Lockdown in Israel: "Kaltes Wasser"

Analyse

Der erste Lockdown in Israel begann im März 2020. Die Schriftstellerin Maayan Eitan blickt ernüchtert zurück auf ihren Alltag in Tel Aviv.

Ein Pavillon mit Fitnessgeräten in einem Park, davor ein Schild mit hebräischer Aufschrift
Teaser Bild Untertitel
Ein geschlossener Park in Tel Aviv während der Covid-19-Pandemie im März 2020

In the end, the water was too cold for us (Robert Lowell, „Water“)

Den ganzen ersten Lockdown über haben wir gestritten. Er hat sich um den Garten unserer Erdgeschosswohnung im Tel Aviver Osten gekümmert. Hat umgegraben, gepflanzt, hat mit Erde bedeckt und gewässert. Mir wurde aufgetragen, jeden Morgen die Lampe über dem hydroponischen System unserer Setzlingskulturen anzuschalten. Dort hatten wir Rauke und drei verschiedene Sorten Kopfsalat gepflanzt. Das heißt, er pflanzte und ich schaute zu. Und er gewöhnte sich an, mir zu sagen: Du machst überhaupt nichts im Haushalt. Du erwartest von mir, alles selber zu machen, gab ich zurück. Wir führten eigentlich einen Haushalt, in dem er für bestimmte Sachen verantwortlich war und ich für andere. Aber ich rebellierte. Die Teller waren nie sauber genug. Die Wäsche stand tagelang in der Sonne. Ich hatte anderes zu tun. Am Ende des Winters schaffte ich meinen Schreibtisch nach draußen, an den Rand unseres Gärtchens. Ließ mich morgens daran nieder und stand abends wieder auf. Was konnte ich sonst tun? Ich lese und schreibe.

Der erste Lockdown in Israel begann im März 2020. Alle Freizeitaktivitäten wurden sukzessive eingestellt, auch Treffen in der Öffentlichkeit, die Fahrt zum Arbeitsplatz, wenn dieser als „nicht lebenswichtig“ eingestuft wurde, und der Unterricht an Schulen. Danach wurde das Verlassen der eigenen vier Wände begrenzt. Derweil stritten wir weiter und es schien, als sei unsere Beziehung am Ende. Aber der Lockdown hielt uns auf Gedeih und Verderb zusammen. Wir konnten ja nirgendwo anders hin.

Was konnte man sonst tun? Gabriel vom Minimarkt um die Ecke meinte, die Leute würden jetzt mehr zu trinken kaufen. Ich berichtete ihm davon, als ich von meinem täglichen Zigaretten- und Weineinkauf nach Hause kam. Er brummte nur, was? Alkohol, die Leute kaufen mehr Alkohol. Die erste Flasche machte ich schon am Mittag auf. Manchmal war der Wein, den ich ausgesucht hatte, zu süß, aber das Risiko eines weiteren Gangs vor die Tür wollte ich nicht eingehen. Stattdessen öffnete ich ein neues Fenster auf dem Computer und kaufte noch ein Shirt. Die Sommerabteilung meines Kleiderschranks war bereit. Nur dass ich mit all den Sachen nirgendwohin konnte.

Die Schlagzeilen der Zeitungen waren unentschieden: Familien zerbrechen. Viele Paare entdecken infolge von Lockdown und Quarantäne die Lust wieder, andere machen Kinder. Wir legten uns ein Kätzchen zu. Ich denke jetzt an alle die Katzen, die ich in den letzten zehn Jahren aufgenommen habe, eine Katze für jeden Partner, den ich in der Zeit hatte. Wie mag es ihnen ergangen sein? Wenn wir uns trennten, teilten wir sie immer auf. Vergaßen, dass wir sie mal gemeinsam geliebt hatten. Wenn das neue Kätzchen mich beim Arbeiten störte, sagte ich zu ihm, geh zu Papa, und er kam und nahm es mir vom Arm. Ich weiß noch, dass ich gedacht habe, hätte ich ein Baby, hätte ich jetzt etwas Besseres mit mir anzufangen. Aber ich bekomme pünktlich jeden Monat meine Regel. Wir haben’s geschafft, sagte er, wenn ich ihm davon erzählte. Wir haben’s ein weiteres Mal geschafft, nicht in Normalität zu verfallen.

Diesen ganzen Frühling über habe ich billigen Wein in mich hineingeschüttet und schachtelweise Zigaretten geraucht. Was war sonst zu tun? Morgen für Morgen inspizierten wir die Topfpflanzen, guckten nach den Samen in der Erde. Was hat gekeimt? Was hat es nicht geschafft? Ich las und schrieb, denn das ist, was ich tue. Zum Beispiel: Eine junge Frau trifft eine ältere. Die Ältere glaubt, die Geliebte des Vaters der anderen, der jüngeren Frau zu kennen. Es sei ihre beste Freundin gewesen. Sie erinnert sich, wie der Vater und ihre Freundin zusammen bei einem Verkehrsunfall in Frankreich ums Leben gekommen waren. Doch am Ende stellt sich heraus, dass die Frau selbst die Geliebte ist, die überlebt hat. In einer anderen Geschichte nimmt ein Paar ein Katzenjunges auf. Aber kann sein, dass ich da was durcheinanderwerfe.

Er beschwerte sich: Ich würde zu viele Sachen kaufen und gar nicht benutzen, würde nicht genug putzen, sei unordentlich. Ich nickte. Er hatte ja Recht, was sollte ich sagen. Die Kinder der Nachbarn machten es sich zur Gewohnheit, auf dem angrenzenden Grundstück schreiend zu streiten. Entgegen aller Gerüchte über den freundlichen, offenen Charakter der Bewohner des Viertels hatten ihre Eltern uns nicht gegrüßt, als wir herzogen. Mein zehn Jahre alter Kater fing an, mir die kalte Schulter zu zeigen. Schlief nachts nicht mehr in unserem Bett, das von dem Kätzchen in Beschlag genommen worden war. Du hast keine Ahnung, wie lieb ich es habe, meinte er zu mir. Und als wir uns trennten, sagte er: Ich habe dich so sehr geliebt. Und was habe ich mit all dieser Liebe angefangen? Habe sie verschwendet, natürlich.

Aber für einen Moment waren wir noch zusammen: die Miete wurde pünktlich bezahlt, jeden Monat. Einkäufe wurden besorgt. Die Katzen gefüttert. Von Zeit zu Zeit stießen wir in der Küche zusammen, bei der Espressomaschine, oder im Gemüsegärtchen, das wir angelegt hatten. Die Salatpflanzen und die Gurke wuchsen jeden Tag um das Doppelte. Der Sommer war da, und die Sonne tat ihnen gut. Jeden Abend schauten wir Nachrichten. Die Schlagzeilen klangen unentschieden und Menschen, die wir nicht kannten, starben. Und irgendwo jenseits unseres Wohnzimmers raunte die Welt, wie ein Gerücht.


Aus dem Hebräischen von Markus Lemke

Der Text erschien zuerst in der Berliner Zeitung. Die Autorin nimmt Teil an den Deutsch-Israelischen Literaturtagen „Alles auf Anfang?“ am 1. und 4. September 2021 in Berlin.