Pestizide: Das Gift, das durch Brasiliens Adern fließt

Pestizidatlas

Pestizide gelangen häufig ins Oberflächen- und Grundwasser. Sie legen so große Entfernungen zurück, verseuchen Wasserläufe und somit auch Regenwasser. Dutzende Pestizide wurden in brasilianischen Gewässern nachgewiesen. Jedoch ohne Folgen - die brasilianische Gesetzgebung lässt hohe Grenzwerte zu.

Die Infografik zeigt eine Weltkarte, die anhand verschiedener Farben, den Forschungsstand verschiedener Länder zur Wasserverschmutzung zeigt.
Teaser Bild Untertitel
Die meisten Studien über Pestizide in Süßwasservorkommen wurden in den USA, China und Spanien veröffentlicht. Das ergab eine Metastudie zu wissenschaftlichen Publikationen, die zwischen 1976 und 2021 erschienen.

Pestizide gelten heute als eine der Hauptquellen für Umweltverschmutzung und Gesundheitsgefährdung. Der weit verbreitete Pestizideinsatz führt zu hohen Konzentrationen verschiedener Substanzen in Luft, Boden und Wasser. Pestizide können sowohl Oberflächen als auch Grundwasser verschmutzen – beispielsweise durch Auswaschung des Bodens, bei der Nährstoffe und chemische Elemente in die Gewässer gelangen. Oder durch Versickerung, bei der das Wasser in unterirdische Reservoirs fließt.

Die Wasservergiftung erhöht sich durch das Versprühen von Pestiziden mit Flugzeugen, durch unbeabsichtigte Verschleppung der Pestizide während oder nach Anwendung und durch das Abholzen von Uferzonen an Gewässern. Dieses wächst durch die voranschreitende Ausbreitung großflächiger Monokulturen. Die Stärke der Kontamination hängt auch von Bodentyp, der Landnutzung und Besiedelung, dem Klima sowie den physikalischen und chemischen Eigenschaften der Pestizide ab. Wasser transportiert Pestizide über weite Entfernungen. Beispielsweise über die sogenannte Evapotranspiration, also die Verdunstung von Wasser an der Erdoberfläche, das dann durch Winde und über spätere Niederschläge auch in weit entfernte Gebiete gelangt. Ein Phänomen, das auch als „fliegende Flüsse“ bekannt ist.

Infografik zu kontaminiertem Wasser in den Gewässern des Cerrado mit Kuchendiagrammen
Zur größeren Ansicht hier klicken.

Brasilien verfügt über die größten Süßwasserreserven der Erde (ca. 12 Prozent), das größte Regenwaldgebiet, der Amazonas-Regenwald, und die größten überschwemmten Festlandgebiete, Pantanal und Araguaia. Das Land ist auch einer der größten Pestizidverbraucher der Welt und verursacht damit eine Bedrohung globalen Ausmaßes: wichtige Wasserreserven werden kontaminiert und die biologische Vielfalt ist in Gefahr. Offiziellen Zahlen zufolge verbraucht die Bewässerungslandwirtschaft 66,1 Prozent des in Brasilien entnommenen Oberflächen- und Grundwassers, was 83 Milliarden Litern pro Tag entspricht. Rechnet man den Wasserverbrauch der Viehzucht hinzu, steigt der Anteil auf 77,7 Prozent.

Obwohl die Verseuchung des Wassers durch Pestizide in Brasilien kein unbekanntes Thema ist, gibt es nur wenige Studien darüber. Die finanziellen und logistischen Rahmenbedingungen sind begrenzt. Eine systematische Überprüfung der Analysen, die in Brasilien zwischen 2012 und 2019 durchgeführt und veröffentlicht wurden, zeigte, dass in den Wasserproben 77 verschiedene Schadstoffe gefunden wurden, darunter auch Pestizide. 21 Pestizide konnten nachgewiesen werden, darunter Flutriafol, Alpha- und Beta-Endosulfan, Metolachlor sowie Atrazin. Die beiden am häufigsten in Brasilien vermarkteten Pestizide – Glyphosat und 2,4-D – wurden in den meisten Studien gar nicht erst als Parameter einbezogen. Sie nachzuweisen ist mit zu hohen Kosten verbunden.

