Berlin im Covid-19-Modus: Friedrich-Jahn-Sportpark, Prenzlauer Berg

Kolumne

Annette Maennel kennt den Jahn-Sportpark seit Ost-Zeiten. Er ist ein Platz für viele schöne Dinge des Alltags. Sie spielte dort Tennis vor dem Shutdown und nun wieder. Die Normalität kehrt langsam zurück. Es ist der letzte Text in unserer Reihe.

Tennisplatz und Bild der Autorin

Es sind die schönen Dinge des Alltags, mit denen man seine Zeit in diesem Park verbringen kann: Fußball oder Beachvolleyball spielen, Muskeln pumpen, mit Joggenden zwischen 6 und 80 Jahren Runden im Stadion laufen, Yoga dehnen, Springseil tanzen, Thai Chi zelebrieren, Tennis spielen, sich zum gemeinsamen Picknick treffen, einfach auf der Wiese liegen und den Wolken nachschauen, den Hund ausführen, auf den Liebsten warten, Kindergeburtstag mit Luftballons feiern oder manchmal sogar in den Zirkus gehen.

Eine Oase für alle mitten im Prenzlauer Berg

An manchen Wochenenden geht es laut zu, wenn Busse mit Mannschaften für Wettkämpfe anrollen, Cheerleader im Takt wippen und ihren Auftritt proben, eine Blaskapelle über den Weg tönt, die Scheinwerfer das Fußballstadion in gleißendes Licht tauchen und manch grölender Fan nicht weiß, wohin mit seiner Inbrunst.

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Den 1952 vom Architekten Rudolf Ortner gebauten Friedrich-Jahn-Sportpark muss man sich als Oase im bevölkerungsreichen Prenzlauer Berg vorstellen. Eine Insel. Als großer, lichter Fleck liegt er eingezäunt zwischen eng stehenden Mietshäusern, der oberirdisch rauschenden U-Bahnlinie 2 an der quirligen Eberswalder Straße und dem Mauerpark. Zu DDR-Zeiten spielte hier in dem Fußball- und Leichtathletikstadion u.a. auch Erich Mielkes Lieblingstruppe BFC Dynamo; die Radrennfahrer der «Internationalen Friedensfahrt» fuhren hier ihre letzten Meter ins Etappenziel. Der Park hatte immer auch glänzende Zeiten.

Der Jahn-Sportpark ist ein Volkssportpark

Heute ist der Jahn-Sportpark ein Volkssportpark. Ein Vollsportpark - er ist voll. Auch unser Verein nimmt keine Mitglieder mehr auf. Das Bezirksamt hat beschlossen, den Sportpark zu einer inklusiven Sport-und Begegnungsstätte umzubauen. Das schließt einen Abriss der Bauten inklusive des großen Stadions mit ein. Es wird ein Verfahren eröffnet mit der Frage: was wollen die Menschen, was wollen die Vereine? Das Gerangel beginnt, die ersten Gerüchte werden laut: Es soll alles anders werden, schicker, dicker, flacher, glatter, es sollen die alten Bäume fallen. Der Senat - der inzwischen das Vorhaben in seine Verantwortung übernommen hat - dementiert.

Tennis im Verein

Seit vielen Jahren spiele ich in diesem Park Tennis. In einer Mannschaft, inzwischen gereift von den «Damen» in Zeiten vor der Wende, in die «Damen 30» und nun zu den «Damen 40». Das Schöne an diesem Sport im Freien ist, dass man locker, auf Sieg oder Niederlage, mit Kraft oder Taktik spielen kann oder aber sich auch angestauter Frust und Alltagsstress in Energie für den Ball umwandeln lässt. Dann spielen wir gemeinsam Turniere, in denen wir uns mit Rat und guten Worten oder Traubenzucker unterstützen, uns im Doppel aufeinander verlassen können; weil wir wissen, was die andere tut, danach gemeinsam essen und zwischendurch plaudern. Über Gott und die Welt, über unseren Sport, über Politik, über das Leben. Das sind die Stunden und Tage auf dem Tennisplatz. Mitten im Prenzlauer Berg sind wir manchmal ganz woanders.

Zu Beginn der Saison ist auf einmal Schluss. Die Pandemie verschließt fest alle Tore des Sportparks. Für alle. Weder Spiel, noch Spaziergang, noch Bürgerbeteiligung. Es sind die schönen Dinge, die auf einmal fort sind.

