Auftrag: 5 Jahre nach Paris sind die Klimaziele immer noch keine Richtschnur für öffentliche Ausgaben. Die milliardenschweren Konjunkturprogramme als Antwort auf die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie stehen nicht im Einklang mit den Erkenntnissen der Klimawissenschaft und den politischen Verabredungen des Pariser- und anderer Umweltabkommen. Die Weichen für eine sozial inklusive und CO2-freie Wirtschaft müssen aber jetzt gestellt werden.

Cimate Justice - Klimaneutral 2030

Das Corona-Virus ist da und wird die Welt vermutlich noch viele Monate in Atem halten. Abermillionen von Menschen stürzt es in Existenznot und Armut. Gleichzeitig sind die Umwelt- und Klimakrisen nie verschwunden. Die Wirbelstürme in Mittelamerika oder auf den Philippinen, die Waldbrände und Dürren überall auf der Welt - sie entziehen ebenfalls Abermillionen die (natürlichen) Lebensgrundlagen. Eine rasche Lösung, wie es sie für die Pandemie in Form einer Impfung geben kann, ist allerdings im Falle der Klimakrise nicht in Sicht. Dazu müssten die Regierungen endlich das Anheizen des Planeten stoppen – und die Trendumkehr entschlossen einleiten.

Auch die oberste UN-Wetterbehörde WMO stellt fest: „Der Klimawandel hat wegen COVID19 nicht aufgehört“ – so der neueste Bericht der WMO zu den aktuellen Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre. Sie sind auf Rekordniveau und steigen weiter an. Wir sind nicht auf dem Pfad, deutlich unter 2° C oder um 1,5° C über dem vorindustriellen Wert zu bleiben. Auch der soeben erschienene Production Gap Report zeigt auf, dass Regierungen die weltweite Produktion von Kohle, Öl und Gas zwischen 2020 und 2030 um zwei Prozent jährlich steigern wollen. Und das, obwohl der Verbrauch in den nächsten zehn Jahren um etwa 6 Prozent jährlich sinken müsste, wenn wir das 1,5 Grad-Ziel erreichen wollen. 

Wer könnte da dem Economist nicht aus vollem Herzen zustimmen, wenn er am 3. Dezember titelt „Killing Coal – time to make coal history“ und dafür plädiert, den Bau neuer Kohlekraftwerke zu stoppen und bestehende Kraftwerke stillzulegen. Der Beitrag verweist zudem auf den Trend, dass in den USA und Europa der Kohleverbrauch um 34 Prozent seit 2009 gefallen sei. So gut wie alle Prognosen und Berechnungen besagen: Der Höhepunkt der Kohleproduktion ist global längst überschritten. Und in der Tat: Überall gibt es eindeutige Absatzbewegungen (weg von der Kohle) und zahlreiche Anzeichen, dass CO2-intensive Projekte und Firmen allmählich Schwierigkeiten bekommen, sich an den Kapitalmärkten Geld zu beschaffen. Das Risiko für Finanzinvestoren und Finanzmärkte, durch Klimawandel und Klimaschutz Kapital im fossilen Sektor zu verlieren  (stranded assets), wächst stetig.

Diese positiven Trends sind allerdings zu langsam und zu partiell, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Die Weltwirtschaft war auch vor der Pandemie nicht auf Pariser Klimakurs, nicht auf einem nachhaltigen, grünen und sozial inklusiven Pfad. So groß der Wunsch nach „Normalität“ ist, eine Rückkehr zum Status ante Pandemie wäre ökologisch wie sozial verheerend. Das Klima, die Biodiversität, das Wasser, die Meere die Wälder, die Böden, die uns tragenden Lebenssysteme: Sie alle sind schwer geschädigt. Die Welt steht am Abgrund.

Klima- und Biodiversitätsschutz als Richtschnur? 

In Folge der COVID-19-Pandemie und der Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung ist eine Weltwirtschaftskrise ohne Vorbild ausgebrochen. Zeitweise brach das weltweite Bruttoinlandsprodukt um ein Viertel ein. Von der Krise ist die fossile Wirtschaft – insbesondere die Ölindustrie – besonders betroffen. Durch die Restriktionen wurde u.a. der Flugverkehr massiv eingeschränkt, die Ölnachfrage brach dauerhaft ein, der Ölpreis ging in den Keller. 

Als Antwort auf soziale und wirtschaftliche Folgen legten Regierungen und Zentralbanken billionenschwere Rettungs- und Konjunkturprogramme auf, und weitere werden sicher folgen. 

