Simbabwe: "Ihr seid die, auf die wir gewartet haben"

Interview

Angesichts von politischer Unterdrückung und Verfolgung bietet der digitale Raum vielen Menschen in Simbabwe die einzige bleibende Möglichkeit, sich auszutauschen und zu organisieren. Mit Fungai Machirori sprachen wir über die Potenziale und Defizite des Internets, feministischen digitalen Aktivismus in Simbabwe und über die Hoffnungen, die in jede neue Generation gesetzt werden.

Porträt von Fungai Machirori

Was macht dich zu einer Aktivistin?

Fungai Machirori Das ist eine interessante Frage, denn ich weiß nicht, ob Menschen, die als Aktivist*innen bezeichnet werden, sich auch immer selbst als solche sehen. In diesem Sinne verstehe ich als Aktivist*in jede*n, der oder die konsequent nach Prinzipien handelt, die dem Wohl der Menschheit und/oder aller Lebensformen dienen. Persönlich beeinflusst hat mich die Geschichte meiner Mutter, die als erste Schwarze Redakteurin einer großen Tageszeitung eine der wenigen Frauen in einer Führungsposition in den simbabwischen Medien war. Als jemand, die sehr freimütig ist und immer für das eintritt, woran sie glaubt, war sie meine erste Referenz dafür, was Aktivismus bedeutet. Sie hat mich maßgeblich dazu inspiriert, auch nach meinen eigenen Überzeugungen zu handeln.

Ein Großteil deiner Arbeit findet online statt. Dabei verwendest du häufig den Begriff «Cyberfeminismus». Betrachtest du dich auch selbst als «Cyberfeministin»?

Ich denke, dass der Cyberfeminismus bzw. die Ideen der Cyberfeminist*innen auf eine Zeit zurückgehen, in der wir den Cyberspace noch auf recht utopische Weise betrachteten und eine radikale Ablehnung der Binarität von «Mensch» und «Maschine» anstrebten. Cyberfeminist*innen stellten sich eine Existenz irgendwo zwischen den beiden Extremen vor, zum Beispiel in der Form von Cyborgs (Anm. D. Redaktion: «Mischwesen» aus biologischem Organismus und Maschine). Am Anfang nannten wir Feminist*innen, die sich im digitalen Raum engagieren, Cyberfeminist*innen. Aber inzwischen haben wir Begriffe wie «digitale Feminismen» und «digitale Feminist*innen» angenommen, die sich mehr mit den strukturellen Herausforderungen zur Überwindung von Binaritäten und mit Fragen rund um Intersektionalität beschäftigen; gleichzeitig lassen die Begriffe Raum für eine solide Kritik an digitalen Tools und virtuellen Räumen.

Wenn ich Diskussionen in sozialen Medien wie dem «simbabwischen Twitter» beobachte fällt mir etwas Interessantes auf. Es gibt dort die Tendenz, Menschen als «Twitter-Feminist*innen» zu bezeichnen. Eine Bezeichnung, die einem implizit unterstellt, seinen Feminismus nur auf Twitter auszudrücken, sich außerhalb dessen aber nicht feministisch zu «verhalten». Dadurch entsteht die Vorstellung, dass man nur der Sichtbarkeit halber online Feminist*in ist, aber in seinem «echten» Offline-Leben eben nicht. Für mich ist diese Sichtweise ein Zeichen dafür, dass viele Menschen Feminismus noch immer nicht als „Idee“ oder Lebensart verstanden haben.

Ich verstehe aber auch, dass die Bezeichnung «Twitter-Feminist*in» für manche Menschen einen gewissen Schutz vor dem gesellschaftlichen Stigma bieten kann, das manchmal mit der Selbstbezeichnung als Feminist*in verbunden ist. Ich verstehe digitale Feminismen auf gleiche Weise wie Schwarze Feminismen, bei dem anstelle von Schwarzsein, Klasse oder dem geopolitischen Standort, das Digitale zum Orientierungspunkt wird, durch den man seine Feminismen ausdrückt.

Bezeichnungen wie Cyber- oder digitaler Feminismus bieten also sowohl Angriffsfläche, als auch einen gewissen Schutz.

Ich denke, die Begriffe sind wichtig, weil sie hervorheben, wie sich Feminismus im digitalen Raum ausdrückt. Manche Menschen fühlen sich mit dieser Beschreibung vielleicht wohler, weil sie ihren Feminismus als sehr eng mit dem digitalen Raum verwoben sehen, oder – wie ich bereits erwähnt habe – weil diese Räume für feministische Themen besonders geschützt sind.

