Claudia Roths Laudatio an Imelda Marrufo Nava

Claudia Roth am Rednerpult
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Claudia Roth, MdB, Vizepräsidentin des deutschen Bundestages, während der Verleihung des Anne-Klein-Frauenpreises 2014

Liebe Imelda,
liebe Barbara,
liebe Freundinnen und Freunde,
liebe Gäste,
 

ich freue mich sehr, heute hier sein zu dürfen und es ist mir eine riesen Ehre, die Laudatorin für Imelda Marrufo Nava zu sein.

Imelda Marrufo Nava ist das, was man eine Heldin der internationalen Frauenbewegung nennen muss. Barbara hat uns ja schon berichtet, warum die Jury des Anne-Klein-Frauenpreises sie heute hier auszeichnet. Imelda Marrufo setzt sich nicht nur ein für die Rechte von Frauen in Mexiko – und hier besonders in ihrer Heimat im Norden von Mexiko – in der Grenzstadt Ciudad Juárez, sondern sie ist bereit, für diese Rechte, für die Unversehrtheit und für die Würde von Frauen selbst ihr eigenes Leben zu riskieren.

Sie ist bereit, sich selbst, ihr Leib und Leben, in Gefahr zu bringen, und das, weil sie eine Vision hat: die Vision vom Ende der Gewalt in ihrer Heimat und von der Anerkennung der Würde der vielen hundert Frauen, die in Juárez bereits Opfer dieser Gewalt wurden. Imelda Marrufo nimmt es dafür in Kauf, dass sie selbst immer wieder in den Fokus der Täter gerät,  die sich bislang vor allem auf eines verlassen können: auf das Schweigen. Das Schweigen der Opfer und deren Angehörigen, die meist aus Angst ihre Stimme nicht erheben und das Schweigen der Ermittlungsbehörden und der Justiz, die zum Teil selbst von den Verbrechen und den Geschäften an der Grenze zu den USA profitieren und denen die Menschen selbst kaum vertrauen.

Imelda Marrufo lebt in einer Umgebung, in der es Mut erfordert, von den Dingen zu sprechen, die passieren, nunmehr seit mehr als zwei Jahrzehnten. In einem Land, in dem seit 2006 geschätzte 60 bis 70 000 Menschen während des „War on Drugs“ der mexikanischen Regierung gegen die Drogenbanden gestorben sind, wo das Verschwinden, gewaltsame Sterben und Morden in manchen Regionen zum Alltag gehört und wo die Menschen zum Teil eher den kriminellen Organisationen als den staatlichen Institutionen vertrauen, wenn diese inzwischen oftmals Aufgaben übernehmen, die der mexikanische Staat vernachlässigt.

In solch einem Land erscheint die Gewalt gegen Frauen für viele als nicht das wichtigste, nicht als das vordringlichste Problem. Und das Sprechen über die Gewalt gegen Frauen stört die herausgebildeten Macht- und Gesellschaftsstrukturen, in denen Frauen nicht als gleichwertig angesehen werden. Denn die Missachtung der massenhaften Gewalt gegen Frauen spiegelt auch die weit verbreitete Missachtung der Frauen wider, gerade in den Gewaltzonen Mexikos. Wenn Frauen massenhaft vergewaltigt, entführt, gefoltert, misshandelt und einfach wie Müll weggeworfen werden, nachdem sie „aufgebraucht“ sind, sei es zur sexuellen Befriedigung, oder zur „Abwicklung“ der kriminellen Geschäfte, dann wird die menschliche Würde, die auch für Frauen unteilbar sein muss, mit Füßen getreten. Das ist der Skandal hinter der unfassbaren Tragödie des Feminizids im Norden Mexikos, aber auch in anderen Regionen des Landes, wie auf dem ganzen Kontinent.

Gewalt gegen Frauen, Morde und Vergewaltigungen, sind auf der ganzen Welt ein leider immer noch großes Thema. Die Unteilbarkeit der Menschenwürde ist noch nirgendwo wirkliche und ganze Realität geworden, auch hier in Europa nicht, wie die Europäische Agentur für Grundrechte gerade erst ermittelt hat. Auch im vermeintlich sicheren Europa ist jede dritte Frau zwischen 15 und 74 Jahren bereits Opfer von Gewalt geworden, das sind insgesamt unbeschreibliche 62 Millionen Frauen – eine schier unfassbare Zahl. Das zeigt, dass geschlechtsspezifische Gewalt weiterhin ein strukturelles Problem des bestehenden Machtgefälles zwischen Männern und Frauen ist und dass es noch viel zu tun gibt für einen globalen Feminismus, so zum Beispiel wieder morgen bei zahlreichen Veranstaltungen und Demonstrationen zum Internationalen Frauentag.

