Queere Community in Südafrika – „Ich bin Feminismus!“

Interview

Auch in der queeren Community kommt es zu Ausgrenzungen und Verteilungskämpfen. Dabei spielt Klasse genauso eine Rolle wie Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit. Schwarze Trans*frauen aus ländlichen Gebieten, die häufig arm sind, werden besonders diskriminiert. Auch die queere Community selbst muss sich also  mit den eigenen verinnerlichten Vorurteilen, verzerrten Wahrnehmungen und Ausgrenzungen befassen. Ein Gespräch mit Seoketsi Mooketsi (Seopowerr).

Portrait/Grafik - Seoketsi Mooketsi (Seopowerr)

Das Interview führte Claudia Simons, Referentin für Afrika in der Heinrich-Böll-Stiftung.

Du trittst als eine sehr direkte und engagierte Aktivistin und Rednerin auf, insbesondere in den sozialen Medien. Was für Erfahrungen hast du gemacht, wenn du dich so öffentlich sichtbar zeigst?

Seopowerr: Wenn man in Südafrika offen zu seiner Identität steht, insbesondere zur Geschlechtsidentität, begegnet einem eine Menge Gewalt. Ich arbeite viel mit Sichtbarmachung und „guckt her“, doch gleichzeitig zieht diese Art der Arbeit viel Gewalt an, die sich gegen meinen Körper richtet. Ich bewege mich also ständig in diesem Bereich, wo ich mich fragen muss: wird mir auch nichts zustoßen? Werde ich unversehrt und als Ganzes, so wie ich jetzt bin, nach Hause kommen? Oder werde ich als Leiche zurückkehren? Denn das ist genau das, was im südlichen Teil Afrikas passiert. Wenn du offen bist und zu dir selbst stehst, stößt das auf sehr viel Ablehnung, gewalttätige Ablehnung. Deshalb... ist es eine ganz schön harte Arbeit.

Erfährst du das auch innerhalb der queeren Community und mit deinen verbündeten Personen oder und  Organisationen, die sich für LGBTIQ-Rechte einsetzen?

Seopowerr: Absolut. Die Ausbeutung und der „tokenism“ sowie die Enteignung nicht nur von Geldern und Ressourcen, sondern insbesondere von Körpern, setzen sich auch innerhalb unserer eigenen Arbeit fort. Wir sind diejenigen, die Inklusion und Intersektionalität hochhalten, aber wir sind auch diejenigen, die Gewalt anwenden, und wir internalisieren diese Gewalt untereinander. In queeren Räumen gibt es viele Ausgrenzungen. Statt dass wir uns explizit mit systematischer Unterdrückung, systematischen Störungen und ständigen Ausgrenzungen in unserem eigenen Bereich auseinandersetzen, konzentrieren wir uns lieber auf Kulturen der Gewalt und Diskriminierung außerhalb unserer eigenen community. Aber selbst in unseren eigenen Kreisen gibt es diese Diskriminierung. Wenn du nicht eine bestimmte Sprache, mit einem bestimmten Akzent, in einem bestimmten Tonfall sprichst - das gilt insbesondere für Englisch-, wenn du nicht Zulu oder Xhosa bist, halten sie dich nicht für clever genug und verteufeln dich als dumme Analphabetin, als ungebildete Person. Wir müssen auch weiterhin gegen all diese -ismen ankämpfen, die mit Privilegien, den persönlichen finanziellen Verhältnissen, deiner race, deinem Alter, deiner Geschlechtsidentität und Sexualität einhergehen. Und in queeren Räumen gibt es allerhand Klassismus. Finanziell sind Schwarze Trans*frauen immer noch die Gruppe mit der wenigsten Macht im LGBTIQ+-Spektrum. Es kommt vor, dass andere Aktivist*innen deine Arbeit nutzen und dich nicht ausreichend dafür bezahlen. Und dann darfst du noch nicht einmal einwenden, dass du arm bist. Dauernd wird über freie Meinungsäußerung geredet, aber wenn du dann tatsächlich deine Meinung sagst und darüber sprichst, wie wichtig Freiheit in Echtzeit, im wirklichen Leben, für eine Schwarze, arme südafrikanische Trans*frau vom Land ist, tun sie dich ab als wärst du komplett unmöglich. Du kannst deiner persönlichen politischen Erfahrung nicht wirklich Ausdruck verleihen. Das ist ihnen zu viel des Guten. In unserer queeren, trans*, nicht-binären südafrikanischen Community bin ich am stärksten marginalisiert. Wir arbeiten zwar hart daran, aber da gibt es noch immer eine Kultur des Unsichtbarmachens. .

