Widersprüchliche Wege

An der Grenze zu Nicaragua
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Grenze Nicaragua

Am 15. November 2015 schloss Nicaragua die Grenze für kubanische Migrant/innen und unterband damit den bisher tolerierten Durchzug von kubanischen Staatsbürger/innen in der Region, die die Möglichkeit der legalen Ausreise aus Kuba nach Ecuador nutzten, um auf dem Luftweg auf amerikanisches Festland zu gelangen und von dort aus ihre lange Reise zu ihrem Migrationsziel USA anzutreten. Tausende von Kubaner/innen steckten zur Jahreswende 2015/2016 an der Grenze zwischen Costa Rica und Nicaragua fest – mit den entsprechenden humanitären, politischen und diplomatischen Folgen.

Dieser Artikel wurde zwischen dem 15. Dezember 2015 und dem 4. Januar 2016 erstellt. Die letzten Aktualisierungen wurden am 16. Januar 2016 vorgenommen. Spätere Ereignisse konnten nicht mehr berücksichtigt werden.

In den letzten vier Jahren hat die Gesamtzahl an Flüchtlingen weltweit drastisch und konstant zugenommen, und Mitte 2015 betraf dieses Schicksal mehr als 60 Millionen Menschen. Heute sind Asien und Afrika die meistbetroffenen Kontinente. Ein Großteil der Flüchtenden kommt aufgrund der dort herrschenden bewaffneten Konflikte laut Statistiken des UNHCR (PDF, Seite 4) aus Syrien, Afghanistan, Burundi, der Demokratischen Republik Kongo, Mali, Somalia, Sudan und der Ukraine. Diese Personen suchen ein Refugium im subsaharischen Afrika (28 Prozent), Asien und der Pazifikregion (17 Prozent), Europa (13 Prozent), dem Mittleren Osten und Nordafrika (29 Prozent) und in Amerika (13 Prozent).

Sowohl, was die Herkunftsländer als auch die Zielregionen betrifft, bleibt Flucht im Wesentlichen eine Realität des globalen Südens.

Die lateinamerikanische Migration war im 20. Jahrhundert jahrzehntelang politisch geprägt, sei es nun – laut dem mexikanischen Soziologen Ernesto Rodríguez Chávez – Flucht aufgrund geänderter Regierungsverhältnisse durch Revolutionen (Kuba und Nicaragua) oder langer Bürgerkriege (El Salvador, Guatemala und Honduras), zeitgleich mit dem politischen Exil tausender Menschen während der Militärdiktaturen in Argentinien, Uruguay, Chile, Brasilien und vielen anderen Ländern. Zweifelsohne haben sich die Rahmenbedingungen und die Migration in Lateinamerika im 21. Jahrhundert verändert, obwohl die menschliche Mobilität als Konstante verbleibt: Mehr als 34 Millionen migrierten in Lateinamerika und der Karibik (Statistik: Anuario de migración y remesa, Mexiko, 2015), und der Korridor Mexiko-USA hat sich in den wichtigsten der neueren Geschichte verwandelt. Die südliche Erweiterung dieses Korridors erstreckt sich bis nach Zentralamerika, das – ebenso wie Mexiko – zu einer Zone für Herkunft und Transit von Migrant/innen geworden ist.

Eben dieses Gebiet, betroffen vom Erbe der (nicht)perfekten Diktaturen und (schmutzigen) Kriege, erdrückt von den aktuell höchsten Mordraten, und zernagt von systematischer Kriminalität und Korruption, wurde vor wenigen Monaten zum Schauplatz einer Migrationskrise: Nach der gewaltsamen Schließung der nicaraguanischen Grenze blieben mehr als neuntausend Kubaner/innen auf ihrer bizarren Reise einige tausend Kilometer südlich ihres erwünschten Zieles stecken. Damit blieb auch die menschliche Tragödie und der diplomatische Konflikt Sache des Südens.

Die Veränderung der kubanischen Migration

Mehr als 43.000 Kubaner/innen sind im Fiskaljahr 2015 in den USA angekommen. Nach Daten der U.S. Customs and Border Protection, – zitiert in einem Bericht der Cuban American National Foundation (CANF) – kamen die meisten dieser Immigrant/innen (etwa 31.000) über die südliche Grenze zu Mexiko in die USA.