Die OECD – der Zusammenschluss der größten Industrieländer und einiger Emerging Economies wie Südkorea oder Mexiko - preist eine „Green and inclusive Recovery“ als eine win-win  oder „once in a life-time opportunity to ensure sustainable Recovery“ an. Ergreifen die wichtigsten Volkswirtschaften der Welt dieses Fenster der Gelegenheit und richten ihre Antworten auf die Pandemie samt der größten Weltwirtschaftskrise zugleich auch auf die größten ökologischen Herausforderungen der Menschheitsgeschichte aus? Nutzen sie die Krise als Chance zum Beispiel für einen Umbau der fossilen Energiewirtschaft oder für den Biodiversitätsschutz? 

Eine erste Bilanz ist ernüchternd. Der Blick auf die ersten Überprüfungen, wohin das Geld fließt, zeigt: In den Konjunktur-, Hilfs- und Schuldenpakten finden die Erkenntnisse der Klimawissenschaft, die politischen Verabredungen in Pariser- und anderen Umweltabkommen keinen oder zu wenig Niederschlag. Das 1,5 Grad-Ziel ist so gut wie gar nicht die Leitidee und Richtschnur für ökonomische Entscheidungen von Regierungen in aller Welt. Weder die Pariser Klimaziele noch die UN-Nachhaltigkeitsziele (SDG) von 2015 noch der Abbau sozialer Ungleichheit und Geschlechterungerechtigkeit finden ihren Niederschlag in den großen Stabilisierungs- und Konjunkturpaketen der Welt. 

Konfrontiert mit einer rasch eskalierenden Krise, folgen die Regierungen offensichtlich dem Impuls zu stabilisieren, was zu stabilisieren geht. Das zementiert den Status Quo, adressiert aber nicht die grassierende Ungleichheit und die Zukunft des Planeten. Wie sehr die Pandemie vulnerable Bevölkerungsgruppen getroffen und die Geschlechterungleichheit vergrößert hat, wird u.a. hier vertieft. Die Konjunkturpakete tragen nicht zur Überwindung der sozialen Kluft, der strukturellen Ursachen von Armut und des Gender Gaps bei - so die ersten Analysen

Gigantische Summen – aber nicht auf Klimakurs

Genaue Zahlen zu den Anreizen von Regierungen und Zentralbanken zu bekommen, ist kein einfaches Unterfangen. Die Angaben schwanken zwischen 12 und 15 Billionen Dollar je nach Quelle.

Vivid Economics hat die ökonomischen Stimuluspakete der wichtigsten Volkswirtschaften  (alle G20 Länder, plus Singapur, Südkorea und die Philippinen) im Hinblick auf die Umweltwirkungen untersucht. Ungefähr 3,7 Billionen der ökonomischen Stimuluspakete gingen direkt in die Stabilisierung von Sektoren wie den Energie-, Transport- oder Agrarsektor, die heute große Anteile an CO2 Emissionen repräsentieren. Laut Vivid Economics haben in 16 der G20 Länder die Hilfs- und Konjunkturpakete einen negativen Effekt auf die Umwelt. So würden neue fossile Infrastrukturen geschaffen oder Öl- oder Fluggesellschaften „gerettet“. 

Die größeren Ausnahmen bilden Frankreich, Spanien oder Deutschland und Kanada sowie der Green Deal der Europäischen Union. Deren Next Generation Recovery Fund widmet – so der Guardian und Vivid Economics – von den 750 Milliarden im Paket circa 37% der Mittel  grünorientierten Zielen. darunter für die Förderung der Energieeffizienz, der Wasserstoff- und Kreislaufwirtschaft, für Naturschutz oder der E-Mobilität und für grüne Jobs. Der Exekutivdirektor von Vivid Economics fasst die Ergebnisse der Recherchen zu den Konjunkturpakten so zusammen:

Die natürliche Umwelt und der Klimawandel waren kein Kernstück der Ausrichtung der Mehrheit der Wiederaufbaupläne.

Auch Energy Policy Tracker bestätigt diesen Trend. Er veröffentlicht wöchentlich Daten zu den Antworten der G20 Regierungen auf die Covid 19 Krise mit speziellem Blick auf den Energie- und Klimabereich. 251 Milliarden US-Dollar wurden für fossile Brennstoffe zugesagt. Das entspricht 53 Prozent aller öffentlicher Gelder für den Energiesektor. Nur 35 Prozent gehen in „saubere“ Energien (Stand: 25. November 2020). Und der bereits erwähnte Production Gap Report konstatiert, dass Regierungen mehrheitlich ihre Finanzmittel in den fossilen und nicht in den erneuerbaren Energiesektor stecken.

