Die Golfkrise im Libanon: Kopf im Sand

Kommentar

Der ganze Nahe Osten und die Golfregion schaut derzeit nach Iran. Nur im Libanon scheint man sich nicht für den Konflikt zu interessieren.

Corniche in Beirut
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Seepromenade "Corniche" in Beirut
  1. Alle Augen in der Region sind auf dieses Geschehen gerichtet? Nicht ganz
  2. Syrische Geflüchtete sind Thema Nummer 1
  3. Handlungsoptionen
  4. Keine kohärente regionale Strategie der USA

Es ist eine banale Wahrheit: Ein Krieg zwischen den USA und Iran, ließe sich nur schwer auf diese beiden Staaten begrenzen, sofern er über provokative Luftschläge oder begrenzte militärische Angriffe hinausginge. Die Regionalmächte im Nahen Osten, inklusive solche, die einen vergleichbaren Status anstreben, sind in einem komplizierten Interessens- und Beziehungsgeflecht miteinander verbunden.

Der unilaterale Rückzug der USA aus dem multilateralen Atomabkommen, dem sogenannten Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA), hat deswegen das Potential nicht nur Iran und seine Bevölkerung, sondern die Länder des Nahen Ostens und der Golfregion in Mitleidenschaft zu ziehen. Am deutlichsten treten die Interessensverschränkungen in Syrien hervor, wo Iran mit nichtstaatlichen Milizen und militärischen Verbänden als Kriegspartei auftritt. Aber sichtbar wird dies auch im Irak, in dem starke pro-iranische Kräfte existieren, die Teile des Sicherheitsapparats dominieren. Entgegen landläufiger Meinungen scheinen sich Parteien und Bewegungen mit explizit schiitischer Identität zunehmend irakisch-national zu definieren und zeigen daher kaum Interesse, in einen weiteren Konflikt hineingezogen zu werden.

Auf der anderen Seite der regionalen Polarisierung agieren Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, die in Iran eine gefährliche Bedrohung sehen. Saudi-Arabien führt einen extrem destruktiven Krieg im Jemen mit katastrophalen humanitären Auswirkungen, unter anderem um den iranischen Einfluss dort einzugrenzen. Und natürlich Israel, das aktiv mit Militärschlägen in Syrien eingreift, um die Ausbreitung und Aufrüstung iranischer, oder pro-iranischer Kräfte zu verhindern.

Im Hinblick auf Libanon fehlt in dieser Auflistung ein zentraler Akteur: Hisbollah. Diese Organisation ist auch eine politische Partei, hat seit den letzten Parlamentswahlen im Libanon (2018) ihren politischen Einfluss erhöht und stellt Minister und offizielle Repräsentanten des Staates. Gleichzeitig ist sie jedoch eine hochgerüstete militärische Kraft, langjährige Kriegspartei in Syrien, ohne deren strategisches Eingreifen das kriegsverbrecherische Assad Regime 2012/2013 nur schwer überlebt hätte. In den USA und der EU als Terrororganisation gelistet, sieht sich Hisbollah als Teil des pro-iranischen schiitischen Projekts, aber mit starker nationaler Verwurzelung im Süden Libanons.

In dieser toxischen Konstellation gefährlich zugespitzter, sich überlagernder Konflikte scheinen alle Augen auf das Geschehen am und um den Golf gerichtet zu sein. Was passiert, wenn die nächste iranische Rakete keine Drohne, sondern ein bemanntes Flugzeug mit US-Personal trifft? Oder ein US-Angriff unverhältnismäßig hohe Opferzahlen hervorruft? Zusätzlich können andere Akteure mit gezielten Aktionen zu einer Eskalation beitragen. So fanden zeitgleich zu den Sabotageaktionen an internationalen Großtankern im Mai und Juni Raketenangriffe aus dem Jemen auf einen Flughafen in Saudi-Arabien statt. Und im Irak schlug im Mai eine Rakete in der Grünen Zone von Bagdad ein. Die Zusammenhänge mögen zufällig sein. Sie zeigen aber, dass militärische Aktionen nicht auf Iran begrenzt sein müssen.

1. Alle Augen in der Region sind auf dieses Geschehen gerichtet? Nicht ganz

Im Libanon kann man den Eindruck gewinnen, das Land habe nichts mit den Dynamiken im eigenen regionalen Umfeld zu tun. Als handele es sich um geopolitische Planspiele, deren gemeinsamer Nenner die rationale Einschätzung wäre, dass ein regionaler Krieg allen Beteiligten nur schaden könne. Ernsthafte Besorgnis wird eher lächelnd abgetan. Zwar sei jeder Libanese ein „Polit-Guru, der auf der Couch vor dem Fernseher von regionalen Medien ins Spiel gebrachte Verschwörungstheorien leidenschaftlich“ diskutiere, so ein dem Regierungsblock zugehöriger libanesischer Parlamentsabgeordneter letzte Woche bei einer Veranstaltung in Beirut. Aber diese Szenarien der Fernsehsender hätten, so die Wahrnehmung, keine Auswirkungen auf die Realität.