Infografik, die die Grenzwerte von Glyphosat im Trinkwasser zeigt. Ein Vergleich zwischen Brasilien und der EU zeigt, dass in Brasilien etwa 5000 mal mehr Glyphosat im Trinkwasser nachweisbar ist.
Da die Grenzwerte für die Konzentration von Pestiziden im Wasser in Brasilien so viel höher sind als in der Europäischen Union, verschleiert das Land die tatsächliche Wasserverschmutzung.

Neben den Daten der wissenschaftlichen Studien gibt es in Brasilien ein nationales Programm zur Überwachung der Qualität des Wassers für den menschlichen Gebrauch (Vigiágua), welches in allen Bundesstaaten das Wasser auf Pestizidrückstände sowie andere Substanzen untersucht. Die Daten von 2018 bis 2021 zeigen, dass von den insgesamt 41.780 analysierten Proben weniger als 10 Prozent Grenzwerte überschritten. Am häufigsten wurden unter den Pestiziden Atrazin, Metolachlor, Glyphosat und 2,4-D nachgewiesen. Insgesamt wurden jedoch viele weitere Pestizide gefunden, die Mengen waren nur nicht gut messbar. Das sagt etwas über den Stand der Messtechnik aus und schließt Risiken nicht zwangsläufig aus.

Bei den Untersuchungen und Analysen von Vigiágua wurden auch häufig Kombinationen von Pestiziden identifiziert. Wie sich Pestizid-Kombinationen auf Mensch und Umwelt auswirken, ist wenig erforscht. Weder bei der Regulierung von und der Gesetzgebung zu toxischen Substanzen werden solche Kombinationen angemessen berücksichtigt. Darüber hinaus gibt es fragwürdige Regeln bei der Überwachung von Pestizidrückständen in Wasser. Das Ministerium für Gesundheit untersucht das Wasser auf 40 verschiedene Pestizide, der Nationale Rat für Umwelt (CONAMA, angedockt an das Umweltministerium) nur auf 27 verschiedene Pestizide. Diese Anzahl ist gering, bedenkt man, dass im Land insgesamt 450 Wirkstoffe von Pestiziden (chemisch, biochemisch, semiochemisch und mikrobiologisch) sowie biologische Bekämpfungsmittel zugelassen sind.

Hinzu kommt, dass die brasilianische Gesetzgebung sehr hohe Pestizidwerte im Wasser zulässt und die Ansammlung verschiedener Substanzen in Wasserproben nicht berücksichtigt. Für Pestizide, die in den Verordnungen nicht vorgesehen sind, gibt es nicht einmal festgelegte Höchstwerte, was politisches Handeln unmöglich macht. In Ländern mit strengeren Gesundheits- und Umweltschutzvorschriften, wie z. B. in der Europäischen Union, ist für jedes Pestizid ein eigener Höchstwert festgelegt und die Summe verschiedener (im Einzelnen möglicherweise kleiner) Rückstände wird berücksichtigt.

Mit Pestiziden kontaminiertes Wasser – unabhängig davon, ob die Rückstände von Wirkstoffen die gesetzlich festgelegten Grenzwerte überschreiten oder nicht, kann toxisch wirken, insbesondere wenn diese Wirkstoffe miteinander kombiniert auftreten. Außerdem sind die Folgen eines Kontakts mit erbgutverändernden, krebserregenden oder hormonschädlichen Substanzen unabhängig von der Dosis. Verschiedene Stoffe und Gemische wirken bereits bei niedrigen Dosen. Wird dies außer Acht gelassen, werden Schäden, die bereits beim Kontakt mit geringen Mengen verursacht werden, ignoriert, was wiederum zu einer fehlerhaften Festlegung von Grenzwerten führen kann.

Der Beitrag erschien zuerst auf Portugiesisch im Pestizidatlas des Brasilienbüros der Heinrich-Böll-Stiftung. Übersetzung aus dem Portugiesischen und Redaktion: Lateinamerikareferat Heinrich-Böll-Stiftung

Hier finden Sie weitere portugiesischsprachige Beiträge, Graphiken sowie Kurzvideos mit einigen Autor*innen.