Wie man die Energiefrage löst und dabei die Menschen in den Mittelpunkt stellt – Die Afrikanische Initiative für Erneuerbare Energie (AREI)

Über 600 Millionen Menschen in Afrika haben keinen dauerhaften Zugang zu Elektrizität. Dies beeinträchtigt nicht nur die Gesundheit der Menschen sowie das Bildungsniveau, es hemmt das Wirtschaftswachstum.

Environmental Learning Center in Kédougou, Kedougou, Senegal

Nach Angaben der Afrikanischen Entwicklungsbank haben über 600 Millionen Menschen in Afrika keinen dauerhaften Zugang zu Elektrizität. Daraus ergibt sich eine Zugangsrate von nur knapp über 40 Prozent – der niedrigste Wert weltweit. Der gesamte Kontinent verfügt über Kraftwerkskapazitäten von 160 Gigawatt (GW) – das ist weniger als allein in Deutschland. Die mangelhafte Verfügbarkeit von Strom beeinträchtigt nicht nur die Gesundheit der Menschen sowie das Bildungsniveau, es verteuert auch die Produktion und andere wirtschaftliche Tätigkeiten und steht damit einem stärkeren Wirtschaftswachstum im Wege.

Aus den genannten Gründen ist die Energiewirtschaft heute ein Schwerpunktthema, wenn es darum geht, die Infrastruktur in ganz Afrika zu verbessern. Mehrere internationale Programme haben es sich zum Ziel gesetzt, Afrikas Energieerzeugung deutlich zu steigern. Eines dieser Programme, die African Renewable Energy Initiative (AREI), will bis zum Jahr 2030 die Stromerzeugungskapazität im Bereich der erneuerbaren Energien auf 300 GW steigern. Diese ehrgeizige Vorgabe wurde im Dezember 2015 auf der UN-Klimakonferenz in Paris der Öffentlichkeit vorgestellt – mit dem erklärten Ziel, einen greifbaren Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, die Erzeugung fossiler Energien zurückzufahren, und eine Entwicklungsperspektive zu unterstützen, bei welcher die Menschen im Mittelpunkt stehen und die Interessen Afrikas und der dortigen Gemeinwesen entscheiden, welcher Weg eingeschlagen wird.

Die zivilgesellschaftliche Aktivistin Tasneem Essop, von der ersten Stunde an engagiert in AREI, hat sich Zeit genommen, um mit uns über dieses Programm zu reden – darüber, wie sie die Erfolgsaussichten einschätzt und welche Hürden es zu nehmen gilt.

 

Heinrich-Böll-Stiftung: Was unterscheidet AREI von anderen  Initiativen im Bereich der Energieerzeugung?

Essop: Die ursprünglichen Ziele der African Renewable Energy Initiative unterscheiden sich in mehrerlei Hinsicht deutlich von denen anderen Ansätze im Bereich der Energieerzeugung. Zum einen ist das Konzept weitgehend „Marke Eigenbau“, das heißt es hat sich entwickelt aus der Arbeit der afrikanischen Gruppe innerhalb der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen und wurde von anderen Beteiligten aus Afrika und darüber hinaus unterstützt. Anschließend wurden die Vorschläge von Beschlussorganen wie der Afrikanischen Ministerkonferenz für Umweltfragen angenommen, und schließlich machten auch die Staatsoberhäupter der Afrikanischen Union dies zu ihrer offiziellen Position – das heißt, das Programm geht auf Menschen aus Afrika zurück und wird von Menschen aus Afrika getragen.

Zum anderen will AREI – und das unterscheidet sie von anderen Initiativen – einen tiefgreifenden Wandel bewirken. Deshalb setzt sie sich für Konzepte der Stromerzeugung ein, bei denen der Mensch im Mittelpunkt steht, das heißt, für Energie die sauber ist, situationsgerecht und erschwinglich. Das bedeutet, sie versucht alles, um arme Menschen, die keinen Zugang zu den Stromnetzen haben, mit Strom zu versorgen, damit auch sie die Chance auf ein besseres Auskommen haben und sich ihre Lebensumstände insgesamt verbessern. Im Unterschied zu anderen Initiativen setzt sich AREI für eine ganz Reihe unterschiedlicher Verfahren ein, durch welche erneuerbare Energie erzeugt und auch genutzt werden kann. Dazu gehören Sonnen- und Windenergie, Wasserenergie in kleinem und kleinstem Zuschnitt und bis hin zu mittleren Dimensionen, moderne Biokraftstoffe, Geothermie und Meeresenergie – und das alles stets unter der Voraussetzung, dass die jeweilige Methode gesellschafts- und umweltverträglich ist sowie auch geschlechtersensibel. Bei AREI werden all diese Faktoren bereits dann gründlich überprüft, wenn  Projekte und Programme gesichtet werden, um zu entscheiden, welche  davon in Zukunft unterstützt werden sollen.

Der entwicklungspolitische Ansatz, den AREI verfolgt, beschränkt sich jedoch nicht darauf, Familien und Haushalte mit Strom zu versorgen, sondern kümmert sich auch darum, dass produzierende Gewerbe auf allen Ebenen gefördert werden, damit Arbeit geschaffen wird und Unternehmen und Volkswirtschaften wachsen.

Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass AREI sein Konzept im engen Zusammenspiel mit anderen Interessenvertretern in Afrika entwickelt hat, unter anderem mit der Zivilgesellschaft, der Privatwirtschaft, mit jungen Menschen und mit Frauen.

Unser Endziel ist, allen Ländern Afrikas zu helfen, indem wir Projekte auf Landesebene unterstützen, aber auch indem wir ein übergreifendes Programm haben, welches über die rein projektfixierte Arbeit hinausgeht, und welches regelt, wie wir unsere Vorhaben umsetzen.

 

Wie sehen die entsprechenden  Etappenziele aus – und welche davon sind bereits erreicht worden?

Momentan stellt AREI sein Arbeitsprogramm auf; das wird Ende des Jahres abgeschlossen sein. Dieses Jahr greift aber auch bereits Phase 2 des Arbeitsplans, die bis 2020 dauern wird. Hierbei geht es darum, Projekte und Programme auszuwählen und zu finanzieren, die dazu beitragen, dass neue Stromerzeugungskapazitäten entstehen, die erneuerbare Energie im Umfang von 10 GW liefern. In Phase 3, zwischen 2020 und 2030, sollen diese Projekte und Programme, die für einen grundlegenden Wandel stehen, dann im großen Maßstab umgesetzt werden und dazu beitragen, dass auf Ebene der einzelnen Länder bis 2030 Kapazitäten entstehen, um zusätzliche 300 GW Strom zu erzeugen.

Seit AREI im Dezember 2015 seine Arbeit aufgenommen hat, wurden unter anderem folgende Etappenziele erreicht: Eine Gruppe von zehn Geberländern hat sich verpflichtet, einen Betrag von zehn Milliarden Euro aufzubringen, den AREI benötigt, um die gesteckten Zielvorgaben umzusetzen. Zudem wurde eine unabhängige Vollzugsabteilung eingerichtet, die, nachdem die Leitung und eine Reihe technischer Positionen besetzt worden waren, nun seit August 2016 arbeitsfähig ist. Und schließlich hat AREI seinen Kriterienkatalog für die Projektauswahl und -finanzierung fertiggestellt.

 

Bislang gelang es Programmen auf Länderebene oft besser, Projekte anzustoßen – so beispielsweise in Südafrika das Programm zur Auftragsvergabe an unabhängige Produzenten erneuerbarer Energien. Welchen Mehrwert bietet in Vergleich hierzu ein multilateraler Ansatz wie ihn AREI verfolgt?

Es besteht kein Widerspruch zwischen den Programmen, die AREI verfolgt, und Plänen auf nationaler Ebene, die erneuerbare Energien  fördern wollen. Die Programme, die bestimmte Staaten jeweils verfolgen, dienen AREI oft als Grundlage für die eigenen Fördermaßnahmen – vorausgesetzt, diese Programme entsprechen den Grundsätzen, Richtlinien und Kriterien, die AREI festgelegt hat. Die Maßnahmen, die einzelne Länder ergreifen, profitieren nicht selten von Konzepten, die AREI entwickelt hat und nehmen unsere Arbeit als Vorbild. Das Programm zur Auftragsvergabe an unabhängige Produzenten erneuerbarer Energien in Südafrika ist ein Erfolg; es ist dies jedoch nur einer von vielen Ansätzen, die es zu verfolgen gilt, will man erneuerbaren Energien zum Durchbruch verhelfen.

In Südafrika haben wir es mit einem Programm zu tun, welches in erster Linie privatwirtschaftlich ist, hinter dem ausländische Firmen stehen und das, zumindest aktuell, ganz auf das nationale  Stromnetz setzt. AREI zeigt hingegen, erneuerbare Energien können auch auf anderem Wege zum Endverbraucher kommen, und davon kann Südafrika lernen. Eine dezentrale Stromversorgung, abseits des Netzes und in Regie der jeweiligen Gemeinde, dies ist ein Modell, an dem sich auch Südafrika orientieren sollte, eröffnet es doch viel größere Chancen dafür, die Wirtschaft vor Ort zu fördern, Armut zu bekämpfen und die Menschen in die Lage zu versetzen, für ihren eigenen Lebensunterhalt zu sorgen. Beschreitet man diesen Weg, dann stärkt man wahrhaft die jeweiligen Gemeinden und Gemeinschaften.

 

Wovon wird der Erfolg  der AREI Initiative abhängen?

Von Anbeginn an drängten die Vertreterinnen und Vertreter der afrikanischen Zivilgesellschaft, die beratend an der Konzeption von AREI beteiligt waren, darauf, dass diese Initiative von Afrikanerinnen und Afrikanern ausgehen und ganz und gar in afrikanischen Händen bleiben müsse. Grund dafür waren die Erfahrungen, die wir mit anderen Projekten gemacht hatten, und die entweder von Geberländern oder multilateral von Entwicklungsbanken gesteuert wurden. Die Machtverhältnisse waren bei vielen dieser Projekte unausgewogen und, in den meisten Fällen, wählten die Geber die Projekte aus, und die betroffenen Länder und Gemeinden hatten wenig oder gar kein Mitspracherecht. Für Hilfsleistungen, die nach Afrika gehen, ist das typisch. AREI will mit dieser Tradition brechen.

