Anne-Klein-Frauenpreis 2014 an Imelda Marrufo Nava

Preisverleihung 2014
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Barbara Unmüßig und Imelda Marrufo Nava

Liebe Freundinnen und Freunde von Anne Klein,
liebe Imelda Marrufo,
liebe Claudia Roth,
liebe Barbara Binek,
liebe Gäste,

herzlich willkommen zur nun mehr schon 3. Verleihung des Anne-Klein-Frauenpreises.

Anne Klein hat uns diesen wunderbaren Preis gestiftet und es ist Imelda Marrufo – die wie Anne Klein Juristin und Feministin ist –, deren mutige Arbeit für Frauenrechte wir in diesem Jahr mit dem Anne-Klein-Frauenpreis würdigen.

Mit dem Preis wollte Anne Klein über ihren Tod hinaus Frauen Mut machen, gegen Diskriminierung und Gewalt zu streiten. Anne Klein war eine Pionierin für Menschenrechte, Gleichberechtigung und sexuelle Selbstbestimmung und sie hat Basisarbeit und institutionalisierte Frauenpolitik bestens miteinander verknüpft. Die Heinrich-Böll-Stiftung ist Anne Klein für ihre großzügige Schenkung sehr dankbar. Wir treffen uns hier alljährlich zu ihren Ehren und feiern, sie selbst und so großartige Preisträgerinnen wie Nivedita Prasad, die als erste mit diesem neuen Preis ausgezeichnet wurde. Nivedita Prasad setzt sich unermüdlich für Rechtssicherheit für alle Menschen, unabhängig von Hautfarbe, Religion und Geschlecht ein und hat die Jury besonders mit ihrem Kampf für gleiche Rechte auch für Angestellte in Diplomatenhaushalten beeindruckt.

Der zweite Anne-Klein-Frauenpreis ging an die mitreißende serbische Aktivistin und Intellektuelle Lepa Mlađenović. Lepa Mlađenović setzt sich seit Jahrzehnten für die Rechte von Frauen und Menschen mit sexueller Identität jenseits der Mehrheitsnormen ein. Was der Preis für sie und ihre Arbeit in Serbien bedeutet, das können Sie auch in dem kleinen Programmheft, das Sie auf Ihren Plätzen finden, lesen.

Ganz im Sinne Anne Kleins: der Preis wirkt, ermutigt, schafft öffentliche und politische Anerkennung und bietet Schutz für mutige Frauenrechtsaktivistinnen.

Mit Imelda Marrufo setzt sich fort, was der Preis transportieren will: Wir ehren heute Imelda Marrufo – eine Frau, die sich in Ciudad Juárez, einer Stadt in Nord-Mexiko seit vielen Jahren gegen die Straflosigkeit von Morden an Frauen einsetzt.

Im Namen der Jury – der Renate Künast, Michaele Schreyer, Jutta Wagner, Thomas Herrendorf und ich angehören – wollen wir dich, Imelda, würdigen und preisen für deinen leidenschaftlichen Einsatz gegen Gewalt und Morde an Frauen. Es ist Imelda Marrufo, die mit Mitstreiterinnen das Netzwerks Mesa de Mujeres gründete, nachdem 2001 acht Frauen in einem Baumwollfeld am Stadtrand von Juárez ermordet aufgefunden wurden. Imelda und ihrem Netzwerk geht es darum, den Ermordeten ihre Würde zurückzugeben, ihnen Namen, Gesicht und Geschichte zu geben.

Und es geht darum, die Täter, die Mörder zur Rechenschaft zu ziehen. Straflosigkeit ist in Mexiko ein endemisches Problem. Es braucht sehr viel Mut und Furchtlosigkeit, der Gewalt und Einschüchterung entgegen und für Strafverfolgung einzutreten.

Es ist unter anderen Imelda Marrufo und ihrer Organisation Mesa de Mujeres geglückt, dass die Morde an den acht Frauen vor dem Interamerikanischen Gerichtshof verhandelt wurde. Der mexikanische Staat wurde in drei Fällen schuldig gesprochen, weil er die Sicherheit, Integrität und Freiheit der ermordeten Frauen sowie ihrer Mütter und Familienangehörigen nicht garantiert hat. Damit wurde der Tatbestand des Feminizids erstmals in einem Urteil als Menschenrechtsverbrechen anerkannt. Imelda Marrufo und dieser Prozess haben Feminizide in Mexiko öffentlich gemacht. Feminzide sind Morde an Frauen, weil sie Frauen sind. Es ist diese extreme Form von sexualisierter Gewalt in Kombination mit weitgehender Straflosigkeit, die den Begriff Feminizid charakterisiert. Imelda Marrufo kämpft gemeinsam mit vielen Frauen in Mexiko, mit Menschenrechtsverteidiger/innen einen Kampf gegen die schleichende Akzeptanz, dass ein Leben von Frauen nichts wert ist. Und die mexikanischen Frauen sind erfolgreich: Es werden Rechtszentren aufgebaut, deren Aufgabe es ist, Präventionsarbeit mit individueller Beratung und staatsanwaltlicher Arbeit zu verbinden.

