Ein Jahr nach den Olympischen Spielen in Rio: Wie verdreckt ist die Guanabara-Bucht heute?

Rund ein Jahr nach den Olympischen Spielen in Brasilien sind in Rio de Janeiro die vollmundigen Versprechen um die Sanierung der verschmutzten Guanabara-Bucht immer noch nicht ansatzweise erfüllt. Eine Bestandsaufnahme.

Leere Plastikflaschen an der Guanabara-Bucht in Rio de Janeiro, Brasilien.
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Die Guanabara-Bucht in Rio de Janeiro, Brasilien. Eine Studie beurteilt die durchschnittliche Wasserqualität der Bucht auf einer Fünferskala mit dem zweitschlechtesten Wert: schwer belastetes Wasser

Aus dem Brasilianischen übersetzt von Petra Tapia.

Schläfrig blinzelt die müde Wintersonne über dem Hafengebiet von Rio. Da, plötzlich: Im dunklen Wasser der Guanabara-Bucht blitzen Rückenflossen auf, nur wenige Meter vom Pier Mauá entfernt. Wer gerade in der Fußgängerzone rund um das imposante Gebäude des „Museums von Morgen“ spazieren geht, bleibt ungläubig stehen, um dieses seltene Schauspiel zu bewundern: Nicht die hier ansässigen – inzwischen stark dezimierten – Guyanadelfine, Wappentiere der Stadt Rio, sondern eins, zwei, fünf, acht, nein, zehn Rauzahndelfine (Steno bredanensis) defilieren in Jagdformation anmutig und ganz geruhsam vorbei, wohl auf der Suche nach Meeräschen...

Mit ruhigem Flossenschlag umschwimmen die Tiere geschickt Plastikflaschen, Holzreste, Margarinebehälter und all den anderen alltäglichen Unrat, der für diesen Teil der drittgrößten Bucht Brasiliens so typisch ist. Ein gutes Omen dafür, dass – rund ein Jahr nach den Olympischen Spielen – die Guanabara-Region endlich bessere Umweltwerte aufweist?

Nichts dergleichen, versichern die Forschungen des Laboratoriums für Meeressäugetiere und Bioindikatoren (MAQUA), das in der Abteilung Ozeanographie der Universität des Bundesstaates Rio de Janeiro (UERJ) angesiedelt ist. Die Institution, die eine Reihe von Meeressäugern im Küstengebiet vor Rio beobachtet, erklärt, dass die Rauzahndelfine, durch Fischschwärme angezogen, sich hier zwar Nahrung beschaffen, jedoch der Verschmutzung vor Ort hilflos ausgeliefert sind.

Sanierungsprogramm zieht sich hin

Ein gutes Jahr nach Ende der Olympischen Spiele in Rio ist der Besuch der sympathischen Delfinart mit Sicherheit die beste Neuigkeit, was die Bucht von Guanabara angeht. Denn diese hat außer dem Zuschlag für die olympischen Surf- und Segelwettbewerbe bislang nur nichteingehaltene Sanierungsversprechen zu verzeichnen. Das großangekündigte Sanierungsprogramm zieht sich hin – wie immer.

Vom „olympischen Legat“ – den vollmundig verkündeten positiven Auswirkungen für das Gastgeberland und seine Bevölkerung – ist wenig übriggeblieben. Im Juli dieses Jahres hat sich die Landesregierung von Rio endlich bequemt, eine digitale Plattform ins Leben zu rufen und damit der Öffentlichkeit Zugang zu einer Reihe von Informationen zu geben, sowie die Möglichkeit, den Fortgang der Arbeiten des 2012 beschlossenen „Sanierungsprogramms der Einzugsgebiete der Guanabara-Bucht“ (PSAM) zu verfolgen.

Die Daten sind besorgniserregend: Der vorgesehene Ausführungszeitraum des Programms endete bereits letzten März, doch die Arbeiten erfolgen in so gemächlichem Tempo wie die Schwimmbewegungen der sympathischen Delfine. In Punkto Abwasserbehandlung kann die Metropolregion Rio de Janeiro nur mit ausgesprochen kläglichen Zahlen aufwarten; fünf Städte im Umland der Guanabara-Bucht haben hier ein Null-Wachstum: Cachoeiras de Macacu, Tanguá, Magé, São João de Meriti und Nilópolis.