Mit anderen Worten, mehr als 70 Prozent der kubanischen Migrant/innen durchkreuzen gegenwärtig mexikanisches Territorium, um an ihr Ziel zu gelangen. In der Vergangenheit dagegen gelangte die Mehrzahl der Migrant/innen aus Kuba auf dem Seeweg in die USA. Mexikanische Migrationsdaten bestätigen diese Veränderung der kubanischen Migrationswege: In den letzten Jahren gibt es einen reellen und relativen Zuwachs der von den Migrationsbehörden registrierten Fälle. Speziell zwischen Januar und Oktober 2015 ist in Mexiko die Menge von aufgegriffenen kubanischen Migrant/innen (9.076) im Bezug auf die Gesamtzahl (533.549) stark gestiegen.

Ein Anstieg der Migration von Kubaner/innen wird auch in Zentralamerika verzeichnet, und obwohl statistische Daten knapp (und in der Regel auch verwirrend) sind, geben verschiedene Medienberichte Hinweise. Die online-Zeitschrift Sputnik Mundo informiert, dass die Zahl von Kubaner/innen, die die südliche Grenze von Costa Rica überschreiten, in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat: kaum fünfzig in 2011, ungefähr 1.600 in 2012, annähernd 2.300 im darauffolgenden Jahr und schätzungsweise 5.400 in 2014. Bis September 2015 sollen mehr als 12.000 Kubaner/innen die Grenze zwischen Panama und Costa Rica überschritten haben. Die Zeitung El Universal behauptet sogar, dass seit 2005 mehr als 300.000 kubanische Staatsangehörige Honduras durchquert haben.

In den Medien und in den diplomatischen Kreisen ist diese Änderung bei den kubanischen Migrationsrouten – längst den zuständigen Behörden bekannt – erst letzten November nach den Zwischenfällen an der Grenze zwischen Costa Rica und Nicaragua angekommen.

Zurückzuführen ist diese Thematisierung auf ein Einreiseverbot für kubanische Migrant/innen in nicaraguanisches Staatsgebiet, das seit dem 15. November 2015 besteht und den bisher tolerierten Durchzug in der Region unterbunden hat.

Reuters informiert, dass nicaraguanische Polizeieinheiten an diesem Tag die Grenze blockierten und kubanische Migrant/innen zur Rückkehr nach Costa Rica zwangen. Presseberichte sprachen anfangs von 700 Personen und diese Zahl ist rasch gestiegen: Laut der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte (CIDH) steckten am 2. Dezember ungefähr 4.500 und zum Ende des Jahres fast 8.000 kubanische Migrant/innen in Costa Rica fest.

Am 18. Dezember kündigte die Regierung Costa Ricas unter Präsident Luis Guillermo Solis die Aussetzung der Übergabe von Transitvisa an kubanische Staatsbürger/innen an, und in der Folge hat sich auch die Anzahl von wartenden Migrant/innen in Panamá erhöht: In der letzten Dezemberwoche wurde von ungefähr 1.700 betroffenen Personen berichtet.

Historische und konjunkturelle Zusammenhänge

Zweifelsohne ist diese Migrationsdynamik in den Rahmen der historischen Asymmetrien, des Kalten Krieges und der konfliktiven Beziehungen zwischen den USA und Kuba nach dem Sturz der Diktatur von Fulgencio Batista im Jahre 1959 eingebettet. Diese Tatsache bestimmt bis 1962 eine erste Welle der Abwanderung von Personen, die dem gestürzten Regime politisch, wirtschaftlich oder militärisch nahestanden, gefolgt von einer Dekade anhaltender Migration. Es wird geschätzt, dass bis 1973 ungefähr 600.000 Menschen Kuba verlassen haben. Ihr Hauptziel war der Bundesstaat Florida in den USA.

Die meisten dieser Personen immigrierten ohne behördliche Einwanderungsverfahren und mit den Jahren stellte sich für die USA die Herausforderung einer Regelung dieser faktischen Einwohner/innen. Zu diesem Zweck verabschiedete der US-Kongress im Jahre 1966 den „Cuban Refugee Adjustment Act“, und ließ die Möglichkeit offen, dass alle in Kuba Geborenen bzw. kubanische Staatsbürger/innen, die in die USA kommen und mindestens ein Jahr im Land leben, die Daueraufenthaltsgenehmigung erlangen können. In der Praxis wurde in den Jahrzehnten von 1960 und 1970 dieses Status an mehr als 458.000 Kubaner/innen vergeben. Seither ist – mit Ausnahme eines Rückgangs in den Achtzigerjahren – eine steigende Tendenz zu verzeichnen.