Es gibt also eine vorgefasste Ansicht davon, was es heißt, „Frau“ zu sein, wie Queerness auszusehen hat, wie Probleme angegangen werden sollten usw?

Seopowerr: Ja. Sowohl innerhalb der Community als auch unter den Verbündeten. Verbündete sind in dieser Hinsicht sehr problematisch, weil sie vorgeben, dich zu verstehen, aber wenn du echt kritisch und radikal bist, wenn du wirklich all das in den Diskurs mit einbringen willst, schmeißen sie dich raus. In Südafrika leben wir in einem weißen monopolistischen kapitalistischen System. Darin gibt es auch ein weißes monopolistisches System von Verbündeten, wobei die Verbündeten der Meinung sind, dass ihre Arbeit wichtiger sei als deine, und ihre Interpretationen von Queerness, Weiblichkeit usw. relevanter seien. Die Leute, die uns ständig sagen, dass wir an die Arbeit gehen sollen, sind die gleichen, die bei dieser Arbeit zu Kontrolleuren und Moralisten werden. Da ist ein totaler Widerspruch.

Aber ich vertrete nicht nur mich hier. Ich vertrete die am stärksten marginalisierte, unterprivilegierte Community, die vom cis-heteronormativen System fortwährend entmachtet wird. Doch das System, gegen das wir kämpfen, ist das gleiche System, das die Leute jetzt gegen mich verwenden. Wo kann ich also authentisch und in Fülle ich selbst sein, ohne selbst von meinen eigenen Leuten kontrolliert zu werden?

Welche Bedeutung hat Feminismus für dich vor diesem Hintergrund?

Seopowerr: Der Feminismus ist für mich eine Daseinsform. Es ist kein Konstrukt oder Konzept. Es geht dabei ums Leben selbst und wie ich mich darin bewege. Er bedeutet für mich auch, mich ins Zentrum zu setzen. Im afrikanischen Kontext findet die Realität Schwarzer Frauen selten Gehör, insbesondere die Realität Schwarzer Trans*frauen. Feminismus bedeutet aber auch Überlebenskampf, wenn mir bewusst wird, dass für meine persönliche Realität kein Platz ist, selbst in sogenannten feministischen Räumen. Den Leuten geht es darum, wer feministischer und wer weniger feministisch ist -- diese ganze Wettbewerbskultur. Das ist für mich kein Feminismus. Es geht für mich dabei nicht um eine Gruppe von Menschen, es geht nicht um ein Konstrukt oder ein Konzept, es geht nicht darum, dass einige die Entscheidungsgewalt über Identitäten für sich beanspruchen. Es geht um mich. Ich bin Feminismus. Feminismus ist Leben. Und damit meine ich einen Feminismus von 360 °, , er ist inklusiv, er ist trans*inklusiv und er schließt auch Menschen wie meine Großmutter mit ein, die jeden Morgen um 4 Uhr aufgestanden ist, um dafür zu sorgen, dass es uns Kindern gut ging.

In wie weit hängt deine Vorstellung von Aktivismus damit zusammen?

Seopowerr: Aktivismus spiegelt definitiv meinen Feminismus wider und ist Teil des Feminismus und meiner Lebensweise. Aber viele Menschen haben vorgefasste Meinungen darüber, wie feministischer Aktivismus auszusehen hat; er spiegelt mehr oder minder unsere Gesellschaftsnormen im Allgemeinen wider: wie du sprichst, wie du mit anderen umgehst, was du veröffentlichst. Und diese Form des Aktivismus geht oft mit einer Menge Gewalt einher. Die Leute meinen, der Aktivismus habe mich gerettet, aber tatsächlich hat er mich in große Gefahr gebracht. Was mich rettet, ist meine persönliche feministische Lebensweise.

Wenn ich von Feminismus als Lebensstil spreche, meine ich damit, dass ich daran glaube, dass ich genauso viel wert bin wie andere, dass wir alle gleich sind, unabhängig von Identität oder Sexualität und es bedeutet für mich, dass mir meine Großmutter genau das sagt, dass wir gleich sind – all das ist Feminismus. Und dann wird es für mich zur Praxis, zu wissen, dass ich genauso viel wert bin wie andere und auf dieser Grundlage zu handeln, aber es ist nicht unbedingt das, was die meisten als Aktivismus bezeichnen würden. Es ist nichts, was man dich in einer weißen Institution lehren würde.