Millionen in den Sand gesetzt?

Das Kernprojekt des PSAM-Programms, der Bau einer Wasseraufbereitungsanlage mit sieben Abwasserpumpwerken in Alcântara (Bezirk São Gonçalo) schreitet im Schneckentempo voran. Von dem 354,9 Millionen Reais (ca. 95,1 Millionen Euro gemäß Wechselkurs vom 18.10.2017 von 3,73) teuren Projekt sind bisher nur 48 Prozent umgesetzt.

Ein anderes bedeutendes Projekt, das von der Interamerikanischen Entwicklungsbank (BID) gefördert wird, ist der Bau eines Abwasser-Hauptsammlers für den Stadtteil Cidade Nova. Mitten im pulsierenden Zentrum der Bundeshauptstadt gelegen, soll er 163.000 Personen zugutekommen und das in die Guanabara-Bucht fließende Abwasser um 700 Liter pro Sekunde verringern.

Das mit 81,4 Millionen Reais (ca. 21,8 Millionen Euro) angesetzte Projekt beinhaltet die Verlegung eines neuen Abwasserrohrsystems zum Klärwerk von Alegria (Caju). Die neue digitale Plattform informiert, dass die Arbeiten erst zu 41 Prozent fertiggestellt sind. Wie das? Hatte doch das Umweltsekretariat von Rio vor drei Jahren die Betriebsaufnahme des Hauptsammlers Cidade Nova für Oktober 2015 angekündigt...

Programm-Mittel in Höhe von 639 Millionen US-Dollar, davon 451,9 Millionen US-Dollar BID-Finanzierung und 187,5 Millionen US-Dollar Gegenfinanzierung durch die Landesregierung von Rio, könnten in den Sand gesetzt sein, wenn sich die Bundesregierung von Brasilien als Kreditbürge nicht mit dem Bundesstaat Rio de Janeiro über die Umschuldung des Kredits einigt. Bis jetzt sieht es nicht so aus, als ob alles zu einem guten Ende käme.

Ein erster Schritt, um die Bucht zu retten

„An Siegen ist das Schlechte, dass sie nicht von Dauer sind. An Niederlagen ist das Gute, dass sie ebenfalls nicht von Dauer sind.“ Dieser Aphorismus des portugiesischen Schriftstellers José Saramago gibt uns Hoffnung: Noch kann das Ruder herumgerissen werden. Und der erste Schritt, die Bucht zu retten, ist die offizielle Anerkenntnis, dass sie heute unter immens starker Verschmutzung leidet. Und genau das hat die Regierung des Bundesstaates jetzt getan – zum ersten Mal seit Urzeiten.

Mit offiziellen Daten, schwarz auf weiß. Zusätzlich zu der genannten digitalen Plattform hat das Sekretariat für Umwelt des Bundesstaates Rio das erste Mitteilungsblatt zur Umweltgesundheit der Bucht herausgegeben, in dem sich der Alltag von 8,6 Millionen Menschen aus 16 Städten und deren Umgebung wiederspiegelt.

Die Website „Guanabara Bay Report Card, eine Art „Ökoberichtsregister“, inspiriert von der Initiative der Chesapeake-Bucht in den USA, gibt an, dass in der Region Guanabara nur 35 Prozent der Abwässer behandelt werden. Ein Schritt zur Offenheit, denn vor den Olympischen Spielen – was noch gar nicht so lang her ist – wurde von offizieller Seite noch behauptet, es wären immerhin ca. 50 Prozent.

Mitteilungsblatt: schwer belastete Wasserqualität

Das Mitteilungsblatt von Guanabara unterteilt die Bucht, in Abhängigkeit von den Gezeitenaktivitäten, in fünf Gebiete. Sehr deutlich wird das Vorhandensein verschiedener „Buchten“ aufgezeigt, die das Gewässer auf einer Fläche von 380 Quadratkilometern aufweist. So verfügt die meerseitige Mündung der Guanabara-Bucht noch über gute Badewasserqualität.