In Beirut ist keinerlei Nervosität sichtbar. Keine zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen, keine zivilen Notfallübungen oder ähnliche Aktivitäten, die man mit erhöhter Krisenbereitschaft in Verbindungen bringen würden. Die libanesische Regierung hält sich mit einer klaren Positionierung zurück. Zu unterschiedlich sind die Interessen ihrer Mitglieder.

2. Syrische Geflüchtete sind Thema Nummer 1

Hisbollah wäre im Fall eines, die ureigenen Interessen oder gar das Überleben des iranischen Regimes bedrohenden Konflikts, sicherlich zum Eingreifen gegen Israel gezwungen, oder dazu bereit, je nach Lesart. Die Bevölkerung des stark schiitisch geprägten Südens des Landes, das an Israel grenzt, würde die vermutlich dramatischen Konsequenzen eines Konflikts zu tragen haben. Die theoretische Möglichkeit eines Angriffs auf Israel ist als Teil der iranischen Abschreckungspolitik zu verstehen. Sie ist auf Grund der zu erwartenden hohen Kosten eines regionalen Kriegs unwahrscheinlich, aber im Fall einer ernsthaften Bedrohung des iranischen Regimes nicht auszuschließen. Im letzten direkten Konflikt zwischen Hisbollah wurde der Süden des Landes zerstört, während andere Landesteile aus dem Krieg weitgehend herausgehalten wurden.

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Und trotzdem, im Libanon scheint es momentan nur ein Thema zu geben: die Anwesenheit der syrischen Geflüchteten. Auf Regierungsseite profilieren sich populistisch agierende Politiker mit offen rassistischen Äußerungen. Sicherheitskräfte versuchen Abschiebungen nach Syrien durchzusetzen, unter Missachtung der Verfassung, wie ein Bündnis von acht libanesischen Menschenrechtsorganisationen herausgestellt hat.

Von Iran, einem regionalen Krieg, der möglicherweise das Land erfassen könnte, ist keine Rede.

3. Handlungsoptionen

Eine Rückkehr zu dem Abkommen erscheint derzeit unwahrscheinlich. Der von der EU, beziehungsweise Deutschland, Frankreich und Großbritannien vorgeschlagene alternative Handelsmechanismus, das sogenannte Instrument In Support Of Trade Exchanges (INSTEX) wurde nur halbherzig umgesetzt und hat keinerlei Wirkung gezeigt. Mit diesem System hätten europäische Firmen trotz amerikanischer Sanktionen Handelsbeziehungen mit Iran aufrechterhalten können. Darüber hinaus haben die EU und ihre Mitgliedsländer wenig Einfluss auf den weiteren Verlauf der Krise.

In der Region hat die irakische Regierung die deutlichsten Warnungen vor einer Ausdehnung des Konflikts ausgesandt. Bereits im Februar hat der irakische Präsident, Barham Saleh deutlich auf die Äußerung Donald Trumps reagiert, dass im Irak stationierte US-Truppen „auch Iran im Auge“ behalten. Irak dürfe nicht für andere Zwecke benutzt werden, so Saleh. Andere Akteure mit schiitischer Identität im Irak legen viel Wert auf ein unabhängiges, nicht pro-iranisches Erscheinungsbild. Muqtada al-Sadr, Wahlsieger der Parlamentswahl von 2018, hat sich vom Chef der pro-iranischen „Mahdi Armee“ in den 2000er Jahren zu einem Politiker mit nationaler Agenda entwickelt, der sogar Saudi-Arabien besucht hat, um Unabhängigkeit von Iran zu demonstrieren. Ziel dieser irakischen Kräfte ist es, ihr Land nicht zum Schauplatz eines großen, regionalen Krieges werden zu lassen.

Eher hinter den Kulissen versuchen andere Golfstaaten zu vermitteln. Qatar könnte auf Grund seiner Abgrenzung zu Saudi-Arabien am ehesten im Iran gehört werden. Gleichzeitig ist der Ministaat allerdings Standort der größten US-Militärbasis im Golf. Oman versucht sich ebenfalls als Mittelsmann. Das bisher wenig regional in Erscheinung getretene Land versteht seine Rolle allerdings eher als neutraler Vermittler von Botschaften zwischen den untereinander verfeindeten arabischen Golfstaaten.

4. Keine kohärente regionale Strategie der USA

In dieser Situation geraten Voraussagen leicht zu reinen Spekulationen. Die Aufkündigung des Abkommens durch die USA ist offenbar mit keiner regionalen Strategie unterfüttert. Die „Erhöhung des maximalen Drucks“ auf Iran wird sicherlich nicht zu einem Einlenken des iranischen Regimes führen, sondern möglicherweise zu einem andauernden Spannungszustand. In diesem ist eine regionale Eskalation jederzeit möglich – auch wenn sie von keinem Akteur rational gewollt wird. Zeitgleich mit diesen Entwicklungen wurde in Bahrain die zweite große US-Initiative für den Nahen Osten präsentiert, der sogenannte „Jahrhundert Deal“ zur Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts. Die bisher präsentierten und bekannten Ansätze des Gesamtpaketes sind für die meisten Beteiligten unannehmbar und tragen zu einer weiteren Verhärtung der Fronten bei.

Ein Beitrag aus unserem Dossier Spiel mit dem Feuer: USA und Iran vor einem Krieg?