Die demografischen Auswirkungen sind nicht nur in Kuba sichtbar, sondern auch in den USA, speziell in Florida: Die Volkszählung von 2010 in diesem Bundesstaat (United States Census Bureau) registrierte 1,21 Millionen Angehörige der kubanischen Gemeinschaft, was fast 70 Prozent der Kubaner/innen in den USA und mehr als 6 Prozent der Bevölkerung von Florida ausmacht. Das politische und wirtschaftliche Gewicht dieser Gemeinschaft macht sie – trotz einer großen internen Heterogenität – zu einem Machtzentrum mit vielschichtigem Einfluss in den USA und auf Kuba. Die Emigrationsgemeinschaft ist ein aktives Bindeglied in der multikausalen Selbstreproduktion der kubanischen Emigration.

In den ersten Jahrzehnten nach der Revolution war der Migrationsdynamismus in Kuba hauptsächlich politisch bestimmt. Seit Ende der Siebzigerjahre überwiegen laut Antonio Aja (Direktor des Zentrums für Demographische Studien – CEDEM – der Universität La Habana) wirtschaftliche Gründe, wenn auch nicht ausschließlich. Auch Ernesto Rodríguez Chávez stellt fest, dass sich die Migration ab den Neunzigerjahren verändert hat und seither eine Überlappung und ständige Bewegung von wirtschaftlichen, politischen, familiären und individuellen Komponenten zu verzeichnen ist. Das Wirtschaftsembargo, der Fall der Berliner Mauer und die „Spezialperiode“ (periodo especial) sind für die kubanische Bevölkerung Synonym der Krise und im imaginären Bild besteht oftmals eine direkte Beziehung zwischen „Außen“ und der Möglichkeit des wirtschaftlichen und sozialen Aufstieges. Die kubanische Soziologin Lourdes de Urrutia Barroso teilt diese Meinung und stellt fest, dass der kubanische Fall in der Gegenwart ähnliche Merkmale und Tendenzen aufweist wie andere zentralamerikanische und karibische Länder.

Diese kausale Verkettung beeinflusst die Migrationsbewegungen aus Kuba in die USA. Es ist klar, dass die Migrationspolitiken dieses Phänomen nicht unterbinden, sondern es scheint, dass verschiedene Krisenmomente (Mariel in 1980 und balseros in 1994) die Tür zu Verhandlungen und bilateralen Abkommen (1984, 1994 und 1995) öffneten und deren formelle Ergebnisse – die geordnete, sichere und legale Migration – in den Vordergrund stellen.

“…the United States will continue to issue, in conformity with United States law, immediate relative and preference immigrant visas to Cuban nationals who apply at the U.S. Interests Section and are eligible to immigrate to the United States. The United States also commits, through other provisions of United States law, to authorize and facilitate additional lawful migration to the United States from Cuba. The United States ensures that total legal migration to the United States from Cuba will be a minimum of 20,000 Cubans each year, not including immediate relatives of United States citizens.“ (U.S.-Cuba Joint Communique on Migration, New York City, September 9, 1994)

Parallel dazu waren die unilateralen Politiken der beiden Länder weitgehend widersprüchlich: Die kubanische Gesetzgebung und Migrationspolitik war größtenteils auf eine Beschränkung der Emigration ausgelegt (mit einigen spezifischen Ausnahmen), während die US- amerikanische Politik die Immigration von Kubaner/innen eher förderte. Dazu gibt es zwei rechtliche Regelungen, die gemeinhin als die der „trockenen Füße/nassen Füße“ („pies secos/pies mojados“) bekannt sind. Der Cuban Refugee Adjustment Act von 1966 sagt, dass allen Kubaner/innen, die auf dem US-Festland angetroffen werden (die also „trockene Füße“ haben), ein Visum erteilt wird. Die USA musste sich jedoch im U.S.-Cuba Joint Communique on Migration von 1994 verpflichten, jene, die auf dem (See-)Wege dorthin aufgegriffen werden (also noch mit „nassen Füßen“ ), nach Kuba zurückzuschicken.

