Schwer verfahren: Das Autobahnprojekt in Nigerias Cross River State

Drei Monate nach dem ersten Spatenstich für den Bau einer Autobahn in Nigerias Cross River State regte sich Widerstand. Die Menschen fürchten, für die entstandenen Enteignungen nicht entschädigt zu werden.

Roof top in Cross River State

Im Januar 2016, drei Monate nach dem ersten Spatenstich für den Bau einer Autobahn in Nigerias Cross River State, stellten sich knapp 50 Männer und Frauen der Ekuri Gemeinde den Planierraupen in den Weg. Sie trugen selbstgemachte Schilder und versammelten sich an einer Stelle, wo bereits eine breite Schneise in den Wald geschlagen worden war, die verhindern sollte, dass ein noch größerer Teil ihres Landes enteignet wird. Zahlreiche weitere Kundgebungen, eine von 200.000 Menschen unterschriebene Petition, und schließlich eine von der nigerianischen Bundesregierung verhängte einstweilige Verfügung, legten das Projekt zwischenzeitlich auf Eis. Dies geschah ganz zur Enttäuschung des Gouverneurs Benedict Ayade, der die mit flächendeckendem W-LAN ausgestattete und als „digitale Schnellstraße des 21. Jahrhunderts“ gepriesene Autobahn, zum größten Vermächtnis seiner Amtszeit machen wollte.

Was ist hier falsch gelaufen? Warum gibt es Widerstand gegen den Bau einer Straße, die, dem Gouverneur zufolge, für die Menschen in diesem Bundesstaat einen gewaltigen Entwicklungssprung bedeuten sollte? Gewiss könnten die Menschen in Nigeria den Bau einer Straße in ihrem infrastrukturell schwach aufgestellten Land begrüßen – erst recht in einem abgelegenen Gebieten wie dem Cross River State. Dort haben die letzten verbliebenen Regenwälder Nigerias zwar erhebliches landwirtschaftliches Potential, doch es fehlt an Infrastuktur, um die angebauten Erzeugnisse auch zu verarbeiten, zu verpacken und zu verkaufen.

Der Traum des Gouverneurs von einer Autobahn beginnt in der Bucht von Bonny in Calabar, der Hauptstadt des Bundesstaates zwischen Lagos und Duala (Kamerun), also dort, wo ein Tiefseehafen gebaut werden sollte. Von diesem Tiefseehafen aus sollte eine 260 Kilometer lange, direkt nach Norden führende Straße entstehen. Dort würde sie in das nicht besonders gute nigerianische und afrikanische Straßennetz münden, und dafür sorgen, dass Waren in den Norden des Landes und in die Nachbarstaaten Niger und Tschad gelangen. Eine gravierende Kehrseite des Projekts ist aber, dass diese Autobahn durch besiedelte Gebiete und Waldgebiete führt, von denen einige unter Schutz stehen und Teil eines Nationalparks sind.

Eine Autobahn in geschütztem Waldgebiet

Der ursprüngliche Plan sah vor, für die Straße eine Schneise von 20,4 Kilometern Breite zu schlagen, das heißt, auf jeder Seite der Straße sollten zehn Kilometer Land gerodet oder abgeräumt werden. Warum die Schneise derart gewaltige Dimensionen haben soll, wurde von offizieller Seite nie erläutert – und das, obgleich sie im Widerspruch zu Nigerias Straßenbauverordnung steht, welche neben einer geteerten Straße eine Freifläche von maximal 50 Metern Breite vorsieht. Auf Nachfragen antworteten Regierungsvertreter ausweichend oder sie verwiesen diffus auf neue Städte, die entlang der Straße entstehen sollten.

Noch bevor die Regierung des Bundesstaates im Januar 2016 Grund und Boden für das Projekt offiziell beschlagnahmte, wurde Land geräumt und Wald abgeholzt. Als die Menschen in Ekuri sich den Baumaschinen in den Weg stellten, hatten andere Gemeinden bereits erfahren, wie man ihre Höfe und Felder zerstörte – ohne offizielle Genehmigung und ohne dass zuvor der Wert der Anwesen geschätzt worden wäre. Als immer mehr Menschen hörten, wie andere um Land und Lebensunterhalt gebracht wurden, stellten sie Fragen, und die anfängliche Begeisterung für das Bauprojekt schwand.