Auch wenn einzelne Projekte oder Sektoren „ergrünen“ sollen: es reicht hinten und vorne nicht, um die Klimaziele von Paris zu erreichen und das, obwohl Milliardenbeträge eingesetzt werden. Die Balance zwischen klimakompatibler, grüner und sozialer Orientierung stimmt leider noch nicht. Länderanalysen – so die OECD – zeigen zudem, dass viele Regierungen die Pandemie als Vorwand nutzen, Umweltpolitiken, Regulierungen oder Steuern mit positiver Umweltwirkung wieder abzubauen. Hier sei sogar ein Rollback im Gange. 

In den USA (bislang), Russland, China, Brasilien, Mexiko, Australien, Saudi-Arabien oder Südafrika nutzten die Regierungen die Pandemie, um die in der Krise steckende fossile Wirtschaft rauszukaufen und zu stützen – so Niklas Höhne, NewClimate Institute. 
Und China, der in absoluten Zahlen größte CO2 Emittent und weltweit größter Finanzier in Kohleinfrastruktur, müsste spätestens im nächsten 5-Jahresplan, der im März 2021 verabschiedet werden soll, klimakompatible Ziele verankern. Die laufenden ökonomischen Wiederaufbaupläne Chinas jedenfalls sind eher „schmutzig“ als grün. Wenn China wie angekündigt bis 2060 klimaneutral werden will, muss es jetzt beginnen, massiv Klimagase zu reduzieren.

Dennoch gibt es neben dem Next Generation Programm der EU einige positive Beispiele für Initiativen, die Emissionen zu reduzieren, Arbeitsplätze zu schaffen, Volkswirtschaften zu begrünen und die menschliche Gesundheit zu verbessern. Der neuseeländische Konjunkturplan investiert 740 Millionen US-Dollar in die Wiederherstellung von Feuchtgebieten und die Bekämpfung von Schädlingen und Unkräutern, von denen die Regierung erwartet, dass sie 11.000 neue Arbeitsplätze schaffen. 

Große Hoffnungen liegen nun auf der neuen US-Regierung. Bislang befinden sich die USA am umweltschädlichen Ende des Spektrums, was die Covid-19-Recovery Pläne angeht. Rund 3 Billionen US-Dollar hatte Trump noch seinen fossilen Freunden versprochen. Joe Biden hingegen hat 2 Billionen US-Dollar für ein großangelegtes grünes Recovery Programm, das 2 Millionen Grüne Jobs schaffen soll, in Aussicht gestellt. Jedoch ist zu befürchten, dass der von den Republikanern dominierte Senat allen ökologischen Ausgabeplänen rasch ein Ende setzen könnte. 

Dort, wo die Konjunkturpakete in der EU, Südkorea oder Kanada, Neuseeland oder Indien eine grün orientierte Richtung erkennen lassen, ist allerdings noch nichts über deren Qualität, also über deren sozialen Wirkungen und ökologische Nachhaltigkeit ausgesagt. So umfasst Indiens Konjunkturprogramm Ausgaben von rund 780 Millionen US-Dollar. Sie sollen zum Beispiel für Aufforstung und Waldbewirtschaftung zur Verfügung stehen. Hier kommt es - wie überall - darauf an, wie solche Programme gestaltet werden, damit sie der ländlichen Bevölkerung auch wirklich zugutekommen, die Bodenerosion und Wasserknappheit gestoppt wird und die Biodiversität wieder wachsen kann. Bislang liefern die vielen Initiativen, die die Konjunkturprogramme nachverfolgen eher quantitative Daten dazu, in welche Sektoren die Mittel fließen. Qualitative Erhebungen müssen und werden folgen, denn es gilt – bezogen auf die Klima- und Umweltwirkung genauer hinzusehen: Aufforstungen mit Monokulturplantagen machen weder aus Klimaschutzsicht Sinn, noch dienen sie dem Erhalt wertvoller Ökosysteme. Auch für die großen Wirtschaftshilfen in Pandemiezeiten bedeutet dies: Nicht überall, wo grün draufsteht, ist auch soziale und ökologische Gerechtigkeit drin.   

Auch Öffentliche Banken verfehlen ihre Aufgaben nach Paris

Kürzlich richtete sich ein breites Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen anlässlich des ersten internationalen Gipfels der Entwicklungsbanken mit einem Appell an die Regierungen und Chefs der weltweit 450 öffentlichen Finanzinstitutionen. Sie forderten ein Ende der Förderungen fossiler hochverschuldeter Länder des globalen Südens und anderer schädlicher Projekte und einen Schuldenerlass für die im Ausland hochverschuldeten Länder des globalen Südens.