Ganz anders sieht es am anderen Ende aus, wo die – vielerlei Unrat und Dreck mit sich führenden – Flüsse der Tiefebene vor Rio de Janeiro in die Bucht münden. Dort ist die Wasserqualität schwerstbelastet. Auf einer Fünferskala, von „A“ bis „F“ – unter Auslassung des Buchstaben „E“ – wurde die Guanabara-Bucht mit dem Durchschnittswert „D“ beurteilt, dem zweitschlechtesten Wert (schwer belastetes Wasser).

Die Studie, Arbeitsergebnis einer BID-Zuwendung in Höhe von einer Million US-Dollar, wurde von 200 Spezialistinnen und Spezialisten erstellt. Die untersuchten Parameter waren: gelöster anorganischer Stickstoff, Gesamtphosphor, gelöster Sauerstoff, biologischer Sauerstoffbedarf und fäkalcoliforme Bakterien.

Ebenfalls im Juli ging eine digitale Archiv-Plattform mit Dokumenten ins Netz, die Grundlage für die Zustandsbewertung der Bucht waren. Dort sind auch Empfehlungen für einen Revitalisierungsplan zu finden. Das sind äußerst wertvolle Informationen, die noch nie zuvor veröffentlicht wurden. Zu einem Zeitpunkt, an dem der Bundesstaat Rio seinen Bankrott erklärt, ist eine regelmäßig aktualisierte Website über die Guanabara-Bucht immerhin ein gutes Zeichen.

Vernachlässigung des Umweltschutzes

Seit den Olympischen Spielen wurde der Umweltschutz im Bundesstaat Rio sträflich vernachlässigt. Inmitten einer dramatischen Finanzkrise bisher ungekannten Ausmaßes wurde nicht viel über das Guanabara-Umland gesprochen: die immer besorgniserregender werdende Herrschaft des Drogenhandels auf dem Terrain alter Mülldeponien, die vielerorts prekäre Sickerwasserbehandlung, die Industrieverschmutzung oder den harten Kampf der kleinen Fischer und Fischerinnen.

Die Diskussionen über die Privatisierung der CEDAE – der Bundesstaatlichen Wasser- und Abwassergesellschaft – bestimmten die Sanierungsszenerie. Wohlgemerkt – es waren in den Medien hochgekochte Diskussionen, die einen sehr wichtigen Aspekt außer Acht ließen: den Aufbau eines effizienten Systems zur Regulierung qualifizierter Dienstleistungen im Wasserbereich.

Entgegen dem Bundesgesetz für Sanierungsmaßnahmen (11.445/2007), das die Notwendigkeit von gesellschaftlichen Kontrollinstrumenten vorsieht, war das Vorgehen der CEDAE und anderer Sanierungsgesellschaften des Bundesstaates Rio völlig intransparent.

Widerstand ist nötig

Als zweitgrößte Wassergesellschaft Brasiliens ist die CEDAE verantwortlich für die Wasserversorgung von 64 sowie für die Abwasserentsorgung von 33 der 92 Bezirke des Bundesstaates. Aber wer die Realität insbesondere der Metropolregion Rio auch nur im Mindesten kennt, weiß, dass das Prinzip, Gebühren für nie erbrachte Dienstleistungen zu kassieren, seit Jahrzehnten praktisch Gesetz ist.

Aber dann, so schlussfolgerten die Entscheidungsträger und -trägerinnen, privatisieren wir sie doch und sichern damit vorerst der Landeskasse eine Entlastung. Unter welchen Bedingungen und zu welchen Kosten auch immer. Das mit der Bevölkerung abzustimmen, hatten sie mal eben vergessen.

Rund ein Jahr nach Olympia geht das Spiel um die Guanabara-Bucht „zurück auf Anfang“. Vielleicht können wir ja in den kommenden Jahren ohne die Euphorie der Mega-Events und mit machbaren Zielen und Transparenz mehr Treffer als Fehlschüsse landen. Die Delfine, die diesen Winter dort Präsenz zeigten, können uns jedenfalls etwas lehren: Widerstand ist nötig.

 

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Hier können Sie den Artikel auf Portugiesisch lesen.
Zum Weiterlesen: Interaktive Karte zur Wasserqualität der Guanabara-Bucht nach Gebieten bzw. nach Parametern.
Mehr Hintergrundinformationen über die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro finden Sie in unserem Dossier.