Manche Menschen wünschen sich eine Autobahn, vorausgesetzt, sie verlieren dadurch nicht einen Großteil oder gar all ihr Land. Selbst die Leute aus Ekuri, die sich am energischsten und lautesten gegen das Projekt zur Wehr gesetzt haben, brauchen in ihrem Gebiet dringend Straßen. Was sie sich jedoch wünschen sind einfache, zweispurige Landstraßen von einigen Kilometern Länge, also Projekte, die sich innerhalb eines halben Jahres verwirklichen lassen und für welche nur sehr wenig Wald geopfert werden muss.

Insbesondere Frauen verlieren durch die Enteignung ihre Lebensgrundlage

Viele fürchten außerdem, man werde sie für die Enteignungen nicht entschädigen. Bei der Planung großer Bauprojekte sowie dann, wenn Ausgleichszahlungen festgelegt werden. Meist haben nur jene ein Mitspracherecht, die Land auch offiziell besitzen. Frauen trifft das besonders hart, denn obgleich es vor allem sie sind, die Landbau betreiben und den Waldes sorgsam für Nahrung, Medikamente und Handel nutzen, wird Landbesitz nur selten an sie vererbt. Von den ersten Räumungsaktionen waren daher vor allem Höfe betroffen, die von Frauen bestellt wurden. Ihre Anwesen waren meist kleiner und die Bäuerinnen hatten keine Grundlage, sich zu wehren.

Es gibt auch Bewohner, die keine neue Straße brauchen. Stichstraßen, die ihre Grundstücke erschließen, haben sie bereits. Was ihnen fehlt ist Strom, Wasser, medizinische Versorgung, Wirtschaftsförderung und die Gewissheit, dass bestehende Infrastruktur wie Brücken repariert und instandgehalten wird.

Die von Gouverneur Ayade offiziell veranschlagten Baukosten von 3,5 Milliarden US-Dollar erschiene für ein finanziell angeschlagenes Land sehr hoch und die Ausmaße des Projekts gewaltig – es geht um immerhin ein Viertel der Landfläche des Bundesstaates und 180 betroffene Gemeinden. Wer kann da sicherstellen, dass dieses Projekt auch zu Ende geführt – und nicht, wie viele andere Infrastrukturmaßnahmen in Nigeria, vor der Fertigstellung abgebrochen wird? Die Aussicht der Menschen, auf abgeholzten Wäldern und einer unfertigen Straße sitzen zu bleiben, schlug sowohl in den sozialen Medien wie auch bei Dorfversammlungen hohe Wellen.

Investitionen in Großprojekte zu Lasten der Umwelt

Es stellte sich die Frage, warum nicht alternativ die bestehende Bundestraße repariert (sie durchläuft den Bundesstaat in derselben Richtung) und die Anschlussstraßen zu den Siedlungen instand gesetzt werden. Dies würde der Wirtschaft vor Ort sehr helfen. Auch könnte man den Ansatz verfolgen, weite Teile des Bundesstaats mit regionalen und landesweiten Verkehrswegen zu verbinden, beispielsweise mit der Eisenbahnlinie Calabar–Lagos. So könnte – wie es sich viele Menschen wünschen – Cross River State zu einem Wirtschafts- und Verkehrsknoten entwickelt werden.

Im März 2017 gab die Regierung von Cross River State den Plan für eine 20,4 Kilometer breite Schneise auf und reduzierte diese auf nunmehr 70 Meter. An den Plänen für den Bau der Autobahn hielt sie jedoch fest und stellte der Bundesregierung barsch ein Ultimatum: Sie sollte eine bereits zweimal nicht zustandegekommene Umweltverträglichkeitsprüfung – sie ist in der Verfassung Nigerias für solche Projekte vorgeschrieben – endlich mit einem positivem Bescheid abschließen, anderenfalls werde man das Projekt auch ohne eine solche Genehmigung umsetzen.

