Brasiliens Position auf der COP26

Kommentar

Brasiliens Zusagen in Glasgow sind kein echter Waldschutz. Seit Bolsonaro regiert, steigen die Invasionen in Schutzgebiete und indigene Territorien an – und damit auch die Entwaldung.

COP26 • 05/11/2021 • Glasgow / Escócia (UK)
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Viele indigene Vertreter*innen aus Brasilien reisten nach Glasgow und äußerten ihre Kritik an Bolsonaros Politik und fordern die Garantie indigener Rechte ein. Hier Célia Xakriabá.

Brasiliens klimapolitische Versprechen auf der COP26: ein Ende der Entwaldung bis 2030 oder nur heiße Luft?

Es war schon eine kleine Überraschung auf der UN-Klimakonferenz (COP26) Anfang November in Glasgow, als auch Brasilien die „Glasgow leaders‘ declaration on forests and land use change“ unterzeichnete. Damit verpflichtet sich das Land, die Entwaldung bis 2030 zu stoppen und indigene Rechte zu respektieren. Dies ist besonders bemerkenswert, weil Brasilien fast so etwas wie eine Tradition hat, UN-Deklarationen, die den Wald betreffen, nicht zu unterzeichnen. Und die Regierung Bolsonaro hat sich bisher um internationale Reputation wenig geschert. Sind das Anzeichen für einen Gesinnungswandel oder wenigstens für das Bemühen um Greenwashing? Tatsächlich hatte sich Bolsonaro in den letzten Monaten etwas um rhetorische Zurückhaltung bemüht. Aber geändert hat sich ansonsten leider nichts.

Das wurde kurz nach der UN-Konferenz nur allzu deutlich, als die offiziellen Entwaldungszahlen in Brasilien veröffentlicht wurden. Mit über 13.000 km² im Zeitraum August 2020-Juli 2021 stieg die Entwaldungsrate im Vergleich zu den Vorjahren noch einmal deutlich an, insgesamt eine Steigerung von 51% seit Bolsonaros Amtsantritt im Januar 2019. Dies zeigt auf tragische Weise, wie „erfolgreich“ seine Regierung ist: Denn das Ansteigen der Entwaldung ist das Ergebnis einer intentionalen Politik, die die Institutionen, die für Umweltschutz zuständig sind, gezielt schwächt, gesetzliche Regelungen lockert und eine ermächtigende Rhetorik für Straflosigkeit von Entwaldungen pflegt. Schon im Wahlkampf im Jahr 2018 hatte Bolsonaro die brasilianische Umweltbehörde IBAMA und das Ahnden von Umweltverstößen als „Industrie von Strafen“ verleumdet und versprochen dagegen vorzugehen. Folgende Abbildung (Abb.1) zeigt, dass dies keine leere Rhetorik war und ist. Die Strafen sinken, die Entwaldung steigt.

Grafik: Entwaldung in Amazonien und Strafen der Umweltbehörde IBAMA
Abbildung 1: Entwaldung in Amazonien und Strafen der Umweltbehörde IBAMA / Grün = Anzahl der verhängten Strafen für Umweltverstöße Rot = Entwaldete Fläche in km² Der erfasste Zeitraum des Prodes-Systems ist August bis Juli des nachfolgenden Jahres Quelle: Ibama und Inpe

Und auch ein anderes Versprechen hat Bolsonaro eingelöst: „Wenn ich gewählt werde, gibt es keinen Meter für den Indio“, hatte er verkündet. Und tatsächlich wird er in die Geschichte eingehen als der erste brasilianische Präsident nach der Militärdiktatur, unter dem kein einziges Stück Land als indigenes Territorium demarkiert wurde. Dabei zeigen neue Studien, dass indigene Territorien und Schutzgebiete einen wirksamen Schutzschild gegen Entwaldung bieten. Eine Auswertung von Satellitenbildern zeigte, dass zwischen 1985 und 2020 nur 1,6% der Entwaldung in indigenen Gebieten stattfand. Eine andere Studie zeigt, dass in indigenen Territorien und Schutzgebieten noch über 90% der ursprünglichen Vegetation erhalten sind.

Allerdings sind diese Errungenschaften in Gefahr. Denn seit Bolsonaro regiert, steigen die Invasionen in Schutzgebiete und indigene Territorien an – und damit auch die Entwaldung. Nach Erhebungen von Greenpeace stieg die Entwaldung in indigenen Gebieten im Jahre 2021 (Zeitraum bis Juli) um 35,6% gegenüber dem Vorjahr an. Trotz dieses Anstiegs bleibt der Anteil der Entwaldung in indigenen Territorien, die über 20% der Fläche Amazoniens ausmachen, mit 2,36% gering.