Personen, die nicht tief in den politischen feministischen Themen stecken und sich eher online über Feminismus informieren, sollten sich ebenfalls als digitale Feminist*innen bezeichnen dürfen. Darin sehe ich kein Problem. Das Internet kann ein wichtiger Ort für die feministische Weiterbildung sein. Also, wenn der Begriff für sie passt, nennen sie sich so. Im Feminismus geht es schließlich um Wahlmöglichkeiten.

Im Jahr 2012 hast Du «Her Zimbabwe» gegründet, das erste web-basierte Portal für Frauen in Simbabwe. Was war deine Motivation dahinter?

Die Idee entstand eigentlich aus meiner Masterarbeit heraus. Ich habe mich damit befasst, wie sich Frauen in der Diaspora und in Simbabwe organisieren und versucht, Verbindungen zwischen ihnen zu finden. Lange herrschte die Vorstellung, dass die simbabwische Diaspora und Menschen in Simbabwe völlig getrennte Lebenswelten und Probleme haben. Ich stellte jedoch schnell fest, dass es durchaus viele Überschneidungen gibt. Dass wir Simbabwer*innen alle von der Politik und Wirtschaft des Landes beeinflusst sind, unabhängig davon, ob wir innerhalb oder außerhalb Simbabwes leben. Eine meiner Empfehlungen war es, das Internet zu nutzen, um diese durch die Ferne entstehende «künstliche Kluft» zwischen den simbabwischen Frauen im In- und Ausland zu überbrücken. Wissenschaftliche Arbeiten landen meistens in einer Bibliothek und werden dort – wenn überhaupt – nur als Referenzmaterial genutzt. Ich wollte wirklich mehr aus meiner empirischen Arbeit machen, also dachte ich mir: «Was wäre, wenn ich versuche, meine eigenen Empfehlungen umzusetzen? Wie würde das aussehen?» Und so entstand die Idee zu Her Zimbabwe.

Und Her Zimbabwe wurde eine kleine Erfolgsgeschichte…

Das kann man so sagen. Die Gegenüberstellung von Stimmen aus der Diaspora und Stimmen aus Simbabwe machte deutlich, dass es nicht das eine Narrativ gibt. Zudem initiierten wir Gespräche über Themen, die in der simbabwischen Öffentlichkeit sonst Tabu waren. Das hat die Leser*innen von Her Zimbabwe zum Nachdenken und Mitdiskutieren angeregt.

Nach und nach kamen auch Menschen aus anderen afrikanischen Ländern dazu, die sich intensiv mit der Plattform beschäftigten. So entstand schließlich auch die Rubrik Her Africa.   Schnell entstanden Diskussionen über die Landesgrenzen hinweg. Ein Thema, das z.B. Frauen in Simbabwe und Kenia gleichzeitig beschäftigte, waren eine Reihe von öffentlichen sexuellen Übergriffen auf Frauen in beiden Ländern, die von Männern verübt wurden, die die Frauen für «unangemessen gekleidet» hielten. Die folgenden online stattfindenden Diskussionen auf Her Africa befähigten Frauen, Erfahrungen und Strategien über sexuelle Belästigung auszutauschen. Das war sehr ermutigend.

Kannst du mir etwas mehr über den politischen Kontext in Simbabwe erzählen, insbesondere im Hinblick auf das Internet?

Simbabwe hat eine lange Geschichte politischer Unterdrückung und Verfolgung. Seit einigen Jahren nimmt diese Unterdrückung auch im digitalen Raum zu. Aktivist*innen, die sich online z.B. regierungskritisch äußern, werden immer häufiger strafrechtlich verfolgt. Dadurch gibt es eine zunehmende Tendenz zur Selbstzensur, weil sich viele Menschen nicht (mehr) wohl fühlen, online über bestimmte Dinge zu sprechen. Momentan ändert sich dies jedoch wieder. Die wirtschaftliche und soziale Situation hat sich – nicht zuletzt aufgrund der COVID-19-Pandemie – so verschärft, dass der digitale Raum die einzige Möglichkeit bietet, sich überhaupt noch auszutauschen und sich zu organisieren.