Feminizide sind kein mexikanisches Phänomen. Sie kommen auch in anderen Teilen der Welt vor. Dennoch hat Mexiko – und insbesondere die Stadt Ciudad Juárez an der Nordgrenze Mexikos – traurige Berühmtheit wegen der Feminizide erlangt.

Schon 1993 fiel Oscar Maynez, dem forensischen Kriminologen im Dienste der Regierung, auf, dass es Serien von Frauenmorden gibt. Rasche Aufklärung und Strafverfolgung gab es keine. Der Albtraum mit zahllosen Frauenmorden setzte sich fort.

Ciudad Juárez ist nicht nur wegen der Frauenmorde ein angstbesetzter und gefährlicher Ort. In 2010 sind in der Stadt 3.100 Menschen getötet worden – das entspricht sieben bis acht Morden pro Tag! Heute gibt es zwar deutlich weniger Morde in Ciudad Juárez, doch die Sicherheitslage in Mexiko insgesamt ist nach wie vor beängstigend.

Unter der sechsjährigen Präsidentschaft von Felipe Calderón, die im Dezember 2012 endete, sind 60.000 Menschen der organisierten Kriminalität zum Opfer gefallen, 150.000 Menschen wurden vertrieben – so Amnesty International. Andere Quellen gehen von noch mehr Toten aus. Hinzu kommen Entführungen und Erpressungen. Das nationale Institut für Statistik und Geografie Mexikos (INEGI) hat 2013 eine vielbeachtete Studie veröffentlicht. Danach sind in 2012 in Mexiko 105.600 Personen entführt worden, nur 1.317 Fälle wurden bei der Polizei angezeigt. Und es gab annähernd sechs Millionen Erpressungen. In jedem dritten mexikanischen Haushalt ist  mindestens eine Person Opfer eines Verbrechens.

Nur in 4 Prozent der angezeigten Straftaten kommt es zu einer Anklage, in 2 Prozent zu einer Verurteilung. Straflosigkeit – ich sagte es schon – ist ein übergroßes Problem in Mexiko. Mexikanerinnen und Mexikaner haben kein Vertrauen in Polizei und Justiz. Armee und Polizei gelten als Teil des Unsicherheits- und Unrechtsgefüges. Angehörigen der Armee und Polizeikräfte werden schwere Menschenrechtsverstöße zur Last gelegt.

Vor diesem Hintergrund der allgegenwärtigen Gewalt, der Bandenkrimininalität, der massiven sexualisierten Gewalt gegen Frauen, im Lichte des kompletten Versagens von Polizei und Justiz: Wir möchten uns vor dem Mut und der Unerschrockenheit der mexikanischen Frauen, vor dir Imelda und deinen Mitstreiterinnen, verneigen.

Es ist Dir und Euch zu verdanken, dass Feminizide öffentlich gemacht werden, die Strafverfolgung sich leicht bessert und Angehörige von Ermordeten Trost und Rechtsbeistand finden. Wir werden in der Laudatio von Claudia Roth noch mehr über Imelda Marrufo und Ihr Wirken erfahren.

Liebe Imelda, die Jury des Anne-Klein-Frauenpreises ist von Dir und Deinem Wirken beeindruckt. Unsere Bewunderung – für den sehr konkreten Schutz von Frauen, für die Anerkennung des Feminizids als Straftatbestand, gegen die Straflosigkeit – ist Dir sicher.

Frauen wie Dich wollte Anne Klein unterstützt wissen.

Wir hoffen, dass Dir mit diesem Preis noch mehr Anerkennung und Unterstützung zu Teil wird. Wir wollen Dich und Euch mit dem Anne-Klein-Frauenpreis schützen und unterstützen. Wir haben uns deshalb entschlossen, zusätzlich zum Preisgeld, mit einem Spendenaufruf für die Unterstützung der Arbeit von Mesa de Mujeres zu werben.

Liebe Imelda, über dich selbst sagst du: „Meine Berufung ist das Reden, nie zu verstummen – zu keiner Zeit.“ Wir wünschen Dir von Herzen, dass Du trotz aller Beschwernisse weiterhin heiter und mit viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter deinen Weg gehen kannst. Du hast uns an deiner Seite. Möge Dich der Preis und unsere Solidarität in deiner Arbeit weiter beflügeln und ermutigen.
 

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Video-Mitschnitt der Preisverleihung am 07. März 2014