Aber: Die Situation in der Heimat von Imelda Marrufo ist von einer grausamen Einzigartigkeit. Die Gewalt, das Morden von Frauen in Juárez hat ein Ausmaß angenommen, dass beispiellos ist. Und genau dagegen stellt sich Imelda mit ganzer Kraft und mit ihrem „Mesa des Mujeres“: Sie sorgt mit ihren Mitstreiterinnen für Aufmerksamkeit und Anerkennung der Morde und der Gewalt an Frauen, indem sie über diese Morde spricht, sie dokumentiert und den Angehörigen der Opfer eine Stimme gibt.

Imelda Marrufo will sich nicht damit abfinden, dass immer mehr Frauen in ihrer Heimatstadt verschwinden, dass sie getötet werden und ihre Mörder straffrei davon kommen. Auch nicht damit, dass sich die Polizei, die Justiz und oftmals auch die Gesellschaft gar nicht dafür interessiert, wer die Opfer waren und wer die Verbrechen begangen hat.

Bereits als Jura-Studentin in Juárez Anfang der 90er Jahre beginnt sie zusammen mit anderen, die Frauenmorde zu dokumentieren und den Ermordeten so ein Gesicht, eine Geschichte zu geben. In dieser Zeit begann die Zahl der Morde an Frauen in Juárez dramatisch anzusteigen. Opfer sind vor allem junge Frauen, die aus ganz Mexiko von den Fertigungsfabriken in der Grenzstadt zur USA angezogen werden und dort als billige und ungesicherte Arbeitskräfte ausgebeutet werden.

Es sind also vor allem Frauen, die keine Lobby haben, weder in ihrer neuen Heimat Juárez, noch als Migrantinnen und Arbeitssklaven in Mexiko. Frauen, für die sich keiner interessiert.

Bis die Kriminalität immer stärker und schlimmer wird, bis die Drogen- und Schmuggelbanden die ganze Stadt in ihre Umklammerung nehmen und immer öfter auch Frauen aus Juárez selbst betroffen sind. In dieser Zeit fühlt sich auch Imelda bedroht, sie sagte einmal: „In der Zeit begann ich zu verstehen, was genderbasierte Gewalt heißt.“ Aber anders als Andere münzt sie ihre Angst um in Engagement für die Rechte der Frauen, und sie münzt die Bedrohung um in Stärke: Ihr wurde klar, dass die Frauen in dieser Situation nur eine Chance hatten, wenn sie sich zusammen schlossen und gemeinsam gegen die Gewalt und die Gleichgültigkeit kämpfen würden.

Imelda Marrufo hatte den Mut, den man braucht, um sich aus der Passivität der Opferrolle zu befreien. „Habe den Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ Nach diesem Schlüsselsatz der Aufklärung von Kant führt sie fortan ihr Leben.

Sie gibt ihre Anstellung in einer Anwaltskanzlei nach dem Studium wieder auf, denn in Juárez verdient man sein Geld entweder in den Fabriken oder mit dem grenzüberschreitenden Handel. Handelsrecht war aber nicht das, was Imelda Marrufo interessierte. Stattdessen hat sie begonnen, Frauenprojekte in Juárez zu unterstützen, Mittel für Organisationen zu beschaffen, Netzwerke zu bilden und mit Aktionen Aufmerksamkeit für die Belange der Frauen zu organisieren.

Daraus entsteht dann 2001, nach dem Fund der acht ermordeten Frauen am Stadtrand von Juárez, das Netzwerk „Mesa de Mujeres de Juárez“, der Tisch der Frauen von Juárez. Darin sind derzeit 10 Frauenorganisationen zusammen geschlossen und Imelda Marrufo koordiniert das Netzwerk auf ihre mutige, leidenschaftliche und starke Art.

Neben der Dokumentation der Feminizide machen die Frauen Eingaben bei den Behörden und viel Öffentlichkeitsarbeit. So tauchen zum Beispiel überall dort, wo Frauen in der Stadt verschwinden, rosafarbene Kreuze auf, die zum Symbol für den Kampf gegen die Gewalt gegen Frauen werden.