Die Begrenztheit der legalen Mechanismen und die Widersprüchlichkeit der unilateralen Politiken haben faktisch zu einer Migration auf irregulären Wegen geführt. Dies wiederum verursachte Umlagerungen im kubanischen Migrationsmuster und einen Trend zur Nutzung/Anheuerung von professionellen Menschenschmugglern: zuerst die Bootsfahrer (boteros) auf dem Seeweg, und jetzt die Schlepper (coyotes in Zentralamerika und polleros in Mexiko) auf dem Landweg.

Paradoxerweise fließt diese Dynamik mit der kubanischen Migrationsreform von 2013 (Liberalisierung von Reisen ins Ausland), mit der Annäherung zwischen Kuba und den lateinamerikanischen Ländern und mit dem Normalisierungsprozess der Beziehungen zwischen den USA und Kuba zusammen.

“We aren't going to stop migration”; behauptet Antonio Aja in einem Interview, “it's a fact in our world. But of necessity we're changing our thinking, which is a good thing. We, and those leaving, if only temporarily, are moving away from the word "emigrant", and certainly from "exile” (In: Gail Reed, MEDICC Review, October 2015, Vol 17, No 4).

Widersprüchliche Wege

Die kubanische Migration heute bewegt sich in einem widersprüchlichen Kontext zwischen Legalität und Illegalität: Anfang und Ziel stehen im Gegensatz zum Weg. Wie gesagt erleichterten die kubanische Migrationsreform und der Wegfall der Visumspflicht in einigen lateinamerikanischen Ländern (speziell Ecuador: ohne Visa zwischen 2008 und 2015) die Ausreise von Kubaner/innen, deren erwünschtes Ziel die USA waren und sind. Seit dem 1. Dezember 2015 – infolge der Migrationskrise – verlangt die ecuadorianische Regierung wieder ein Visum von kubanischen .Staatsbürger/innen.

Zeitgleich bleiben der Cuban Refugee Adjustment Act und andere US-amerikanische Gesetzesbestimmungen (Gesetz Torricelli: Cuban Democracy Act von 1992; Gesetz Helms-Burton: Cuban Liberty and Democratic Solidarity Act von 1996, und Cuban Medical Professional Parole von 2006) rechtskräftig und bieten außergewöhnliche Garantien für kubanische Migrant/innen innerhalb des Staatsgebietes der USA. Zudem verfügt die kubanische Gemeinschaft in den USA – einschließlich der fundamentalistisch-kontrarevolutionären Gruppen – weiterhin eine starke Anziehungskraft für die Emigration von der Insel.

Dazwischen liegt jedoch der Weg durch Zentralamerika und Mexiko, für Abertausende von Migrant/innen aus verschiedenen Ländern und Kontinenten ein Weg voller Gefahren, organisierter Kriminalität, Korruption, Missbrauch, Kontrolle und Einschränkungen . Wer kann, heuert einen coyote auf dem Marsch Richtung Norden an; laut BBC „eine geölte Maschinerie, die in der Lage ist, tausende Menschen zu transportieren und die Kontrollen zu umgehen“. Aber auch eine rentable Maschinerie, die Millionen Dollar umschlägt. Die Zeitung La Nación veröffentlichte am 22. November Daten der Migrationsbehörde Panamas: Mehr als 21.000 Kubaner/innen durchquerten im Jahr 2015 das Staatsgebiet auf irregulären Wegen. Die Reise nach Norden soll nicht weniger als 5.000 US-Dollar kosten. Die Staatsanwaltschaft von Costa Rica informiert darüber, dass die kriminellen Schlepperorganisationen zwischen 7.000 und 15.000 US-Dollar pro Person verlangen. Somit könnte allein der Menschenhandel mit Kubaner/innen in der Region im Jahr 2015 zwischen 100 und 300 Millionen Dollar eingebracht haben.