Letztes Jahr lag der Twitter Hashtag #ZimbabweanLivesMatter eine Zeit lang hoch im Trend und erhielt große Aufmerksamkeit, auch international. Er brachte die Enttäuschungen und den Frust der Menschen in Simbabwe und der Diaspora zum Ausdruck und machte auf die zunehmende Polizeigewalt und willkürliche Inhaftierung von Journalist*innen, Aktivist*innen und Rechtsanwält*innen aufmerksam. Das letzte Mal, dass eine Online-Bewegung dieses Ausmaß annahm, war im Jahr 2016 mit der #ThisFlag-Bewegung. Anders als bei #ThisFlag, wo eine Person – Pastor Evan Mawarire – «federführend» war, war #ZimbabweanLivesMatter eine breite Grassroots-Bewegung. Es gab kein konkretes Gesicht, keine Persönlichkeit, die den Hashtag verkörperte. Die Bewegung präsentierte sich als unparteiische und bürgernahe Massenaktion, was für die Akzeptanz durch den durchschnittlichen simbabwischen Twitter-Nutzer entscheidend war. Hinzu kommt, dass heute natürlich mehr Menschen auf Twitter unterwegs sind als noch 2016. Viele der jungen Leute, die heute online sind, sind «Digital Natives». Ich denke, das verändert auch die Dynamik, mit der sich Menschen digital mit Themen auseinandersetzen.

Aus diesem Grund setzen Regierungen immer häufiger alles dran, um Unternehmen wie Internetdienstleister und Telekommunikationsunternehmen wirtschaftlich unter Druck zu setzen, um das Internet in entscheidenden politischen Momenten wie Wahlen oder Bürgeraufständen abzuschalten oder zu drosseln.

Wir haben zu Beginn schon von der Schutzfunktion gesprochen, die Online-Communities übernehmen können. Wie können digitale Technologien insbesondere Frauen- und feministische Bewegungen widerstandsfähiger machen?

Der Aufbau feministischer Bewegungen ist oft sehr institutionalisiert. Dabei wird die Arbeit feministischer Organisationen oft als «echte» feministische Arbeit anerkannt. Dies hat den Ausschluss von Feminist*innen zur Folge, die nicht in denselben Netzwerken aktiv sind. Beispielsweise kann sich eine Buchhalterin oder Hausfrau als Feminist*in identifizieren, aber weil sie keinem offiziellen feministischen Kollektiv oder einer Organisation angehört, wird sie auch zu keinem feministischen Treffen eingeladen. Wenn jetzt aber immer mehr Personen außerhalb der physischen Netzwerke online sind und auch Veranstaltungen zunehmend online stattfinden, können sie viel eher an den Diskussionen teilnehmen. Feminist*innen, die nicht über den «konventionellen» Weg zum feministischen Aktivismus gekommen sind, haben jetzt also viel leichteren Zugang. Das hat wiederum positive Auswirkungen auf die Widerstandsfähigkeit und Vielfalt innerhalb feministischer Bewegungen, denn der digitale Raum bietet die Chance, dass auch Menschen, die sonst keinen Zugang zu diesen Organisationen und Netzwerken gehabt hätten, gehört werden.

Ein weiterer großer Vorteil digitaler Bewegungen ist das Online-Archiv. Damit meine ich all die Informationen, die über verschiedene digitale Medien, Tools und Plattformen öffentlich zugänglich sind, ohne dass Bezahlschranken den freien Zugang blockieren. Feministisches Wissen und feministische Geschichte ist sonst meistens nur über Bücher, akademische Zeitschriften oder andere exklusive Räume zugänglich. Mit dem Online-Archiv kann man nun auf Wissen zugreifen und neues Wissen produzieren, ohne viele Barrieren überwinden zu müssen. Natürlich versuchen Social-Media-Plattformen zunehmend diese Online-Datenbanken und –Archive zu monetarisieren, momentan ist «Wissen» jedoch zweifellos wesentlich leichter zugänglich als noch vor zehn Jahren.

Das Digitale birgt natürlich auch neue Herausforderungen, insbesondere in Bezug auf Online-Mobbing und andere Arten von Online-Gewalt. Trolle, Frauenhasser und Leute, die die Diskussionen stören wollen, haben meist auch Zugang zu eben diesen Räumen. Dadurch sind Sicherheit und Privatsphäre wesentlich komplexere Themen geworden.

