China: Reproduktive Rechte gesetzlich geschützt

Interview

In China sind reproduktive Rechte gesetzlich verankert. Wie ist der Zugang für Jugendliche, welche Rolle spielt Technologie und welche Herausforderungen gibt es? Interview mit Guo Min.

Frauen in der U-Bahn

Guo Min ist Referentin für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit, Marie Stopes China Representative Office

Laut dem "Gesetz zum Schutz der Rechte und Interessen von Frauen" und dem "Gesetz zur Bevölkerungs- und Familienplanung" sind die reproduktiven Rechte und die Gesundheit chinesischer Frauen gesetzlich geschützt. Jede Provinz hat ihre eigenen Familienplanungsrichtlinien und stellen reproduktive Gesundheitsdienste für verheiratete Frauen im gebärfähigen Alter bereit. Jugendliche im Alter zwischen 13 und 24 Jahren, insbesondere Migrant*innen, die im informellen Sektor arbeiten, haben im Gegensatz dazu kaum adäquaten Zugang zu medizinischer Versorgung, wenn sie eine Abtreibung vornehmen lassen wollen; diese Gruppe wartet immer noch auf staatliche Unterstützung. Laut der Nationalen Gesundheitskommission wurden 2018 rund 9 Millionen Abtreibungen in China durchgeführt, worunter ledige Frauen besonders stark repräsentiert waren. 

Als Organisation, die sich der Bereitstellung von Dienstleistungen im Bereich der reproduktiven Gesundheit widmet, ist Marie Stope seit über 20 Jahren in China tätig. Gou Min ist schon lange bei der Organisation tätig und leitete früher das You and Me Health Service Center in Nanning. Sie teilte ihre Beobachtungen und Vorschläge über die aktuelle Entwicklung und die Herausforderungen des reproduktiven Gesundheitsdienstes für Jugendliche in China. 

Zhang Rou: Wie können junge Erwachsene Informationen und Dienstleistungen im Bereich reproduktive Gesundheit bekommen?

Guo Min: Normalerweise wenden sich junge Menschen ans Internet, um Informationen, Rat und Hilfe zu suchen, vor allem nutzen sie die offizielle Internetseite von Krankenhäusern und mobile Gesundheits-Apps. Um sich persönlich beraten zu lassen, können Schüler*innen zum*zur* Schulärzt*in und Arbeiter*innen zum*zur* Betriebsärzt*in gehen. Migrant*innen können sich an lokale medizinische Einrichtungen der Gemeinde wenden. Dienstleistungen im Bereich der reproduktiven Gesundheit, die von formalen medizinischen Einrichtungen angeboten werden, sind relativ gut verfügbar. Es gibt jedoch wenige Einrichtungen, die sich explizit an die Bedürfnisse von Jugendlichen richten.

Wie wird die reproduktive Gesundheit durch das Gesetz gewährleistet? Unter welchen Bedingungen kann eine Frau entscheiden, ihre Schwangerschaft abzubrechen? 

Das Gesetz schützt die reproduktive Gesundheit eines jeden*r* Bürger*in. Für verheiratete Frauen im gebärfähigen Alter gibt es ziemlich umfassende Richtlinien, um die Gesundheitsbedürfnisse in den verschiedenen Lebenszyklen zu gewährleisten. Reproduktive Gesundheit ist Teil der Sexualerziehung für Jugendliche, die in den letzten Jahren stärker gefördert wurde. Das überarbeitete Jugendschutzgesetz (2021.06) wird erstmals Sexualpädagogik als gesetzlich geschützten Bildungsinhalt aufnehmen.

Gesetzlich können Frauen über 18 Jahren Abtreibungsdienste in öffentlichen Krankenhäusern mit voller Autonomie wählen, während Minderjährige die Zustimmung ihrer Erziehungsberechtigten benötigen. In China gilt ein Verbot zur Identifizierung des fötalen Geschlechts für nicht-medizinische Zwecke und geschlechtsselektive Abtreibung. Die in den letzten Jahren eingeführten Richtlinien fokussieren sich auf die Bereitstellung von Abtreibungsdiensten und Verhütungsmitteln. Ziel ist es, ein System von Dienstleistungen im Bereich der reproduktiven Gesundheit aufzubauen, das Frauen dabei unterstützt, eine strategische Entscheidung für oder gegen das Kind zu treffen, die ihrer physischen und psychischen Gesundheit langfristig guttut. Ein Beispiel hierfür ist das Programm "Post-Abortion Contraceptive Services Specification (2018 Edition)", das eine Leitlinie zur Bereitstellung von Verhütungsmitteln nach einem Schwangerschaftsabbruch ist, um weitere ungewünschte Schwangerschaften zu verhindern.