Also habe ich einen Weg finden müssen, um zu verlernen und neu zu lernen, wie Feminismus und Aktivismus aussehen könnten, die nicht von weißen Menschen oder von Schwarzen und weißen cis-Frauen beeinflusst sind. Ich musste mir den Feminismus als einen Weg der Heilung vorstellen, ein Werkzeug, um für mich selbst Platz zu schaffen, nicht für sonst irgendwen. Dieser Feminismus hat mich beschützt, sodass ich immer noch im Hintergrund sein und immer noch zu der Sache beitragen kann, ohne wirklich  ungeschützt  zu sein, ohne meinen Körper als Zeichen der Verwundbarkeit, als Zeichen der Ausbeutung vorzuzeigen, was jedes Mal der Fall ist, wenn du als Aktivistin die am stärksten ausgegrenzte Community repräsentierst. Deshalb wäre ich wirklich viel lieber keine Aktivistin. Ich wäre wirklich lieber nur Feministin.

Es gibt wahrscheinlich viele Leute, die dich zum Aktivismus drängen wollen - zu einer vorgefassten Version von Aktivismus?

Seopowerr: Die Leute erwarten von mir, dass ich meinen Körper einsetze. Wenn dein Aktivismus nicht darin besteht, dass du deinen Körper ins Spiel bringst, dann ist es für sie ein fragwürdiger Aktivismus. So als wärst du ein Stück Fleisch. Sie betrachten dich als nettes knuspriges Hühnchen. Und dann knabbern sie an dir, bis nur noch die Knochen übrig sind. Und selbst daran knabbern sie noch. Aber was sie stattdessen tun sollten, sie sollten das Fleisch nehmen und es für kommende Generationen aufheben. Damit meine ich, anstatt von dir zu verlangen, dass du deinen Körper aufs Spiel setzt und zu Facebook gehst und eine Abhandlung schreibst oder einen Abriss über dein Leben lieferst, sollten wir uns alle mal zusammen setzen und uns mit unseren eigenen verinnerlichten Vorurteilen, verzerrten Wahrnehmungen und Ausgrenzungen befassen. Wir sollten Türen öffnen, Räume für Schwarze, arme Trans*frauen vom Land schaffen, Leuten Jobs verschaffen, aber auch z.B. Leute in Gesundheitseinrichtungen arbeiten lassen, die die schlimme Lage der Schwarzen Trans*frauen auf dem Land wirklich verstehen und etwas daran ändern können. Wir sollten nicht mich und andere, die ich vertrete, dazu auffordern unsere Körper für eine vorgefasste Idee des feministischen Kampfes aufs Spiel zu setzen.

Ich will nicht länger jemandes Kerze sein, weil ich es leid bin, jemandes Kerze zu sein; am Ende des Tages bin ich es, die ausgebrannt ist. Ich bin diejenige, die fertig ist. Ich bin dieser Knochen, auf dem rumgekaut und der am Ende ausgespuckt wird.

Deshalb besteht mein Aktivismus jetzt darin, mich selbst zu dokumentieren und meine Dokumentation ist ganz bewusst selbstsüchtig - ich habe begriffen, dass mein Körper unendlich revolutionär ist, jenseits von Geschichte, jenseits von Mann, jenseits von Frau. Und ich bringe nicht mehr nur meine Arbeitskraft ein und hoffe darauf, dass jemand kommt und mich rettet. Ich habe verstanden, dass ich hier bin, um mich selbst zu retten, und dass es ein politischer Akt ist, mich selbst zu retten. Jeder meiner Atemzüge ist ein politischer Akt.

Unter Aktivismus stellt man sich oftmals etwas Extrovertiertes vor, bei dem es um andere geht. Es geht nicht nur darum, man selbst zu sein – das bloße Dasein genügt nicht, auch wenn deine Existenz allein schon das System erschüttert.