Tiefseeträume in flachen Gewässern

Geblieben sind ernstzunehmende Zweifel, ob die Autobahn sich wirklich auszahlen wird. Eckpunkt des Businessplans ist der Güterverkehr, der vom geplanten Tiefseehafen per Lastverkehr erfolgen und für den eine Maut erhoben werden soll. Mit diesen Mitteln, soll das Projekt refinanziert werden. Der Haken daran ist: Viele Fachleute bezweifeln, dass der vorgesehene Standort überhaupt geeignet ist. Die Wassertiefe vor Ort beträgt nur sieben Meter (bei Ebbe einen Meter). Dies macht den Standort selbst für kleinere Frachtschiffe mit geringem Tiefgang ungeeignet. Ob ein Hafen dort überhaupt wettbewerbsfähig agieren kann, sei ebenfalls ungewiss.

Dabei hat Cross River State bereits einen weit unter Kapazität ausgelasteten Seehafen, der aber modernisiert werden müsste. Hinzu kommt, dass im benachbarten Bundesstaat Akwa Ibom an einem günstigeren Standort unweit von Calabar bereits der Bau eines neuen Seehafens genehmigt wurde. Ein Handelsdrehscheibe hätte durchaus gute Chancen, aber dann bleibt noch immer die Konkurrenz mit Kamerun, dass über den Hafen von Duala bereits den Tschad und Niger versorgt. Für den Ausbau zweier weiterer Hafenstandorte in Kamerun, in Kribi und Lime, fließen zudem bereits Mittel aus dem Ausland.

Ein großes Problem ist, dass es keine Transparenz gibt hinsichtlich der Finanzierung, der Identität der Projektpartner oder des Umfangs des Projekts. Um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu gewinnen, müssen Zahlen und Informationen offengelegt werden. Und es braucht einen tragfähigen Businessplan. Über ganz grundlegende Fragen des Projekts wurde nie diskutiert, noch wurden Antworten geliefert. Wer soll den Bau der Autobahn eigentlich bezahlen? Welche Einnahmen ließen sich erzielen – um einerseits die 3,5 Milliarden US-Dollar Baukosten einzuspielen und die Kosten für die Zerstörung des Waldes sowie die Ausgleichszahlungen an die enteigneten Landbesitzer und -nutzer zu decken? Wie viele Bäume müssen für den Bau gefällt werden? Welche Interessen haben die betroffenen Gemeinden? Wie teuer wäre es im Vergleich, im ganzen Staat die bestehenden Straßen zu reparieren und Zubringer zu bauen? Wie sollen die Investitionenskosten wieder eingespielt werden? Wie viele Mautstellen wird es geben?

Waghalsige Infrastrukturprojekte mit ungewissem Nutzen

Cross River State braucht dringend weitere Einnahmen, denn, nach einem Urteil des Internationalen Gerichtshof aus dem Jahr 2002, musste die zu diesem Bundesstaat gehörende Bakassi-Halbinsel an Kamerun abgetreten werden, und zudem verlor man Einnahmen aus dem Ölgeschäft an den benachbarten Bundesstaat Akwa Ibom. Der Bau der Autobahn und des Tiefseehafens wurden hierfür als Patentlösung angepriesen. Da Cross River State unter den Bundeststaaten Nigerias bei den Auslandsschulden an vierter, bei den Inlandsschulden an achter Stelle steht[1], gibt es für eine Finanzierung durch die öffentliche Hand aber so gut wie keinen Spielraum. Folglich, darauf hat der Gouverneur bereits hingewiesen, müsse die Privatwirtschaft bei diesem Projekt die Führung übernehmen.

Rechnet man aber die Posten neu durch, zeigt sich, für eine schwarze Null müssten täglich 1.000 LKWs die Autobahn benutzen und dafür im Schnitt 50 US-Dollar Maut bezahlen – und dies über einen Zeitraum von wenigstens einhundert Jahren! Selbst das aber wäre erst möglich, nachdem der Hafen in Betrieb ist. Dabei sind die Zahlen bereits sehr hoch angesetzt, transportieren doch derzeit, nach Angaben des Verbands der Fuhrunternehmer Nigerias, etwa vierhundert LKWs Container vom verkehrsreichsten Hafen im Westen in den Norden des Landes.[2] Im Hafen von Duala, in Kamerun, von wo aus der Weitertransport in den Tschad erfolgt, werden pro Tag 700 Container entladen. Hinzu kommt die Geheimniskrämerei über die Finanzierung, Umsetzung und die Partner, mit denen man arbeiten will, was es insgesamt nahezu unmöglich macht, dieses Projekt als wirtschaftlich sinnvoll zu bezeichnen.