Leider sieht es aktuell aber so aus, als sollte dieses Vorhaben scheitern. Auf der letzten Vorstandssitzung von AREI, im März 2017, haben Frankreich und die EU-Kommission mit Hilfe zweier afrikanischer Staatsoberhäupter die Regie an sich gerissen. Konkret haben sie eine Liste von 19 Projekten vorgelegt (viele davon waren bereits im Gespäch gewesen), und diese Liste wurde vom Vorstand angenommen, ohne dass diese Projekte der AREI-üblichen Prüfung unterzogen wurden, noch darauf geachtet wurde, dass diese Projekte unter afrikanischer Regie, beziehungsweise unter der Regie der jeweiligen afrikanischen Staaten stehen. Schlimmer noch, die EU-Kommission drückte außerdem durch, dass zwei europäische Fachleute in die unabhängige Vollzugsabteilung von AREI berufen werden, wo sie den Arbeitsplan und die Umsetzung der Projekte überwachen sollen. Faktisch war dies ein Misstrauensvotum gegen die aus Afrika kommende Leitung dieser Abteilung sowie gegen die Fachleute aus Afrika, die bereits dort arbeiten.

 

Wie plant die afrikanische Zivilgesellschaft darauf zu reagieren?

In enger Abstimmung untereinander versucht die afrikanische Zivilgesellschaft momentan, sich gegen diese üblen Methoden der europäischen Geberländer zur Wehr zu setzen. Eine Petition macht augenblicklich in den Ländern und Regionen die Runde – bislang haben bereits über 200 zivilgesellschaftliche Organisationen aus Afrika unterschrieben –, und es ist geplant, diese Petition den afrikanischen Staatsoberhäuptern sowie den zuständigen Ministern vorzulegen. Ergänzt wird dies durch ein ähnliches Unterfangen, für das sich zivilgesellschaftliche Organisationen aus Europa einsetzen.

 

Wie könnte eine solche Situation in Zukunft verhindert werden?

Dieses jüngste Manöver der EU ist ein Skandal – umso mehr, wenn man bedenkt, dass dies zu einer Zeit geschieht, in der Regierungen und Zivilgesellschaft sich energisch für eine Reform des Verhältnisses zwischen Geber- und Empfängerländern und des damit verbundenen Modells von Entwicklung einsetzen. Auf einer Think-Tank-20-Konferenz, die kürzlich im Vorfeld des unter deutscher Präsidentschaft stehenden G20-Gipfels stattfand, war eine der Kernforderungen, es muss klare Verhaltensregeln für die Beziehungen zwischen Geberländern und den Empfängern in Afrika geben. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Afrika forderten nachdrücklich, dass die Befähigung Afrikas, seine eigene Entwicklung selbst in die Hand zu nehmen, stärker geachtet werden müsse. AREI sollte als Modellprojekt für diesen Ansatz stehen – aber so, wie die EU jetzt vorgeht, könnte all dies vergeblich gewesen sein.

Ich, für meinen Teil, schließe mich der Forderung der afrikanischen Zivilgesellschaft an, dass sich Europa bei AREI nicht einmischen soll, sowie der Forderung an die afrikanischen Staatsoberhäupter, den Geist von AREI zu wahren und von Neuem selbst die Zügel in die Hand zu nehmen. Die finanzielle Unterstützung dieser Initiative durch die Geberländer ist dabei kein Akt der Barmherzigkeit. Es handelt sich vielmehr um eine Verpflichtung, die in der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen festgeschrieben ist, und die durch das Übereinkommen von Paris neuerlich bestätigt wurde.

Sollte AREI so arbeiten, wie im Gründungsdokument vorgesehen, könnte diese Initiative zu einem sehr motivierenden Vorbild werden. AREI ist einfach zu wichtig – AREI darf nicht scheitern. Die afrikanische Zivilgesellschaft, die Privatwirtschaft sowie all jene, die sich die Entwicklung Afrikas auf die Fahnen geschrieben haben, müssen die aktuellen sowie alle zukünftigen Versuche Dritter abwehren, die versuchen, AREI unter ihre Kontrolle zu bekommen. Das Zeitalter Afrikas ist angebrochen.

 

Tasneem Essop ist Gründungsdirektorin der südafrikanischen Energy Democracy Initiative. Zuvor war sie beim WWF International für die Klimaarbeit verantwortlich. Sie ist außerdem Mitglied der Nationalen Planungskommission Südafrikas. Bevor sie für den WWF arbeitete, war sie in der südafrikanischen Provinz Westkap Ministerin für Umwelt, Planung und wirtschaftliche Entwicklung sowie ebendort Ministerin für Verkehrswesen, öffentliche Arbeiten und Immobilien.

Dieser Artikel erschien auf Englisch in unserem neuen Publikation Perspectives Africa #2/2017: "Putting People Back Into Infrastructure". Aus dem Englischen übersetzt von Bernd Herrmann.