Wir haben bereits über die vielen neuen Möglichkeiten gesprochen, wie man sich in digitalen Räumen engagieren kann. Aber was ist mit denjenigen, die aus verschiedenen Gründen nicht online sein können, z. B. weil sie nicht die Ressourcen und Kapazitäten dafür haben?

Hier gibt es verschiedene Hürden. Einerseits können die Kosten für digitale Datenverbindungen viele daran hindern, auf digitale Räume zuzugreifen und sich so an Online-Diskussionen zu beteiligen. Wie oft kann man online sein, wenn man sich pro Woche ein Datenvolumen im Wert von nur einem Dollar leisten kann? Auf welche Informationen hat man Zugriff und für wie lange? Hier brauchen wir eindeutig gebührenfreundlichere Modelle sowie kostenlose Open-Source-Software. Eine weitere Herausforderung sind digitale Skills, d.h. die Fähigkeit, wie gut jemand mit digitalen Werkzeugen und Technologien umgehen kann. Zugang zu haben bedeutet nicht automatisch, dass man auch das Know-How hat, um verschiedene Software und Anwendungen auch nutzen zu können.

Eine weitere große Herausforderung stellt das «digitale Sozialkapital» dar. Es ist eine Sache, wenn man ein bestimmtes Netzwerk oder eine bestimmte Anzahl von Followern hat, die einem zuhören. Aber wenn man kaum Kontakte im digitalen Raum hat, ist es schwer, Beachtung zu finden. Das ist in der Offline-Welt nicht anders: Stimmen von Menschen mit wenigen «Anhänger*innen» werden einfach überhört. Manchmal kann es aber spannender sein, genau diesen Leuten zuzuhören, die weniger Follower haben, anstatt den Etablierten mit Tausenden von Followern. Vielleicht entgeht uns eine interessante neue Meinung oder eine Nuance zu einem Thema, wenn wir Menschen mit geringerem digitalem Sozialkapital nicht zuhören. Das soll natürlich nicht heißen, dass Influencer*innen überflüssig sind. Durch sie können Informationen schnell verbreitet werden und sie sind wichtige Knotenpunkte für Netzwerke und Aktivismus im Allgemeinen.

Schaut man sich die Plattformen selbst und ihre Demographie an, entdeckt man weitere interessante Dynamiken. Twitter scheint von Natur aus – zumindest in Simbabwe – weniger weibliche Nutzerinnen zu haben. «Von Natur aus» – damit meine ich, dass man auf Twitter in der Regel eine starke Meinung zu aktuellen Themen oder Nachrichten ausdrücken sollte. In Bereichen wie beispielsweise Politik sind Frauen aber immer noch weit weniger sichtbar als Männer. Außerdem eignet sich Twitter für willkürliche Angriffe von anderen Nutzer*innen und Trollen. Oft lautet der Anfang eines Kommentars nicht: «Ich stimme nicht mit dir überein»; stattdessen hat man es direkt mit Beleidigungen oder abwertenden sexualisierten Kommentaren zu tun. Dieser Aspekt von Twitter schreckt viele Frauen ab. Sie fühlen sich in Facebook- oder Whats App-Gruppen oft sicherer, denn dort kennen sie die Teilnehmer*innen evtl. persönlich und können sich hier ungestört auf ein bestimmtes Thema konzentrieren.

Kurz gesagt: es gibt keine einfache Antwort auf die Frage. Aber ich denke, dass diejenigen, die daran arbeiten, digitale Räume gerechter zu gestalten, diese strukturellen Komplexitäten mitdenken sollten.

Welche Botschaft möchtest du jungen digitalen Aktivist*innen mit auf den Weg geben?

Es gibt ein Gedicht von June Jordan aus den 1970er Jahren, das an den Anti-Apartheid-Protest südafrikanischer Frauen in den 1950er Jahren erinnert. Es endet mit dem Satz «Wir sind die, auf die wir gewartet haben». Mir ist aufgefallen, dass dieser Satz und dieses Gedicht seither in verschiedenen entscheidenden Momenten des Aufbegehrens rezitiert wurde. Jede Generation ist somit die, auf die wir gewartet haben, denn jede Generation hat das Potenzial, richtungsweisend für eine bessere Welt zu sein.

Ihr seid die, auf die wir gewartet haben. Herzlich willkommen!

Danke Fungai!


Fungai Machirori ist Autorin und Wissenschaftlerin, deren Hauptinteresse der Schnittstelle von digitalen und sozialen Medien mit Identität, persönlicher Politik und Kultur gilt.