Echte Lösungen müssen her

Manche sehen in dem Autobahnprojekt nichts als einen Vorwand, um Wald abzuholzen, und sie verweisen darauf, wie hier Tropenholz, an welches man zuvor nicht herankam, erschlossen werden soll. Selbst aber dann, wenn man glaubt, der Bau der Autobahn sei das tatsächliche Ansinnen, muss man bedenken, dass großangelegte Infrastukturmaßnahmen oft Entwicklungsziele verfolgen, die an den Interessen der Bevölkerung vorbeigehen. Dabei vertrauen die Menschen den Behörden nur wenig, denn der Staat geht sehr hemdsärmlig vor. Eine rein technische Lösung ist wenig glaubwürdig, wenn Umweltverträglichkeitsprüfungen erfolgen, ohne dass die Betroffenen gehört und wenn Gemeinden nicht über die Vor- und Nachteile bestimmter Großprojekte aufgeklärt werden, sowie wenn auf Einschüchterung gesetzt wird, um kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen.

Der überhastete Einsatz der Planierraupen – ohne abgeschlossene Umweltverträglichkeitsprüfung, ohne Anhörungen, und ohne dass die betroffenen Grundstücke im Hinblick auf zu leistende Entschädigungszahlungen bewertet worden wären – führte dazu, dass Kampagnen gegen den Bau der Autobahn Zulauf erhielten und insgesamt der Widerstand wuchs. Befremdlich war auch, dass die von der Regierung des Bundesstaates beauftragten Berater nicht in der Lage waren, Verfahrensfehler vor der dritten Anhörung für die Umweltverträglichkeitsprüfung auszuräumen, was die Öffentlichkeit nur noch skeptischer machte – nicht zuletzt, weil die Amtszeit des Gouverneurs in zwei Jahren endet, der Bau der Autobahn jedoch sechs Jahre in Anspruch nehmen würde.

Nachdem nun dreimal ohne Erfolg versucht wurde, das Plazet der nigerianischen Bundesregierung zu dem Projekt zu bekommen, bietet das gegenwärtige Patt die Chance, alternative Ansätze zu verfolgen – Ansätze, bei denen wirtschaftliche, ökologische und sozio-ökonomische Gesichtspunkte sich die Waage halten. In Nigeria sind 3,5 Milliarden US-Dollar sehr viel Geld – mehr als die Haushalte der Ministrien für Öffentliche Arbeiten, Energie, Wohnen, Verkehr, Gesundheit und Bildung zusammengenommen.[3]

Der nigerianische Staat sollte nach Entwicklung streben, die möglichst vielen Menschen zugute kommt, und er sollte dabei versuchen, Energieversorgung, Verkehrswesen und Landwirtschaft stärker zu fördern, jedoch auf eine Art und Weise, die Umweltvermögen wie die Regen- und Mangrovenwälder des Landes schützt. Unlängst hat die Bundesregierung Richtlinien für eine „Grüne Anleihe“ veröffentlicht, durch welche Kapital und Investitionen für neue sowie für bestehende Projekte mit ökologischen Komponenten eingeworben werden sollen.[4]Bedenkt man, dass sich 70 Prozent des Regenwaldes Nigerias in Cross River State befinden, sollte es Anreize genug geben, hier auf nachhaltige Entwicklung zu setzen.

 

Dieser Artikel erschien auf Englisch in unserem neuen Publikation Perspectives Africa #2/2017: "Putting People Back Into Infrastructure".

Aus dem Englischen übersetzt von Bernd Herrmann.

Quellen:

[1] Nigerian Domestic and Foriegn [sic] Debt 2016 Report, Nigerianisches Bundesamt für Statistik.

[2] Yusuf Babalola: „Importers Pay N100b Freight Charges From Lagos Ports Yearly“. Leadership Newspaper, 11. März 2017.

[3]2017 Proposed FG Budget“, BudgIT, 16. Dezember 2016.

[4] „Green Bonds“, Nigerianisches Bundesministerium für Umwelt.