Die Entwicklungsbanken und öffentlichen Finanzinstitute verfügen über eine Finanzpower von sage und schreibe 2 Billiarden US-Dollar. Ihnen allen gemeinsam ist, dass sie mit öffentlichen Mitteln als Eigenkapital und mit der Staatsgarantie im Rücken Gelder günstig auf den Kapitalmärkten aufnehmen können. Als öffentliche Banken sind sie mit Steuermitteln finanziert. Die bekannteste ist die Weltbankgruppe (WBG), die finanzstärkste die Europäische Investitionsbank (EIB).

2015 haben sich die Unterzeichnerstaaten im Artikel 2.1c  des Pariser Abkommens dazu bekannt, Finanzströme mit den Zielen des Abkommens in Einklang zu bringen. Dort heißt es ganz konkret: „Making finance flows consistent with a pathway towards low greenhouse gas emissions and climate resilient development“.

Diese Vorgabe des Pariser Abkommens setzt sich erst allmählich und viel zu langsam in die Kreditvergabe öffentlicher Banken um. So hat die Weltbankgruppe 2017 angekündigt, sich ganz aus der Exploration und Erschließung von Öl und Gas auszusteigen. Doch nach Paris -  zwischen 2015 und 2018 hat die Weltbankgruppe  4,6 Milliarden US-Dollar  alleine auf dem afrikanischen Kontinent für fossile Projekte investiert und lediglich circa 1,5 Milliarden in neue Erneuerbare Energien (also ohne große Wasserkraftanlagen). Erst seit 2019 ist das Portfolio rückläufig. Die fossilen Pfadabhängigkeiten, vor allem die Erschließung von offshore und onshore Erdöl- und Erdgasfeldern, die in den letzten Jahren in Afrika oder Lateinamerika geschaffen wurden, sind allerdings unverantwortlich; sie bestärken den Ressourcenfluch der Länder und führen sie weiter in die fossile Sackgasse. 

Ausgerechnet multilaterale Entwicklungsbanken auf allen Kontinenten konterkarieren immer noch das Pariser Klimaabkommen. Von diesen mit Steuermitteln finanzierten öffentlichen Banken muss aber endlich das Signal ausgehen, sich aus den fossilen Industrien zurückzuziehen und Infrastrukturen zu bauen, die keine neuen fossilen Pfadabhängigkeiten für die Ökonomien in der Welt schaffen. Hier braucht es verbindliche politische Ansagen der Regierungen, sie müssen die Mandate der Banken an Artikel 2.1c des Pariser Klimaabkommen anpassen. 

Trendumkehr bei Stimulus und Konjunkturpaketen und öffentlichen Krediten einleiten

Unbestritten hat die Pandemie Institutionen und Staaten unvorbereitet erwischt; und selbst fünf Jahre nach Verabschiedung des Pariser Klimaabkommens lagen keine ausgearbeiteten gesamtwirtschaftlichen Pläne in der Schublade, wie eine CO2 freie Wirtschaft und ein wirklich grüner Aufschwung aussehen könnte. Und im Moment der Krise - einer Krise von der man anfangs hoffte, es ginge nur um ein paar Wochen – war eine differenzierte, transformative Antwort nicht vorbereitet. 

Rhetorisch hat der ökologische und Klima-Diskurs längst seinen Widerhall in internationalen Institutionen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der OECD und EU. Der Ruf nach der Umkehr ist fast allgegenwärtig. Doch mächtige (fossile) Lobbyinteressen und die Trägheit von Strukturen verlangsamen erheblich die konkrete Umsetzung nicht fossiler oder inklusiver Politiken. Die „Kohle-Power“ ist zwar gebrochen, doch die Gas- und Öllobby findet immer wieder neue Geschäftsfelder und das Ohr der entscheidenden Instanzen mit irreführenden Erzählungen wie zum Beispiel der von Gas als Brückenenergie. 

Die Krise ist noch nicht vorbei. In vielen Ländern werden neue Krisenbekämpfungsmaßnahmen nötig werden und konkret vorbereitet. Jetzt geht es darum, doch noch die Weichen richtig zu stellen. Die weltweiten Konjunkturpakete für die Abfederung der sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Pandemie und für die Wiederbelebung der Wirtschaft sind eine einmalige Chance, die sozial-ökologische Transformation einzuleiten. Es gibt noch viel Raum, die Konjunkturprogramme an diesem Ziel auszurichten. 

„Building back better“ – war ein Motto, das unter anderem Bidens Wahlkampagne nutzte. Machen wir es viel besser als früher – im Sinne der Klima- und Biodiversitätsziele, im Sinne globaler Gerechtigkeit für alle Geschlechter. Es werden weitere Konjunktur-, Kredit-, Hilfs- und Entschuldungspakete geschnürt. Notwendig und überfällig müssen sie für eine gerechtere und grünere Zukunft arbeiten. Die Zeit für kleine, inkrementelle Schritte ist längst vorbei.