Zum einen treffen die Migrant/innen auf transnationale Netzwerke, die entlang der Strecke bis Miami in einer Umgebung von Illegalität und systematischer Korruption agieren. Die Beteiligung des „kubanischen Exils“ an illegalen Netzwerken ist eine historische Realität und eine gegenwärtige Tatsache. (Am 10. November 2015 wurden in Costa Rica 12 Personen festgenommen und beschuldigt, Teil einer transnationalen Schlepperorganisation zu sein. Es handelt sich um die Aushebung einer lokalen Struktur eines flexiblen und transnationalen Netzwerkes, und laut der Zeitung El Nuevo Heraldo erstreckt sich deren Tätigkeit über Kolumbien, Guatemala, Miami, Ecuador und Costa Rica.) Es sind komplexe Machtnetzwerke, die seit Jahrzehnten im Licht (und im Schatten) von Krieg, Komplott und Drogen handeln.

Zum anderen erklärt das Washington Office on Latin America (WOLA) in einem Bericht von 2014, dass Migrant/innen auf eine schwer definierbare Grenzsicherheitspolitik stoßen, die in vielen Fällen widersprüchlich und ungleich angewandt wird. Diese Sicherheitspolitik in der Region genießt oftmals die Unterstützung der USA, speziell im Rahmen der Implementierung der Iniciativa Mérida in Mexiko seit 2008.

Routen der kubanischen Migration (2015)

Auf diese Weise stoßen die Migrant/innen – bevor sie den kubanischen Sonderstatus beanspruchen können – auf die Gefahren der widersprüchlichen Wege und verfehdeten Migrationspolitiken im US- amerikanischen „Hinterhof“, der sich in einem ständigen circulus vitiosus bewegt: steigende Migrationskontrollen und mächtigere kriminelle Netzwerke interagieren untrennbar in einem „Ende Nie“, indem sie sich gegenseitig beeinflussen, aufrechterhalten und/oder verstärken.

Doch scheint auch in Zentralamerika und Mexiko eine selektive Politik angewendet zu werden: Zwischen 2011 und 2015 wurden 88 Prozent der festgenommenen Migrant/innen (533.000) von den mexikanischen Migrationsbehörden ausgewiesen (meist in ihr Geburtsland). Im Gegensatz dazu wurden nur 12 Prozent der angehaltenen Kubaner/innen im gleichen Zeitraum zurückgewiesen. Laut der mexikanischen Zeitung La Jornada hat ein Teil der Kubaner/innen einen Asylantrag für Mexiko gestellt, aber die meisten reisten mit einem Durchreisevisum in die USA weiter.

Damit sollen regionale und weltweite repressive Migrationspolitiken natürlich nicht legitimiert werden, sondern es soll die Existenz von segregativen Praktiken und Politiken in Bezug auf menschliche Mobilität auf globaler Ebene beleuchtet werden. Besonders die USA hält hegemoniale Methoden und „doppelte Moral“ gegenüber verschiedenen Ländern und Völkern aufrecht.

In diesem Sinne hat Nicaragua am 24. November 2015 ein grundlegendes Thema im Rahmen des Zentralamerikanischen Integrationssystems (SICA) aufgezeigt: Hunderttausende bis Millionen zentralamerikanischer Migrant/innen sind – nachdem sie die Gefahren und Risiken des langen Weges überwunden haben – nach ihrer Ankunft in den USA menschenunwürdiger Verfolgung, Festnahme und Repatriierung ausgesetzt.

Mexikanische Migrationsstatistik (2002 – 2015)

* Die Jahresbericht unterscheiden zwei verschiedene Kategorien: i) festgenommen, y ii) untergebracht.
** Daten von Januar bis Oktober 2015

Doch Nicaragua hat sich gleichzeitig in ein politisch und ethisch komplexes Terrain begeben, seit die Regierung Anfang November die Grenze für kubanische Migrant/innen verschlossen hat. Die Analyse der Motive der nicaraguanischen Regierung ist ebenfalls komplex, da sehr verschiedene Faktoren diese Entscheidung beeinflusst haben könnten:

