„Das Chaos vor der Tür entspricht dem in der Behörde“

Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Canan Bayram
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Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Canan Bayram

Die flüchtlingspolitische Sprecherin der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus, Canan Bayram, hält das Chaos bei der Flüchtlingsaufnahme in der Hauptstadt für politisch gewollt. Im Interview mit Alke Wierth und Uta Schleiermacher erklärt sie, warum.

Frau Bayram, Sie halten das Chaos vor der Berliner Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge Lageso für politisch gewollt. Wie kommen Sie zu der Annahme?

Canan Bayram: Berlin hat eigentlich eine gute Infrastruktur. Finanziell gesehen haben wir mittlerweile einen Steuerüberschuss. Der Finanzsenator sagt, das Thema Geflüchtete sei ihm wichtig, er stelle alle Ressourcen zur Verfügung. Bei Gesprächen mit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller oder Dieter Glietsch, der vom für die Flüchtlingsversorgung zuständigen Sozialsenator Mario Czaja selbst als neuer Staatssekretär für Flüchtlingsfragen akzeptiert wurde, höre ich immer, Czaja solle nur sagen, was er brauche, um das Chaos vor der Flüchtlingserstaufnahmestelle zu beseitigen, dann bekäme er das auch. Da frage ich mich: Warum passiert da nichts? Warum setzt Czaja das nicht um? 


Ja, warum?

Ich glaube, er hat Angst, dass ihm das politisch schadet, wenn er das richtig und gut macht. Denn von seiner Partei, der Berliner CDU, ist das politisch nicht gewollt. Sie will das Signal setzen: Die Stadt kann das nicht, wir brauchen Obergrenzen, keinen weiteren Zuzug.

Was müsste geschehen, um das Chaos zu beheben?

Zum einen müssten Prozesse und Aktenführung vereinfacht werden. Es herrscht organisatorisches Chaos. Zum anderen fehlt es an Personal. Ohne das bekommt man die hohe Anzahl der Vorsprachen nicht gestemmt. Es stehen ja nicht nur die Flüchtlinge Schlange, die registriert werden wollen. Auch die es bereits sind, müssen zu dem Amt, etwa, um Kostenübernahmen für die Unterbringung oder ihre medizinische Versorgung zu holen.

In dem Referat des Lageso, die Gebäude für die Unterbringung finden soll, ist das Personal verzehnfacht worden – trotzdem klappt es nicht. Liegt es wirklich nur an den Ressourcen?

Viele der neuen Mitarbeiter wurden von anderen Behörden ausgeliehen. Sie klagen darüber, dass es keinen Organisationsplan für ihre Arbeit gibt.

Lageso-Chef Franz Allert wurde die Zuständigkeit für einen Teil der Behörde schon entzogen.

Das macht die Zuständigkeiten noch unklarer. Nun muss manches von Allert, manches von Staatssekretär Dirk Gerstle abgenickt werden, der für den Allert entzogenen Bereich eingesetzt wurde. Dann gibt es noch den Zuständigkeitsbereich von Staatssekretär Glietsch. Effektive Arbeit ist so nicht möglich. Das Chaos vor der Tür des Lageso entspricht dem in der Behörde.

Was wäre schnelle Hilfe?

Um die Mitarbeiter zu entlasten, sollten Geflüchtete unabhängig davon, ob sie bereits registriert sind, alles bekommen, was das Asylbewerberleistungsgesetz vorschreibt. Dann müssten viel weniger Leute vor dem Lageso Schlange stehen. Aber so eine weitgehende finanzielle Entscheidung kann die Behörde nicht selbst treffen. Dafür braucht es einen Senatsbeschluss. Und das macht Czaja nicht. Er kündigt zwar gerne etwas an, meistens in der Presse, etwa, dass Geldleistungen von Flüchtlingen künftig auch von Bezirksämtern ausgezahlt werden sollen. Aber meist vergisst er, das vorher mit den Beteiligten abzusprechen. Dann wird das natürlich nichts.

Auch die Bezirksverwaltungen klagen, es gebe keine klaren Ansprechpartner auf Landesebene. Das Land wirft dagegen den Bezirken vor, zu blockieren.

Die schlechte Kommunikation aller beteiligten Ebenen ist ein Kernproblem. Wenn man es gemeinsam schaffen will, ist es wichtig, alle mitzunehmen. Aber wenn es nur gegenseitige Schuldzuweisungen gibt, steigen viele aus, die mit am Strang ziehen müssten.

2016 will der zuständige Senator die Flüchtlingsabteilung aus dem Lageso heraustrennen und in eine eigene Behörde fassen. Das war ursprünglich Ihre Forderung. Sind Sie nun froh?

Mein Vorschlag war, eine Behörde zu schaffen, die Bereiche der Ausländerbehörde, der Integrationsverwaltung und des Lageso zu einer zentralen Anlaufstelle für Einwanderer zusammenfasst. Mobilität ist ein Zeichen unserer Zeit. Es kommen ja nicht nur Hunderttausende nach Deutschland, es gehen ebenso viele. Diese Realität sollten wir endlich akzeptieren. Und Berlin hat diese Offenheit, dieses Potential. Der Senat will zweieinhalb Lageso-Referate zu einer neuen Behörde machen. Die soll zehn Führungskräfte bekommen, was 640.000 Euro kosten wird. Das allein ist schon unfair gegenüber den normalen Mitarbeitern, deren Zahl nicht aufgestockt wird. Gute Verwaltung geht anders.

Zur Person:
Canan Bayram wurde bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin 2011 im Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg 5 direkt gewählt. Sie ist flüchtlingspolitische Sprecherin ihrer Fraktion sowie Mitglied des Innen- und des Rechtsausschusses. Bayram ist Mitglied beim Netzwerk Berliner RechtsanwältInnen gegen Diskriminierung und im Verein zur Förderung transkultureller Pädagogik.

 

Weitere Beiträge zur Flüchtlingspolitik in Berlin finden Sie auf der Länderseite unseres Dossiers "Wie schaffen die das? Die Flüchtlingspolitik der Länder" (zur Startseite).