Die Frauen des Netzwerks organisieren außerdem die psychologische Betreuung von Familienangehörigen von Opfern und begleiten sie, wenn sie von den Behörden Aufklärung und Strafermittlungen fordern.

Ein großer Erfolg des Netzwerks „Mesa de Mujeres“ und damit auch von Imelda selbst ist es, - Barbara hat es schon erwähnt, als sie im März 2002 dem Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte in San José (Costa Rica) einen Bericht aushändigen können, in dem sie Fakten zum Feminizid in Juárez zusammengetragen haben und auf dieser Grundlage der mexikanische Staat 2009 vom Gerichtshof für schuldig befunden wurde, die Frauen von Ciudad Juárez nicht ausreichend zu schützen. 

Damit ist zwar ein Ende der Gleichgültigkeit und der Straffreiheit gegenüber den vielen entführten, gefolterten und getöteten Frauen in Mexiko noch lange nicht erreicht und auch den Straftatbestand „Feminizid“, wie von der „Mesa de Mujeres“ gefordert, gibt es noch nicht offiziell im mexikanischen Recht. Doch für die Sichtbarkeit der geschlechtsspezifischen Gewalt gegen Frauen wurde viel erreicht und das Urteil dient als Zeichen für die Verantwortung auch des Staates.

Die Frauen des „Mesa de Mujeres“ machen indes natürlich weiter: Ihre Kampagne „Ni una muerta más“ (Keine weiteren Toten Frauen mehr) läuft ununterbrochen.

Liebe Freundinnen und Freunde, wenn man gerade durch die Stadt Berlin fährt, lacht einen von jeder Litfaßsäule, von jedem Tram- und Bushäuschen und von jeder Plakatwand die Schönheit Mexikos an. Wahnsinnige Fotos von den Stränden in Cancún und Los Cabos, die Maya-Festung in Tulum, die Pyramide von Cholula und die Hippness von Mexiko-Stadt. Als Gastland der derzeit stattfindenden Internationalen Tourismusbörse in Berlin will das Land wieder zum Sehnsuchtsort der vom Winter geplagten Nordeuropäer werden. Doch dass unsere ersten Gedanken zu Mexiko nicht dessen Schönheiten, der überwältigenden Landschaften und Natur, der vielfältigen Kultur, den wunderbaren Menschen und der reichen Geschichte aus der Azteken- und Maya-Zeit gilt, sondern wir als erstes an Gewalt, Verbrechen, Drogenkartelle und Bandenkriege denken, das ist eine Tragödie, die mich fast beschämt.

Denn dieses wunderbare Land und seine Menschen hätten es verdient, dass sich die Internationale Gemeinschaft mehr und ernsthafter Gedanken darüber macht, wie man dem weltweiten Problem des Drogenhandels und der Armutsmigration begegnen kann, welche eigene Verantwortung für die großen Probleme Mexikos Länder wie die USA oder auch Europa haben und ob es wirklich die richtige Lösung ist, Mauern hochzuziehen und mit militärischer Gewalt und Prohibition ein ganzes Land in Geiselhaft für eine verfehlte Politik zu nehmen.

Genau deswegen ist es so wichtig, was Imelda Marrufo mit ihrem Mut und zusammen mit den Frauen des „Mesa de Mujeres“ schafft. Sie sind es, die Mexiko wieder zu einem auch für Frauen lebenswerten Ort  machen und damit zu dem wunderbaren Paradies, das uns gerade in Berlin präsentiert wird.

Es erfüllt mich deshalb mit großem Respekt, dass ich heute endlich die Gelegenheit hatte, Imelda Marrufo Nava selbst kennenlernen zu können und dass ich dabei sein darf, wenn diese starke Feministin, die uns allen ein großes Vorbild ist, heute diesen wichtigen Preis bekommt. Auch Anne Klein hätte in ihr ganz bestimmt eine mehr als würdige Preisträgerin gesehen.

Ich gratuliere Imelda von ganzem Herzen zu diesem Preis und wünsche ihr, dass ihr der Mut und die Kraft und die Leidenschaft für die Rechte der Frauen niemals ausgehen werden! Und ich wünsche mir und allen Frauen weltweit, dass dieser Preis Imelda und die Frauen des „Mesa de Mujeres“ schützen wird und dass das Morden in Mexiko endlich aufhört!

 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!