Seopowerr: Zu begreifen, dass ich keine Perücke tragen muss, um als Aktivistin zu gelten, genauso wie ich keine Wimpern ankleben muss, um eine Frau zu sein, hat etwas Befreiendes. Ich lerne bewusst, dass es in Ordnung ist, sich am Montag als cis-Mann, am Mittwoch als cis-Frau und am Freitag als Trans*frau zu präsentieren – also zumindest als das, was die Welt da draußen als cis-Frau, cis-Mann und Trans*Frau bezeichnen würde. Uns wurde beigebracht zu wissen, wo wir die Grenze ziehen sollen, aber niemand hat uns beigebracht, wann wir die Grenze nicht ziehen sollen. Wenn ich mich entscheide, keine Perücke zu tragen, bin ich immer noch die Schwarze Trans*frau vom Land, selbst wenn ich nicht meine Muttersprache spreche. Ich bin immer noch trans*, auch wenn ich keinen Lippenstift trage. Wenn ich mich dazu entscheide, mein Leben ohne angeklebte Wimpern und Augenbrauen und ohne diese aufgekratzte Stimmung zu leben, ist das auch Aktivismus. Weil mich jemand am Taxistand oder auf der Straße beobachten und feststellen könnte: „Damit kann ich mich identifizieren, denn das ist authentisch, das ist Aktivismus.“ Wenn Aktivismus allerdings von einem sehr hetero-normativen, cis-patriarchalen Verständnis des Lebens kontrolliert und verstanden wird, ist das beschissen.

Was du da sagst erinnert mich an Marsha P. Johnson, die im Prinzip gesagt hat: „Sieh doch mal, ich kann im Kleid ausgehen oder ich kann in Jeans und Pullover ausgehen und ich bin immer noch dieselbe Person.“ Gibt es Menschen wie Marsha, berühmte Persönlichkeiten oder jemanden aus deinem Umfeld, die dich bei deiner Arbeit inspiriert haben?

Seopowerr: Marsha P. Johnson war eine bemerkenswerte Trans*aktivistin, die bei dem Stonewall-Aufstand den ersten Stein geworfen hat, es allen mal gründlich gezeigt und verkündet hat: „Jetzt reichts“. Ich bin dabei! Ich bin eine junge Marsha P. Johnson, nur weniger sichtbar, weil ich Afrikanerin bin. Ich bin eine junge Audre Lorde, ich bin eine junge bell hooks, ich bin eine junge Winnie Madikizela. Ich bin eine junge Dr. Beverley Ditsie. Diese Leute haben mich gerettet. Sie sind auch weiterhin meine Rettung. Und ich bin auch denjenigen, die ich jetzt nicht erwähnt habe, unendlich dankbar, denn wir vergessen all die Leute nicht, die ernsthaft zu unserem Wachsen und Gedeihen beigetragen haben.

Wie begegnest du all der Gewalt, die du beschreibst, innerhalb der Gesellschaft insgesamt, aber auch innerhalb der queeren Community, dieser unverhohlenen Ungerechtigkeit, die dich umgibt?

Seopowerr: Mir bleibt nichts anderes übrig, als stark zu bleiben. Mir ist klar, dass ich nicht die gleichen Privilegien habe, wie andere. Ich muss mir selbst als Informationsbasis dienen und meine Bestätigung aus mir selbst herausziehen. Ich muss mir ständig vor Augen halten, dass es für mich wichtig ist, mich selbst zu erfinden, ein Selbst, das sowohl in die Annalen der Frauengeschichte (her-story) als auch der allgemeinen Geschichtsschreibung eingehen wird. Wie auch immer das dann aussehen mag, was auch immer es bedeuten mag, ich muss es tun und tue es bewusst. Dieses Verständnis gibt mir Kraft. Zu verstehen, dass mein Atem, mein Herz wertvoll sind und dass das Gedenken an mich nicht einfach ausgelöscht wird. Mein Selbstverständnis ist radikal, mein gesamtes Dasein ist revolutionär. Manchmal frage ich mich wirklich, woher diese Kraft kommt, aber mir ist klar, dass ich stark bin und ich erachte es als Privileg, dass ich diese Kraft mit der Welt teilen kann. Ebenso wichtig ist es mir, nicht im Hass, in der negativen Energie zu verharren – z.B. indem ich vom Tisch aufstehe, mich meinem Umfeld entziehe, wenn es erdrückend auf mich wirkt. Für mich selbst einzustehen, ist das, was mich letztendlich gerettet hat. Und indem ich meine spezifischen Privilegien wahrnehme, kann ich andere erreichen, kann ich mich in bestimmten Bereichen bewegen. Ich unterrichte auch Leute, die methodisch ungebildet, arbeitslos und vom System benachteiligt sind, bringe ihnen bei, dass sie die Rosen zwischen den Dornen sind, dass jeder Tag ein Tag des Kampfes ist, aber dass es besser werden wird und dass es in Ordnung ist, nicht in Ordnung zu sein. Das sage ich meinen Freund*innen immer wieder: Bleibt dran. Fordert euch selbst. Versteht, dass ihr reich seid. Versteht euren Reichtum, nicht im finanziellem Sinne, sondern dass ihr und eure Körper euer Reichtum seid.