  1. Destabilisierung der kriminellen Schleppernetzwerke: Die Festnahme einer lokalen Gruppierung in Costa Rica (Teil eines transnationales Netzwerkes) kann Instabilität provoziert haben, die den „normalen/gewohnten“ Durchzug von Migrant/innen beschränkte.
  2. Konkordanz Nicaragua – Kuba: Beide Länder haben in ihren offiziellen Stellungnahmen die Illegitimität der US-amerikanischen Migrationspolitik hervorgehoben und sprachen von einer Politisierung der Migration von Seiten der USA. Definitiv hat sich die kubanische Emigration seit Dezember drastisch reduziert.
  3. USA: So wie sich die Emigration aus Kuba reduzierte, ist auch die Immigration in die USA gesunken. Direkt oder indirekt kann diese Krise Zeit für die Regierung Obamas bedeuten, speziell gegenüber hardliner-Positionen in Zeiten des Vorwahlkampfes.
  4. Konflikt Nicaragua – Costa Rica: Die härteste Rhetorik Nicaraguas richtete sich gegen Costa Rica im politischen Moment eines kurz bevorstehenden Gerichtsbeschlusses des Internationalen Gerichtshofes in Den Haag über einen Territorialkonflikt zwischen beiden Ländern. Am 16. Dezember 2015 wurde Costa Rica die Insel Portillos zugesprochen.

Aber ohne Zweifel ist diese Art von Maßnahmen – (Grenzschließung) – zeitgenössischen rechtsnationalistischen Regierungen dienlich, um Migrant/innen in globalem Maßstab zu kriminalisieren und zu stigmatisieren. Der costa-ricanische Präsident Luis Guillermo Solís wies – mit gutem Grund – darauf hin, dass die Grenzschließung gegen Menschenrechte verstößt und alle menschlichen Prinzipien und universellen Werte herabwürdigt. Angesichts des wiederholten Scheiterns der diplomatischen Maßnahmen innerhalb des SICA ist Costa Rica im Dezember 2015 aus diesem regionalen politischen Forum ausgetreten. Die Migrationskrise wurde zur diplomatischen Krise.

Mit Lösungen geht es zäh voran: In einem technischen Treffen des SICA am 28. Dezember 2015 beschlossen Guatemala, Belize, El Salvador, Honduras, Costa Rica, Panama und Mexiko ein gemeinsames Pilotprojekt zur Weiterbeförderung als mögliche Lösung für die kubanischen Migrant/innen, die auf costa-ricanischen Boden verharren (Granma, 28. Dezember 2015). Am 12. Januar 2016 startete dieses Pilotprojekt und eine erste Gruppe (180 Personen) wurde auf dem Luftweg von Costa Rica nach El Salvador gebracht, um von dort auf dem Landweg über Guatemala und Mexiko in Richtung USA weiterzureisen. Unterdessen bleibt die Unsicherheit für die restlichen fast 9.000 Kubaner/innen.

Während der Süden diese Krisen durchlebt, wälzt sich der Norden in der Selbstzufriedenheit und der Opferrolle. Das Bureau of Western Hemisphere Affairs erklärt den formellen Kompromiss der US-amerikanischen Regierung mit der sicheren, geordneten und legalen Migration im Rahmen der effektiven Implementierung der Migrationsabkommen von 1994 und 1995 und stellt fest, dass es keine Pläne zur Änderung der Migrationspolitik in Bezug auf Kuba geben werde. Das ist die Stimme der selbstbefriedigten Unbeweglichkeit in Zeiten der Normalisierung.

“The United States is committed to supporting safe, orderly, and legal migration from Cuba through the effective implementation of the 1994-95 U.S.-Cuba Migration Accords. The Administration has no plans to alter current migration policy regarding Cuba“ (Bureau of Western Hemisphere Affairs, July 21, 2015).

Gleichzeitig rufen wachsende Politkräfte – im Namen der nationalen Größe – die Ablehnung der „Anderen“ und die Grenzschließung aus. Sie präsentieren eine dichotomische Welt, in welcher nun der Norden das Opfer der Laster des Südens sei. Das sind die homophoben, ahistorischen und ausgrenzenden Schreie in Zeiten der (in)humanen Globalisierung.

“He will stop illegal immigration by building a wall on our southern border, that Mexico will pay for. We will make America great again” (Donald Trump: First TV Campaign Ad, January 04, 2016).

Auf diese Weise zeigt die Krise an der Grenze zwischen Nicaragua und Costa Rica nicht nur die widersprüchlichen Handlungsweisen in der Region auf, sondern spiegelt auch die Komplexität von Flucht und Migration auf globaler Ebene wider. Die Herausforderung stellt sich für die ganze Menschheit – und nicht nur für die Länder des Südens: historische Verantwortung, politische Bewegung und Inklusion in Zeiten der humanen Mobilität.