Aber die indigenen Territorien sind nicht nur durch Entwaldung bedroht, sondern auch durch das in den letzten Jahren verstärkte Vordringen von illegalen Gold- und Diamantenschürfer*innen. Nach Angaben des CIMI (katholischer Missionsrat für Indigene) erhöhten sich die Zahl der Invasionen und illegalen Aktionen in indigenen Gebieten im Jahre 2020 auf 263, 2018 waren es noch 111 Fälle. Die Bilanz über Gewalt ist erschreckend: 182 Indigene wurden 2020 ermordet, 61 Prozent mehr als 2019. Besonders betroffen ist das Gebiet der Yanomami. In ihrem Siedlungsgebiet an der brasilianisch-venezolanischen Grenze, ein Territorium, das etwa doppelt so groß ist wie die Niederlande, schätzt man die Zahl der Menschen, die illegale Bodenschätze ausbeuten, auf 20.000. Sie schrecken auch nicht davor zurück, in Gebiete einzudringen, in denen indigene Gruppen in selbstgewählter Isolation leben. Nach Angaben der Organisation der Indigenen Völker Brasiliens (APIB) infizierten sich 2020 mehr als 43.000 Indigene an COVID-19 und mindestens 835 starben (Stand November 2021) an den Folgen der Infektion.

Das Ansteigen der Entwaldung bedeutet also auch die Verletzung von Menschenrechten und trifft insbesondere die Gruppen, die bisher Entwaldungen verhindert haben und dies führt die brasilianischen Klimaversprechen ad absurdum. Im Jahre 2020 stiegen die brasilianischen Emissionen an Treibhausgasen um 9,5%, während sie weltweit aufgrund der Corona-Pandemie sanken. Dies ist primär auf die Zunahme der Entwaldung (land use change, wie es in der UN-Sprache heißt) zurückzuführen. Wie unter anderem CNN Brasil berichtet, stiegen die Emissionen aus der Entwaldung im Jahre 2020 um 24%.

Insgesamt gehen 46% der brasilianischen Treibhausgasemissionen auf Entwaldung zurück. An zweiter Stelle steht die Land- und Viehwirtschaft mit 27% (siehe auch Abbildung 2).

Grafik: Brasiliens Emissionen nach Sektor

Auch dies ist eng mit der Entwaldungsdynamik verbunden. Denn insbesondere die Flächen für die Viehwirtschaft haben sich in den letzten zwanzig Jahren in Amazonien erweitert – als Treiber und Folge der Entwaldung. Anders als in den meisten Ländern der Welt spielen Industrie- und Energiesektor eine vergleichsweise untergeordnete Rolle. Ohne die Reduzierung von Entwaldung kann Brasilien seine Emissionen nicht signifikant verringern und somit seine Klimaziele nicht erreichen. Diese Diagnose wird dadurch noch dramatischer, dass die Regierung nichts unternimmt, um die Entwaldung zu reduzieren – sondern sie im Gegenteil begünstigt.

Trotz dieser traurigen Bilanz rühmt sich die Regierung, auf dem richtigen Weg zu sein und wie kaum ein anderes Land der Welt, die CO2-Emissionen zu verringern. Wie kann das sein? Brasilien hat als Referenzjahr das Jahr 2005 gewählt, ein Jahr mit einer extrem hohen Entwaldung (siehe Abbildung 1).

In den folgenden Jahren sorgte die damalige Regierung mit der Umweltministerin Marina Silva für eine drastische Reduzierung der Entwaldung. Stärkere Kontrollen und Ausweisung von Schutzgebieten ermöglichten diesen Erfolg, von dem die Regierung Bolsonaro noch heute profitiert. Obwohl Brasilien gerade alles macht, um diese Errungenschaften zu verspielen, sind die Emissionen 2021 immer noch geringer als im Jahre 2005. Dies zeigt einen traurigen Aspekt der internationalen Klimapolitik. Statt konsequente Reduktion von Emissionen anzustreben, werden Statistiken möglichst schön gerechnet.

Nur vor diesem Hintergrund ist es zu verstehen, dass der brasilianische Umweltminister Joaquim Leite eine geradezu euphorische Bilanz der Konferenz von Glasgow zog. „In allen Biomen unseres Landes können wir CO2-Kredite generieren. (...) Unser Ziel ist es, Kredite zu exportieren. Wir wurden überall gelobt, weil wir die Führungsrolle im CO2-Handel übernommen haben.“ Rückendeckung bekam der Minister durch eine Studie der International Chamber of Commerce Brasil (ICC), die das Potential Brasiliens, CO2-Kredite (Kohlenstoffzertifikate) zu exportieren, auf bis zu 100 Milliarden US$ für das Jahr 2030 beziffert. Der größte Teil der CO2-Kredite soll aus dem Landwirtschafts- und dem Forstsektor kommen. Konkret wird die Bedeutung der Ethanol- und Zelluloseproduktion benannt. Damit würde Klimapolitik in Brasilien endgültig zu einem guten Zusatzgeschäft des Agrobusiness werden, während besonders die indigenen Völker die sozialen und ökologischen Konsequenzen einer möglichen Expansion tragen.