Mobilität und das Land

Dokumentation

Baustelle Mobilität: Leitprojekte für die Verkehrswende
Rund 13 Millionen Deutsche pendeln jeden Tag zur Arbeit. Die Distanzen zwischen Wohnort und Arbeitsplatz werden von Jahr zu Jahr größer. Wenn die Menschen aber immer weiter fahren müssen, läge es dann nicht nahe, dass sie verstärkt mit dem Bus oder Zug fahren? Mit dieser Frage führte die Moderatorin Uta Bauer vom Deutschen Institut für Urbanistik in die Diskussion ein.

Podium: Stefan Gelbhaar, MdB, Bündnis 90/Die Grünen Tobias Kremkau, Head of Coworking, St. Oberholz Berlin Constantin Pitzen, Projektleiter, Büro autoBus Moderation: Uta Bauer, Deutsches Institut für Urbanistik (difu)
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(v.l.n.r.) Stefan Gelbhaar, MdB, Bündnis 90/Die Grünen; Constantin Pitzen, Projektleiter, Büro autoBus; Moderation: Uta Bauer, Deutsches Institut für Urbanistik (difu); Tobias Kremkau, Head of Coworking, St. Oberholz Berlin

Schließlich könne man in der Bahn oder im Bus lesen, Musik hören oder schon etwas arbeiten. Stattdessen nutzen immer mehr Menschen das Auto, weil alternative Mobilitätsangebote auf dem Land kaum vorhanden seien, so Bauer. Zur Debatte standen sehr unterschiedliche Konzepte, um diesem Dilemma beizukommen: Während Constantin Pitzen, Büro autobus, auf automatisierte Verkehre setzte, plädierte Tobias Kremkau, St. Oberholz, dafür, den Menschen an ihren Wohnorten attraktive Arbeitsmöglichkeiten zu bieten und Verkehr damit überflüssig zu machen.

Ohne Fahrer sei ein Taxi im Betrieb kostengünstiger als ein Autobus, führte Pitzen seine Thesen aus. Das automatisierte Fahren böte deshalb gerade für den ländlichen Raum das Potenzial, kostengünstige Alternativen zum eigenen Auto zu entwickeln. Dieses Potenzial gelte es schon heute aktiv aufzugreifen. Im ersten Schritt müssten in den ländlichen Räumen integrierende Taktfahrpläne entwickelt werden. Die Fahrpläne müssten einen dichten Stundentakt haben und sich an Umsteigeknoten ausrichten. Schon mit diesen Maßnahmen sei es möglich, die Mobilitätsangebote erheblich zu verbessern, ohne dass dies zu höheren Kosten für die Verkehrsbetriebe führe. Dies zeigten die Erfahrungen. Kontrovers diskutiert wurde, ob technologische Lösungen der richtige Ansatz auf dem Land sind. So sei die Uploadgeschwindigkeit zu niedrig, selbst wenn flächendeckend ein mobiles 4G-Netz vorhanden wäre. Der Aufbau eines mobilen 5G-Netzes in der Fläche läge in weiter Ferne, so Stimmen aus dem Publikum.

Pitzen sah den Staat in der Pflicht, die Mobilitätsbedürfnisse in der Fläche zu befriedigen. Er müsse im Zuge der Daseinsvorsorge auch für „abgehängte“ Dörfer ein Mindestangebot bereitstellen. Der Staat habe sich in den letzten Jahren immer stärker aus der Fläche zurückgezogen, sagte auch Stefan Gelbhaar, MdB, Bündnis 90/Die Grünen. Er verwies jedoch darauf, dass nicht nur in der Stadt die meisten Strecken mit dem Fahrrad zu bewältigen seien. Hierfür müsse allerdings vielerorts die notwendige Infrastruktur geschaffen werden.

Viele öffentliche Einrichtungen in kleineren Orten seien in den zurückliegenden Jahren durch Gemeindegebiets- und Kreisreformen verschwunden, ergänzte Tobias Kremkau. Die Entfernungen wüchsen dadurch. Er trat deshalb dafür ein, den ländlichen Raum durch Dezentralisierung zu stärken. Der digitale Wandel böte hier große Chancen. Arbeit könne heute vielfach von überall erledigt werden. An den Knotenpunkten des Städtenetzes im ländlichen Raum müssten deshalb jetzt die Voraussetzungen geschaffen werden, damit sich dort beispielsweise Coworking Spaces ansiedeln. Dazu gehörten schnelle Internetverbindungen, aber auch schnelle Verkehrsanbindungen zu den Wissenszentren. Er verwies auf das Beispiel Stendal: In der extrem dünn besiedelten Altmark gelegen, erlebe die Stadt einen ungeahnten Aufschwung, seit sie in weniger als einer Stunde mit der Bahn aus Berlin erreichbar sei. Aber auch viele Arbeitsgeber müssten noch umdenken und ihren Arbeitnehmern flexible Arbeitsmöglichkeiten bieten.

Stefan Gelbhaar sah differenzierte Mobilitätsbedürfnisse in den unterschiedlichen Raumkategorien. In den Metropolregionen und Regiopolregionen seien andere Herausforderungen zu bewältigen, als in peripheren Räumen. Dies müsse sich in unterschiedlichen Ansätzen widerspiegeln. Er mahnte die Verantwortung des Staates an, für gleichwertige Lebensverhältnisse zu sorgen. Dieser Pflicht sei der Staat in den letzten Jahren nicht mehr ausreichend nachgekommen. Das Internet, der Anschluss zum nächsten Ort sowie der Zugang zur Gesundheitsversorgung müssten auch auf dem Land schnell und sicher sein. Um das zu gewährleisten, müsse die Infrastruktur über demografische Dellen hinweg erhalten und in öffentlicher Hand verbleiben.