Wovon ist der Zugang zu reproduktiven Gesundheitsdiensten abhängig?

In China stellen das Einkommen, der Bildungsstand und der Wohnort, als auch die diverse geografische und multiethnische Bevölkerungszusammensetzung Herausforderungen für einen gleichberechtigten Zugang zu reproduktiven Gesundheitsdiensten dar. Spezifisch auf Jugendliche zugeschnittene Dienstleistungen sind bis heute nicht ausreichend vorhanden. Außerdem spielt es eine Rolle, inwieweit jemand Wissen durch Sexualerziehung erhalten hat, um eine bewusste Entscheidung zu treffen. Mittlerweile sind Jugendliche größtenteils in der Lage, medizinische Dienste ausfindig zu machen und in Anspruch zu nehmen.

In unserer Arbeit mit mobilen jungen Menschen zeigt sich auch, dass Vertrauen in die Gesundheitsdienstleister ihre Entscheidung beeinflussen kann. Daher kann es hilfreich sein, wenn Vereine oder Organisationen, die jungen Erwachsenen nahestehen, oder deren Freunde und Verwandte sie ermutigen, sich medizinische Hilfe zu suchen. Die gesellschaftliche Toleranz, z. B. gegenüber außerehelichen Schwangerschaften und Abtreibungen, als auch die moralische Einstellung des Gesundheitspersonals ist für die Inanspruchnahme von Abtreibungsdiensten für Jugendliche von großer Bedeutung. 

Basierend auf Ihren täglichen Erfahrungen, was ist Ihre Empfehlung für einen gleichberechtigten Zugang zu reproduktiven Gesundheitsdiensten für Jugendliche?

Zunächst sollte der standardisierte Lehrplan für Sexualkunde in das reguläre Bildungssystem integriert werden. Wir betonen immer, wie wichtig die Sexualpädagogik ist und setzen uns für präventive Maßnahmen ein, um ungewollte Schwangerschaften zu reduzieren und gesundheitliche Schäden durch unsichere Abtreibungen zu vermeiden. Zweitens sollte es in bestehenden Gesundheitseinrichtungen zielgerichtete Beratungsangebote geben, die ausdrücklich auf die Bedürfnisse von Jugendliche zugeschnitten sind. Drittens sollten große staatliche Gesundheitsprogramme die besonderen Bedürfnisse von Minderjährigen mitberücksichtigen, anstatt sie wie alle anderen Bevölkerungsgruppen zu behandeln. Verheiratete Frauen und werdende Mütter profitieren von einer kostenlosen Versorgung mit Verhütungsmitteln und einer Mutterschaftsversicherung, und diese Maßnahmen sollten auch für Jugendliche zugänglich gemacht werden. Schließlich sollten wir ein positives soziales Klima schaffen, in dem Jugendliche an Sexualkunde und reproduktiven Gesundheitsdiensten ohne Stigma teilhaben können. Junge Menschen sollten in den Aufbau solcher Dienste mit einbezogen werden und dabei angemessenen Respekt für ihre Arbeit bekommen. Dies könnte als Pilotprojekt in dichtbesiedelten Städten anfangen und schrittweise in das gesamte Gesundheitssystem integriert werden.

Wie hat sich COVID-19 auf den Zugang von Jugendlichen zu Diensten der reproduktiven Gesundheit ausgewirkt? 

COVID-19 hat sich nicht besonders auf den Zugang zu medizinischen Dienstleistungen ausgewirkt, da die Technologien für Online-Behandlungen und -Beratungen bereits weit entwickelt sind und Jugendliche an die Beratung über das Internet gewöhnt sind. Die Behandlung kann online erfolgen oder man vereinbart im Voraus einen Termin. Für Notfälle haben viele Krankenhäuser besondere Abteilungen eingerichtet, um Menschen während der Pandemie behandeln zu können. Die Organisation, mit der ich zusammenarbeite, bietet auch schon seit einigen Jahren Dienstleistungen durch Online-Kurse und Online-Beratungen an, sodass es keine wirklich gravierenden Einschränkungen durch die Pandemie gab. 

Deutsche Übersetzung von Caroline Bertram.