Neue Geschäftsmodelle!

Dokumentation

Baustelle Mobilität: Leitprojekte für die Verkehrswende
Sind digitale Plattformen, Sharing Economy und neue Mobilitätsdienstleistungen der Schlüssel für das Gelingen der Verkehrswende? Diese Frage stand im Fokus der kontrovers geführten Diskussion.

Dieter Janecek (MdB, Bündnis 90 Die Grünen), Birgit Marschall (Journalistin), Anke Herbener (CEO, Digital Changers), Prof. Dr. Justus Haucap (Duesseldorf Institute for Competition Economics (DICE)
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Podium: Dieter Janecek (MdB, Bündnis 90 Die Grünen), Birgit Marschall (Journalistin), Anke Herbener (CEO, Digital Changers), Prof. Dr. Justus Haucap (Duesseldorf Institute for Competition Economics (DICE) Foto: Stephan Röhl

Die Digitalisierung sei in der Lage, den Individualverkehr zu reduzieren, legte Anke Herbener, CEO der Agentur MRM/McCann, vor. Immer mehr Verkehrs- und Sharingangebote würden in Digitalplattformen gebündelt. Das ermögliche optimierte, individuelle Reiseplanungen für jeden Bedarf – von der Fernreise bis hin zum täglichen Weg zum Arbeitsplatz.

Auch Prof. Dr. Justus Haucap, Direktor des Duesseldorf Institute for Competition Economics, sah die großen Potenziale der neuen Mobilitätsdienstleistungen, aber auch Risiken und große Herausforderungen für die öffentliche Hand. Mobilitätsdienstleister wie Uber seien nicht nur für das Taxigewerbe, sondern auch für den klassischen ÖPNV eine ernste Konkurrenz. Dennoch rief er die Kommunen dazu auf, ihre Abwehrhaltung zu überdenken. Digitalisierung sei an sich zwar nicht ökologisch und vermeide auch keine CO2-Emissionen, aber sie böte neue Chancen. Er plädierte für mehr Mut, neue Konzepte in Reallaboren zu testen, auch wenn diese Experimente manchmal scheiterten. Die öffentliche Hand solle sich aktiv an der digitalen Vernetzung beteiligen, ergänzte Anke Herbener. Die öffentliche Hand müsse das Kooperationspotenzial digitaler Geschäftsmodelle nutzen– auch interkommunal, sagte sie. Das föderale System Deutschlands erweise sich dabei allerdings allzu oft als Hindernis.

Für die Verkehrswende wichtiger als digitale Plattformen sei eine gerechtere Aufteilung des öffentlichen Raumes unter den Verkehrsträgern, hob Dieter Janecek, MdB, Bündnis 90/Die Grünen, hervor. Ziel müsse sein, den Autobestand in den Städten zu halbieren. Dies gelänge nur, wenn dem Fahrradverkehr mehr Platz eingeräumt und der ÖPNV zugleich massiv ausgebaut werde. Anke Herbener unterstützte dies: Die öffentliche Hand müsse jetzt schnell in den Ausbau der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur investieren, um die Angebote und Taktdichten absehbar zu verbessern. Ansonsten werde der freie Markt Tatsachen schaffen, die nicht mehr ohne weiteres zurückgeholt werden könnten, warnte sie. Kein Sharing-Anbieter arbeite bislang profitabel, hielt Justus Haucap entgegen. Er machte einen harten Preiskampf als Ursache aus. Allerdings werde der Markt dies in den kommenden Jahren bereinigen, war er sich sicher.

Dieter Janecek betonte die Notwendigkeit einer staatlichen Regulierung. Er verwies auf die USA: Dort hätten die neuen Mobilitätsanbieter bereits vielerorts die ohnehin meist dürftigen ÖPNV-Angebote vom Markt verdrängt. Dies müsse in Deutschland verhindert werden. Auch Herbener mahnte zur Eile: Globale Player würden den Markt abräumen, wenn Deutschland den Markt nicht bald reguliere. Ein bundeseinheitlicher Regulierungsrahmen sei allerdings weder möglich noch sinnvoll, gab Dieter Janecek zu bedenken. Die Städte müssten beispielsweise entscheiden, welche Routen oder Stadtteile von Mobilitätsanbietern bedient werden müssen.

Auch beim Steuerrecht gebe es Regulierungsbedarf, sagte Anke Herbener. Sharingangebote könnten keine verkehrsreduzierende Wirkung entfalten, solange die Menschen sie als Zusatzangebote zu ihrem eigenen Auto ansähen, führte sie aus. Das Dienstwagenprivileg müsse deshalb steuerlich auf andere Lösungen übertragbar sein. So könnten neue Anreize geschaffen werden, statt eines Dienstwagens, neue Mobilitätsangebote zu nutzen. Zudem müsse das sogenannte Poolingverbot für Mietwagen fallen, ergänzte Professor Justus Haucap mit Blick auf die derzeitige Debatte der Novelle des Personenbeförderungsgesetzes. Dies sei eine wichtige Voraussetzung, um neue Mobilitätsangebote im ländlichen Raum zu etablieren.

Das Panel zeigte deutlich: Um die Potenziale neuer Geschäftsmodelle auszuschöpfen, muss der Staat jetzt den Rahmen setzen. Neue Geschäftsmodelle alleine werden die Verkehrswende allerdings nicht schultern können. Es sind massive Investitionen der öffentlichen Hand in den ÖPNV, aber auch ein Umdenken in der Stadtplanung vonnöten.