Was folgt ist die Ruhe für die Vögel, Füchse, Mäuse, Eichhörnchen ...Weiter rauschen die Pappeln, biegen sich Birken im Wind, knospen die Kastanien, recken sich die Weiden, quillt der wilde Wein. Alle Tennis-Spiele werden abgesagt. Kein Yoga, kein Tanz, kein Laufen. Kein Zirkus. Wohin nur mit dem Bewegungsdrang?

Rückkehr in die Normalität

Langsam geht es wieder los. Zuerst dürfen nur Einzel gespielt werden; später dann auch Doppel. Die Umkleiden, Duschen und Toiletten bleiben geschlossen. Es wurde eine App kreiert, mit der sich jedes Vereinsmitglied aus der Ferne eine Stunde auf dem Platz zum Spielen buchen kann. Und dann bitte gleich wieder gehen. Wir sollen uns nicht begegnen. Der Park wird morgens 9:00 geöffnet und 21:00 am Abend wieder geschlossen. In den gesamten Park dürfen nur 300 Menschen hinein. Der Eingang wird bewacht. Zuerst sogar von Polizisten, um dem Ansturm der Bewegungshungrigen standzuhalten. Danach nur noch von zwei Menschen vom Wachdienst, die mit ihrer orangen Weste auf kleinen Stühlen sitzen, die Thermoskanne mit heißem Tee in Reichweite, jeden von uns zählen und mit einem Lächeln begrüßen.

Menschen stehen vor dem Eingang des Sportparks an
Anstehen vor dem Eingang des Friedrich-Jahn-Sportparks.

Wir treffen uns wieder, um zu spielen, erzählen uns über die vergangenen Wochen: Wen hatte es erwischt? Wer musste in Quarantäne? Vom großen Stillhalten und innerer Einkehr, wie so oft im Radio gehört, ist keine Rede: die meisten von uns haben wahnsinnig viel gearbeitet und keine weiß, wie es ausgehen wird. Gibt es eine zweite Welle? Gibt es dann noch Arbeit? Wie wird sich das auf die Gesellschaft, wie auf die Wirtschaft auswirken? Fragen in eine ungewisse Zukunft. Wir spielen hin und her. Lange ruhige Bälle. Erstmal wieder reinkommen. Den Rhythmus finden. Defensiv. Angreifen können wir noch nicht. Das Netz ist genauso hoch wie immer. An den Linien hat sich nichts geändert. Irgendwie tröstet uns das.

Inzwischen sind die Wachleute verschwunden. Die Tänzer sind zurück, die Läufer, die Yogis, auch die ersten Fußballer, wie schön. Nie gedacht, dass wir Euch mal vermissen würden. Der Jahn-Sport-Park ist die Lunge im Prenzlauer Berg. Denn nie ist es schöner als an einem Sonntagmorgen die ersten Bälle über das Netz zu schlagen, wenn die Kirchenglocken zum Gottesdienst läuten, der Wind mit 20 km/h über den Platz fegt und es sich wie an der Ostsee anfühlt. Dann weiß ich, dass es stimmt: Berlin liegt am Meer und ich will hier auch noch in der Seniorinnenmannschaft mitspielen, in die wir wohl reinwachsen...
 


Annette Maennel wurde 1964 in Dresden geboren. Sie leitet die Abteilung Kommunikation in der der Heinrich-Böll-Stiftung. Publiziert hat sie u.a. „Auf sie war Verlass. Frauen und Stasi“, 1998 Elefanten Press und gemeinsam herausgegeben mit Martina Hanf: Thomas Brasch: »Ich merke mich nur im Chaos« - Interviews 1976–2001, Suhrkamp, 2009


 

Über die Kolumne:
Berlin ist eine Arche. Menschen aus den verschiedensten Ländern sind in die Stadt gekommen, auf der Flucht vor unerträglichen Verhältnissen, homophoben Kleinstädten, Krieg und politischer Verfolgung oder weil sie hier einfach nur leben oder studieren wollen bzw. Arbeit gefunden haben. Berliner:innen sind so vielfältig wie ihre Herkünfte. So entstanden und entstehen in der Stadt die verschiedensten Communitys, manche abgeschottet, andere offen. Durch die Coronakrise kommt uns derzeit das laute, Tag und Nacht lebendige Berlin wie ein Ort aus ferner Zeit vor.

In der Kolumne erzählen Frauen über ihr Berlin und wie sich ihr Verhältnis während des Lockdowns und der Zeit danach zur Stadt und speziell zu ihren Lieblingsorten verändert. Die Schriftstellerin Annett Gröschner kuratiert gemeinsam mit Annette Maennel die Reihe.