Die Aufarbeitung der Militärdiktatur in Brasilien

Gedenkstätte
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Brasiliens erste Gedenkstätte für die Opfer der Militärdiktatur in Recife, Pernambuco

Brasilien blickt am 10. Dezember, dem Tag der Internationalen Menschenrechte, gespannt auf den Abschlussbericht der Nationalen Wahrheitskommission. Vorab berichteten Paulo Moraes und Sara Fremberg in der Heinrich-Böll-Stiftung von der Aufarbeitung der Militärdiktatur im Bundesstaat Pernambuco.

Pernambuco galt den konservativen brasilianischen Kräften Anfang der 1960er als Sinnbild der "kommunistischen Gefahr" im eigenen Land. Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges waren unter anderem die erstarkenden sozialen Bewegungen und der progressive Gouverneur Miguel Arraes untragbar. Und so wurde der Bundesstaat nach dem Putsch am 1. April 1964 Ziel besonders brutaler Repressionen. Alle, die in politischer Opposition zum Regime standen, Mitglieder der Schüler- und Studentenbewegung und Bauernvereinigungen wurden verfolgt, verhaftet, gefoltert und ermordet.

 

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In einer Abendveranstaltung am 01.12.2014 in der Heinrich-Böll-Stiftung (hier als Mitschnitt in deutscher und portugiesischer Sprache) berichteten Paulo Moraes und Sara Fremberg über die Aufarbeitung der Militärdiktatur in Pernambuco. Paulo Moraes, Exekutivsekretär im Sekretariat für Menschenrechte in Pernambuco, sprach über die Rolle der bundesstaatlichen Wahrheitskommission (Comissão Estadual da Memória e Verdade Dom Helder Câmara), die der Staat Pernambuco im Juni 2012 einrichtete. In ihren Untersuchungen konzentriert sie sich auf 49 Pernambucaner und Pernambucanerinnen, die während der Militärdiktatur verschwanden bzw. ermordet wurden. Dass Pernambuco als erster Bundesstaat eine eigene regionale Wahrheitskommission einberief, untermauert seine Vorreiterrolle in der Aufarbeitung und Erinnerungsarbeit.

Dies geht jedoch nicht nur auf die Initiative des Staates zurück. Zivilgesellschaftliche Organisationen leisten seit Jahren Überzeugungsarbeit. Auf ihren Druck hin errichtete und eröffnete Pernambuco im Jahr 1993 die brasilienweit erste Erinnerungsstätte für die Opfer der Militärdiktatur. Im alten Gebäude des DOPS (Departamento de Ordem Política e Social), in dem viele Menschen gefoltert und festgehalten wurde, plant der Bundesstaat die Einrichtung einer Gedenkstätte der Demokratie (Memorial da Democracia).

Programme gegen Polizeigewalt

Sara Fremberg, die von April bis Juli 2014 in Recife zur Aufarbeitung der Militärdiktatur recherchierte, berichtete an diesem Abend über die Arbeit zivilgesellschaftlicher Akteure wie der Gruppe Tortura Nunca Mais („Nie wieder Folter“), dem Engenho Galiléia oder dem Institut Miguel Arraes. Neben der Gedenkstättenarbeit rekonstruieren sie Todesumstände, klären Fälle von Folter und „Verschwindenlassen“ auf und unterstützen die Hinterbliebenen dabei, Entschädigungen zu erhalten.

Paulo Moraes unterstrich, dass ein solides Wissen über die Menschenrechtsverletzungen während der Militärdiktatur grundlegend ist, um die aktuelle Gewalt, auch die Polizeigewalt, in Pernambuco zu reflektieren. Problematisch ist noch immer, dass die Polizei Bürgerinnen und Bürger oft nicht als Gleichberechtigte wahrnimmt oder sie sogar als vermeintliche Feinde sieht. Als Gegenmaßnahme wurde 2007 das bundesstaatliche Programm „Pakt für das Leben“ (Pacto pela Vida) eingeführt, noch bevor Rio de Janeiro die ersten UPPs (Unidade de Polícia Pacificadora, Polizeieinheit, die die Favelas befrieden soll) einrichtete. Das Programm schult unter anderem Polizeiangehörige, um in Konfliktsituation professioneller zu reagieren, baut Infrastrukturen in Armenvierteln aus oder betreut ehemalige Gefängnisinsassen bei der Resozialisierung nach der Haft. Das Ergebnis: Die Mordraten im Bundesstaat Pernambuco sind stark zurückgegangen.

Die Diskussion verdeutlichte jedoch auch die Grenzen und Fehlstellen der bisherigen Vergangenheitsaufarbeitung. Noch immer mangelt es Sara Fremberg zufolge  an politischem Willen, die Militärdiktatur als eine zivil-militärische-Diktatur anzuerkennen. Das zeigen die bisher wenig untersuchten Verbrechen gegen Arbeiter/innen und Indigene auf dem Land, die von Großgrundbesitzern verübt wurden, die das Militärregime unterstützten.

Aufhebung der Amnestie?

Am 10. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, wird Brasiliens Nationale Wahrheitskommission den Abschlussbericht ihrer Untersuchungen einreichen. Pedro Dallari, Koordinator der Nationalen Wahrheitskommission, gab im November 2014 in einem Interview bekannt, dass der Bericht empfiehlt, 100 Militärangehörige für Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen und sie zu bestrafen. Die bis heute währende Straflosigkeit der Täter und Täterinnen basiert auf dem seit 1979 bestehenden Amnestiegesetz. Viele Archive sind heute noch immer verschlossen. Das verhindert die Untersuchung der während der Militärdiktatur begangenen Verbrechen und die Strafverfolgung. Auch die Revision des Amnestiegesetzes will die Kommission empfehlen. Dies forderte 2010 bereits der Interamerikanische Gerichtshof. Brasiliens Oberster Gerichtshof (Supremo Tribunal Federal) wehrte diese Forderung jedoch ab. Zahlreiche Aktivisten und Aktivistinnen, oft Angehörige von Opfern der Militärdiktatur oder selbst Betroffene, warten angespannt, wie der brasilianische Staat mit den Untersuchungsergebnissen und Empfehlungen der Kommission umgehen wird.

Für Paulo Moraes ist die Abgabe des Berichtes der Nationalen Kommission ein entscheidender Moment. Zum einen wird sich zeigen, wie Brasilien mit Erinnerung und Wahrheit umgeht. Zum anderen wird sich herausstellen, ob auch Gerechtigkeit für die Opfer durch juristisches Handeln gegen die  Täter und Täterinnen folgt. Paulo Moraes hielt fest, dass die Seite der Vergangenheit zunächst gelesen und dann erst umgeschlagen werden kann.

Weitere Informationen zum Thema gibt es auf dem Blog von Sara Fremberg.