No Sapatinho - Auf leisen Sohlen. Die Entwicklung der "Milizen" in Rio de Janeiro: 2008-2011

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Vorwort

Am 14. Mai 2008 wurden in Batan, einer Favela in der West-Zone von Rio de Janeiro, Journalisten der Tageszeitung "O Dia" von Milizen entführt und schwer misshandelt. Die Medien und die brasilianische Öffentlichkeit reagierten empört. Die Aktivitäten der Milizen, die seit Jahren in den überwiegend peripheren Gebieten Rio de Janeiros Menschen terrorisieren, gerieten plötzlich in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die bis dahin gängige und gerne akzeptierte Begründung und Verteidigung des damaligen Bürgermeisters und anderer Personen des öffentlichen Lebens, dass die Milizen eine Reaktion der vor Ort ansässigen Polizisten seien, um den Drogenhandel zu bekämpfen, verlor an Legitimation.

Aufgrund der ehemals positiven öffentlichen, insbesondere medialen Haltung zu Milizen beauftragte das Brasilien-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung schon 2007, also bereits vor der Misshandlung der Journalisten, den stellvertretenden Direktor des Zentrums für Gewaltanalyse (LAV) an der staatlichen Universität von Rio de Janeiro Ignacio Cano mit einer Studie über das Phänomen der Milizen in Rio de Janeiro. Die Ergebnisse wurden 2008 in der Publikation „Segurança, Tráfico e Milícias no Rio de Janeiro[1]” veröffentlicht, die die Stiftung in Zusammenarbeit mit den Organisationen Justiça Global, LAV sowie weiteren Autor/innen erarbeitet hatte. Es war die erste Veröffentlichung überhaupt, die sich mit der Existenz der Milizen und ihrer Netzwerke systematisch auseinandersetzte. Sie erlangte in Brasilien große Aufmerksamkeit und bildete die Grundlage für eine von der Heinrich-Böll-Stiftung und ihren Partnern induzierte breite gesellschaftliche Debatte, an der sich u.a. Medien, kommunalen Verwaltungen und Menschenrechtsorganisationen beteiligten. Aufgrund der Bedeutung des Themas entschied sich die Stiftung, die Studie noch im gleichen Jahr auch auf Deutsch herauszugeben[2].

Als Folge der Ereignisse in Batan und der gesellschaftlichen Diskussionen gerieten die Milizen massiv unter Druck. Das Landesparlament von Rio de Janeiro berief eine parlamentarische Untersuchungskommission ein. Viele ihrer Anführer sowie involvierte Politiker und Polizisten wurden verhaftet. Danach ließ Aufmerksamkeit langsam nach und das Thema verschwand aus dem öffentlichen Interesse.

2012 beschloss die Heinrich-Böll-Stiftung – wieder zusammen mit Ignacio Cano – eine Nachfolgestudie zu verfassen. Dabei interessierte uns die Frage, ob die Milizen seit 2008 wirklich verschwunden sind, oder nur geschwächt oder gar in verändertem Auftreten weiteragieren. Sie erschien in Brasilien 2012 unter dem Titel „No Sapatinho“ (dt.: Auf leisen Sohlen). In der Studie wird deutlich, dass die Milizen auch weiterhin aktiv sind und in vielen Gebieten durch massive Gewalt und Erpressung Macht  ausüben - inzwischen allerdings im Verborgenen, d.h. „auf leisen Sohlen“. Mit der Nachfolgestudie möchte die Heinrich-Böll-Stiftung die gesellschaftliche Debatte in Brasilien zum Thema wieder anstoßen und darüber hoffentlich die Verantwortlichen in der Politik dazu bewegen, effektive Maßnahmen gegen diese kriminellen Strukturen zu ergreifen, die das Leben vieler Menschen bedrohen und sie ihrer Rechte und ihrer Lebensqualität berauben.

Die Zusammenfassung der Studie wurde ins Deutsche übersetzt. Es ist ein Beitrag dazu, den deutsch-brasilianischen Dialog im Vorfeld der 2014 und 2016 stattfindenden Megaevents auch für Sicherheits- und Menschenrechtsthemen zu sensibilisieren.

Wir bedanken uns bei allen Autor/innen in Brasilien für das aufwändige Zusammentragen von Informationen und sind zuversichtlich, dass daraus Einsichten und Anregungen für die politischen und zivilgesellschaftlichen Diskussionen sowohl in Brasilien als auch in Deutschland gewonnen werden können.

Ingrid Spiller, Leitung Lateinamerikareferat der Heinrich-Böll-Stiftung
Daniel Backhouse, Lateinamerikareferat Heinrich-Böll-Stiftung

Produktdetails
Veröffentlichungsdatum
September 2013
Herausgegeben von
Heinrich-Böll-Stiftung
Seitenzahl
51
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Alle Rechte vorbehalten
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